212. Der Reinhardswald.

[143] Andere Auffassung.


Es gab einmal ein Graf Reinhard, dem alles Land, alle Dörfer und Städte zwischen der Diemel und dem Weserstrome gehörten. Er war aber ein arger Spieler. Eines Abends, als das Glück immerfort seinen Gegner begünstigte, ward er von seiner Leidenschaft so weit hingerissen, daß er zuletzt seine Grafschaft aufs Spiel setzte. Die Würfel entschieden auch diesmal zu seinem Unglück, Graf Reinhard war mit einem Wurfe ein armer Mann geworden. Da verfiel er auf eine List, dem habgierigen Gegner die Grafschaft wieder zu entziehen. Er bat ihn, daß er ihn noch eine Aussaat ernten lassen möge. Die Bitte ward zugestanden und Graf Reinhard eilte von dannen, um seine Anstalten zu treffen. Er brannte alle Dörfer nieder, trieb die Einwohner weg und ließ überall Waldsamen ausstreuen. Daraus ist der Reinhardswald aufgewachsen und der glückliche Spieler, welcher die Grafschaft gewonnen hatte, wartete noch heut zu Tage auf die Ernte, wenn er nicht längst gestorben wäre. An sehr vielen Stellen des Waldes[143] sind Spuren des früheren Ackerbaues noch sichtbar; Mittelrücken und Scheidefurchen der Aecker wechseln in unverkennbarer Regelmäßigkeit auf große Strecken hin mit einander ab.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXLIII143-CXLIV144.
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