Beschränkung

[254] Verödet stehen

Prachtbauten, aufgeführt[254]

Von stolzer Prahlsucht, sobald das Wehen

Eines neuen Geistes die Welt berührt;

Es schauen dann wie stille Klage

Aus Saal und glänzendem Korridor

Die Opfer der Mühen verlor'ner Tage

Und das verschwendete Gold hervor.

Die alte Pförtnerin Zeit verschließt

Das Tor und die rostigen Glockenzüge

Und murmelt: »in Nichts zerfließt

Eitelkeit und Lüge.«


Was aber bewegt

Mit Wehmut das Herz dabei und regt

Das Mitleid wach trotz allem Fluche,

Der auf den Denkmälern der Hoffart ruht?

Verwandter Stolz, der zum Übermut

Und zu dem kühnen Versuche,

An Größtes zu reichen, heimlich nickt

Und sich selbst darin erblickt?

Oder jenes Mitleid, das für Alles spricht

Und Allem, was einmal geragt,

Selbst dem Frevelnden nicht

Nach seinem Falle die Trauer versagt?


Wie er sich bändige,

Sinnt der Verständige;

Alle Gedanken,

Die nach dem Glück

Schweifen und schwanken,

Bannt er in Schranken

Weise zurück.


Kann er sie ordnen,

Wenn er das Maß

Der ihm gewordnen

Kräfte vergaß?[255]

Was sie vergönnen,

Hofft er zu können,

Mehr zu vollbringen

Strebt er nicht an.

Will er's erzwingen,

Büßt er den Wahn,

Selbst im Gelingen.


Mächtig zu ragen,

Einzig und groß,

Krönet das Wagen

Weniger bloß.

Aber in Einem,

Im Guten groß zu sein,

Das allein

Wehrten die Götter noch Keinem!


Wie unter alten Mauern

Giftkraut wuchert und Schlangen lauern,

So droht mit Geistesnacht

Unter Namen, die zu den Sternen reichen,

Dem Eifer, ihnen zu gleichen,

Des Schicksals unheilvolle Macht.


Nur der Genius schreitet

Über sie weg; ihn leitet

Die Gefahr selbst, die er bezwingt.

Indem er mit ihr streitet,

Fühlt er sich schon beschwingt.


Doch nur Adler thronen

In Regionen

Solcher Höh'n.

Was ruhmvoll und schön,

Blüht nur für Wenige,

Nur für die Könige

Unter den Geistern.[256]

Darum, ihr Strebenden,

Folget den Meistern,

Den euch erhebenden,

Dient den Erkornen!

Weh den Verlornen! –


Weh den Unsel'gen, die berauscht

Von des Ruhmes vergoldeter Blöße,

Ihren Frieden eingetauscht

Für die Lockung falscher Größe!

Nimmer gesättigt wird ihr Herz

Von verzehrendem Grame,

Stünd' auch leuchtend vor ihnen in Erz

Oder in Marmor ihr prangender Name.


Rühmen will ich bescheidnen Wert

Und ein Dasein froh ertragen,

Das nicht allen Schmuckes entbehrt,

Doch dem Glänzenden kann entsagen;

Wenn mir gleich das Glück verlieh

Wenig nur von seinen Gaben,

Hab' ich doch Andrer Freude nie

Freventlich untergraben.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 254-257.
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