Sechsundneunzigster Brief

Barthold an Eduard

[240] Bester Freund! könntest Du doch Theil an meiner Freude nehmen! Könnte ich doch an meine Brust Dich drücken, und Dir alle selige Empfindungen meines Herzens mittheilen! Ich bin der glücklichste Mensch: Karoline, das himmlische Geschöpf, ist mein! Ich will mich zu einer ordentlichen Erzählung zwingen, obgleich in meinem Kopfe alles verwirrt unter einander liegt.

Mit jedem male, da ich Karolinen sah, mehrte sich meine Liebe und mein Kummer. Wenn sie mit liebenswürdigem Fleiße jedem weiblichen Geschäfte unnachahmliche Anmuth mittheilte, wenn sie mit ihrer sanften Stimme die Leidenden tröstete, und durch Leutseligkeit ihrem Almosen doppelten Werth gab, so betrachtete ich sie mit Entzücken. Aber bald schlug mich der Gedanke nieder:[240] dieser weibliche Engel wird nie dein werden; ihr Herz ist gewiß keines andern Eindrucks der Liebe mehr fähig. So dachte ich, küßte mit einem Seufzer ihre Hand, und verließ einen Ort, der für meine Ruhe so gefährlich war.

Ihr Onkel fragte mich, warum ich so selten käme. Mit Erröthen entdeckte ich ihm nach einigen vergeblichen Ausflüchten die wahre Ursache. Der vortreffliche Greis umarmte mich:

»Sie besitzen alle die Eigenschaften, die ich an dem Gatten meiner Nichte zu finden wünschte, und ich möchte auch gern bey meinem Leben noch das Mädchen verheyrathet sehen. Sagen Sie ihr selbst Ihren Antrag.«

»Ach Gott! das ist mir nicht möglich. Wenn meine Dreistigkeit sie beleidigte – –

»Possen! Durch dergleichen beleidigt man kein Mädchen. Doch, wie Sie wollen. Ich kann ihr auch selbst die Sache vortragen, und,[241] wenn sie ja Zweifel haben sollte, sie besser allein, als in Ihrem Beyseyn, widerlegen.«

»O wie soll ich diese Güte mit genugsamer Dankbarkeit erwiedern? Und wann soll ich wiederkommen, um die Entscheidung meines Schicksals zu hören?«

»Sobald Sie wollen.«

Ich gieng und durchwachte die ängstlichste Nacht meines Lebens. Mit dem aufgehenden Tage ritt ich von dannen und kam so früh nach dem Gute, daß ich mich fast schämte, und bey mir überlegte, ob ich nicht noch eine Weile vor dem Thore warten wollte. Ich sah nach meiner Uhr, und nie war sie mir so unerträglich langsam gegangen. Endlich gieng ich ins Haus. Der geheimde Rath rauchte eben sein Morgenpfeifchen, und lächelte über meine Eilfertigkeit. Er hatte seiner Nichte meine Wünsche gesagt, und aus ihrer Verlegenheit geschlossen, daß sie ihr nicht gleichgültig wären. – Eduard, welche[242] himmlischen Töne für mein Ohr! – Sie hatte sich eine Stunde Bedenkzeit ausgebeten, und dann ihm gesagt: Meine bescheidne Liebe hätte schon lange Eindruck auf sie gemacht, und sie glaubte in mir den Mann zu finden, mit dem sie glücklich seyn würde; nur bäte sie sich noch einige Zeit aus, um alle ehemaligen Eindrücke völlig aus ihrem Herzen zu vertilgen, damit sie es mir ganz rein überliefern könnte.

Mein Entzücken gieng über alle Beschreibung. Ich suchte nun sie selbst auf. Sie war im Garten, und, ohngeachtet es kaum sieben Uhr war, schon vollkommen anständig gekleidet. Sie hatte einen Korb am Arm, in welchen sie Gartenfrüchte pflückte, und bemerkte mich Anfangs nicht. Als sie mich sah, erröthete sie sanft, und kam mit unbeschreiblicher Anmuth mir entgegen. Die Empfindung, mit welcher ich nun die schöne Hand küßte, die bald mein werden sollte, ihre reizende Verlegenheit bey dem ungewohnten[243] Feuer meines Kusses, das unschuldige Erröthen, mit dem sie zum erstenmal meine heiße Wange an der ihrigen fühlte, die Freudenthräne, die aus dem Auge des Alten drang – alles das vermag meine Feder nicht zu schreiben! Dir, Allwissender, sind die stummen Gefühle des Danks bekannt, welche ich auf meinen Knien zu dir hinauf sandte. Stärke du mich, Gütigster, die neubefestigten Vorsätze zur Tugend auszuführen, die mein Herz dir gelobte.

Meine Seele ist zu gedrängt von allem dem, was ich fühle. Lebe wohl, bester Freund.

Dein

Barthold.


N. S. Eben erhalte ich Briefe von unserm alten Freunde Kleinert. Er meldet mir, daß Henriettens Mutter gestorben ist; daß die Gläubiger Henrietten aus dem Hause getrieben haben, daß sie auf einem elenden Dachkämmerchen mit einem erbärmlichen Knaben niedergekommen ist,[244] und in äußerster Armuth und Verzweiflung fast ohne alle Unterstützung lebt. Gott! wie folgt doch schon hier die Strafe dem Verbrechen so bald nach! Oder vielmehr: wie führt jedes Vergehen seine natürlichen harten Folgen hinter sich! Glücklich, wer noch so gerettet wird, wie unser Ferdinand! Er war aber auch wegen seiner Jugend und seines Mangels an Erfahrung mehr zu entschuldigen. Er ist jetzt sehr fleißig, und ich hoffe, daß er auf immer vor ähnlichen Vergehungen gesichert seyn wird.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 240-245.
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