In ein Stammbuch

[130] Zuweilen lese ich die schönen Sachen,

Die feingekritzelt dir im Album stehn,

Und muß, Verzeihung, über manches lachen.


All diese Sprüche werden bald vergehn;

Und alle Namen, die sich unterschrieben,

Sie werden wie das Laub im Herbst verwehn


Und rasch verwirbeln, alle deine Lieben

Vom Herbst des Lebens schnell zum finstern Grabe

Enttaumeln und wie Spreu im Wind zerstieben.


»Zum Frohgedenken« mancher lustige Knabe

Schrieb sich hier ein, seis Liebster oder Bruder;

Es krächzt nach ihnen auch der alte Rabe,


Der gute Vetter Tod, des träges Ruder

Sie langsam steuert durch des Hades Fluten,

Auf Nimmerwiedersehn, so Mann wie Bruder.


In weiter Ferne, tief in Abendgluten,

Ersiehst du einmal noch die längst schon bleichen

In morschen Särgen, und dein Herz wird bluten.
[131]

Ich kanns verstehn, daß diese Liebeszeichen

Dir wert sind. Aber laß sie nicht von andern,

Dir gleichgültigen Menschen je erreichen.


Ein Spott ists, wenn von Hand zu Hand sie wandern.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gute Nacht. Berlin 1909, S. 130-132.
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