Der gütige Empfänger

[132] Ich sehe dich deinen Kneifer nehmen

Und auf die Nase dir bequemen;

Du suchst die Schere, schon liegt sie zur Hand,

Und löst vom Pakete Siegel und Band.

Was ist denn das? Gedichte? Potz Blitz!

Gedichte von meinem Freunde Fritz.

Ei, ei, auch der ein Sonntagsjäger,

Ein Lyraklimprer und Silbensäger,

Ein Mondscheinmeckrer, Gitarrenwimmrer,

Ein Jambenbrüller und Stanzenzimmrer,

Hymnenheuler, Odenschnaufer,

Daktylenwirbler und Knittelversraufer.


Dein feiner Spott liegt mir im Ohr;

Du weißt, ich fürcht mich ein wenig davor.

Und doch, du Treuer, wie hör ich ihn gern,

Wir denken ja beide über den Stern,

Der sich Erde nennt, fast immer gleich;

Nicht wahr, auch über das Himmelreich.


Und nun, du klappst mein Buch schon zu,

Und schnürst es ein zur ewigen Ruh,

Schleudersts hinauf auf den höchsten Schrank,

Und das ist all für mich dein Dank?
[133]

Da ruht es aus auf deinen Befehl,

Just zwischen Mozart und Marc Aurel,

Die häupterbestaubt dort oben stehn;

So wird es auch meinem Büchlein ergehn?

Dann murmelst du, der Klemmer fällt:

Da hat mich der Gute schön geprellt,

Es ist denn doch wirklich nachgrade zu arg,

Der Deutsche verselt selbst im Sarg.

Ich bestimme, schmiert er fürder Gedichte,

Wir stellen ihn gleich vor die Schwurgerichte.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gute Nacht. Berlin 1909, S. 132-134.
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