152. Der Ameisentopf.

[96] Ein armer Handwerker in Marburg besaß einen Garten vor der Stadt in der Habichtsthalgasse, nahe dem Finis- oder Venusloch. Eines Morgens war seine Frau frühzeitig aufgestanden, um im Garten zu arbeiten und hatte ihm gesagt, daß er gleich nachkommen und ihr helfen möchte; aber als sie fortging, hatte er sich noch einmal umgewendet und war wieder eingeschlafen. Als sie nun in die Nähe ihres Gartens kam, fand sie einen Topf, der, wie sich bei näherer Untersuchung zeigte, mit Ameisen gefüllt war. »Wart,« sagte sie zu sich selbst, »das kommt mir eben recht; ich will dem Langschläfer einmal einen Possen spielen!« kehrte um und stellte den Topf, da ihr Mann noch immer schlief, unter's Bett. Später, als sie nach gethaner Arbeit wieder nach Hause kam, saß der Mann noch im Bette, das ganz mit Goldstücken übersäet war. »Was sind das für Goldstücke?« fragte er seine Frau, die vor Verwunderung gar nicht wieder zu sich selbst kommen konnte; sie dachte an die Ameisen und erzählte ihrem Manne den Streich. Wie sie den Topf unter dem Bette hervorzog, war von den Ameisen keine Spur mehr darin.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. XCVI96.
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