Zerbrochener Keilerkopf

[70] Im Rabenhorst, im Dunkelforst,

Wo jüngst der Blitz den Eichbaum borst,

Kein Lamm wird dort geschoren:

Der König griff den Keiler an,

Der Keiler nahm den König an,

Der König scheint verloren.
[70]

Da stürzt hervor, ein Jaguar,

Mit Funkelblick und Stachelhaar,

Jung Henning durch die Blätter:

Ein Diener aus des Fürsten Troß,

Sein Schwertgesell und Jagdgenoß,

Nun des Gebieters Retter.


Des Königs Dank ist Turm und Land,

Er zäumt mit rot und gülden Band

Ihm seinen besten Rappen.

Es schaut der Ritter durchs Visier,

Ein Eber droht, des Helmes Zier,

Ein Eberkopf im Wappen.


Jahrhundert auf Jahrhundert rann,

Ein Augenblick. Die Parze spann

Gleichmäßig ihren Faden.

Die Sippe floß, zuerst ein Quell,

Dann Fluß und Strom, bald still und hell,

Bald rauschend wie Kaskaden.


Versandet. Noch ein letzter Blink,

Es rinnt im Sonnenscheidewink

Der Murmelbach von hinnen:

Die kleine feine Eminenz

Im Garten dort in Laub und Lenz,

Was steht sie tief in Sinnen?


Der Lanzenreiter, Tod genannt,

Führt sicher seine Knochenhand,

Er hat den Greis erstochen.

Zerpflückt, verwelkt das Kranzgeflecht,

Erloschen ist ein alt Geschlecht,

Das Wappenschild zerbrochen.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 70-71.
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