181. Zeugniß der Unschuld.

[118] Andere Sage.


Im Felde zwischen Grebenstein und Immenhausen liegt ein Triesch, welches die »weiße Frau« genannt wird. Es soll hier vormals die Richtstätte gewesen sein und man erzählt davon folgende Sage. Auf dem von Stockhausischen Gute zu Immenhausen diente einmal eine Kindermagd, welche, um einen unruhigen Säugling zu stillen, diesem mehrmals die eigne Brust reichte. Die Mutter wunderte sich, daß das Kind nicht nach ihr verlangte, fragte[118] die Magd aus und machte die Entdeckung, daß dieselbe Milch in der Brust habe. Die Magd schrieb diesen Umstand einem Wunder zu; als aber zu derselben Zeit in der Nähe von Immenhausen ein neugebornes todtes Kind gefunden wurde, fiel schwerer Verdacht auf sie und der Rath ließ sie ins Gefängniß werfen. Sie ward für die Mutter des gefundenen Kindes erklärt, des Kindesmordes schuldig gesprochen und zum Tode verurtheilt, obgleich sie beharrlich leugnete, daß das Kind von ihr geboren sei. Noch auf der Richtstätte rief sie laut: »Ich bin so gewiß unschuldig, als auf all den Stellen, welche mein Blut bespritzt, niemals wieder Gras wachsen wird!« Als sie hingerichtet war, versengte das Gras, das von ihrem Blute benetzt war, und es ist seitdem kein anderes daselbst gewachsen.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXVIII118-CXIX119.
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