Pausanias und Kleonice

[147] Kalt war die Nacht, Schneeregen fiel,

Er saß am Kolcherstrande,

Da kamen zu ihm die Männer vom Nil,

Thebäer im dunklen Gewande;

Sie warfen in rauchende Pfannen das Kraut

Vom Lorbeer zu Schlangen- und Drachenhaut.
[147]

Der Rauch stieg mit dem Meeresdunst

Vermischt zum Mond hinüber,

Der wie durch eine Feuersbrunst

Herabsah trüb und trüber.

Abstreiften die Priester ihr faltig Gewand,

Entblößt im Rauch der Feldherr stand.


Er sprach: »Die ihr den Tod beschwört,

Beschwört mir den Schemen des Leibes,

Den ich heiß geliebt und den ich zerstört;

O lasset noch einmal des Weibes

Versöhnende Stimme mich hören und dann

Verschließet die Erde, vollendet den Bann!«


Pausanias sprach's, der Ägypter nahm

Und schlug metallene Platten.

Allmählich erschien's, und näher kam

Ein bleicher verwundeter Schatten

Und stand mit geschlossenem Augenlicht,

Mit rückgebogenem Angesicht.


Wie Rosenblüten im Mondenglanz

Sanft schienen die Wangen gerötet,

Ihr Haupt umgab ein Myrtenkranz;

Für den, der sie getötet,

War noch wie einst ihr Haupt geschmückt,

Von scheuem Sehnen der Mund umzückt.


Der Grieche rief: »Mein armes Reh! –

Und sank zu ihren Füßen –

O nenne der Strafen größtes Weh,

O lasse die Schuld mich büßen!

Sprich, künde mir, wo ich und wann,

Erzürnte, dich versöhnen kann!«


Er rief's, und sie erhob die Hand

Und sprach in sanften Worten:[148]

»Pausanias, kehre zum Vaterland!

In Sparta vor den Pforten

Des Pallastempels, dort allein

Wird deine Seele der Blutschuld rein.


Im Hades steht ein Lagerpfühl

Für dich und mich gebettet,

Die Pfosten sind mit Asphodil

Und Amaranth umkettet.

Dort kränz' ich mich zu deinem Empfang;

Die Parzen singen den Brautgesang.«

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 147-149.
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