225. König Grünewald erobert den Christenberg.

[152] Auf dem Christenberge, im Burgwald, stand vor Alters ein Schloß, darin wohnte ein König mit seiner einzigen Tochter, auf die er gar viel hielt und die wunderbare Gaben besaß. Nun kam einmal sein Feind, ein König, der hieß Grünewald, und belagerte ihn in seinem Schlosse. Die Belagerung dauerte lange und der[152] König wäre fast verzweifelt, hätte die Jungfrau ihm nicht immer neuen Muth eingesprochen. Das dauerte bis zum Maitage; da sah einmal die Königstochter, früh Morgens wie der Tag anbrach, das feindliche Heer mit grünen Zweigen den Schloßberg heraufkommen und es wurde ihr angst und bange, denn nun wußte sie, daß Alles verloren war, und sprach zum Vater:


Vater, gebt Euch gefangen,

Der grüne Wald kommt gegangen!


Darauf schickte sie ihr Vater ins Lager des Königs Grünewald, bei dem sie ausmachte, daß sie selbst freien Abzug haben sollte und noch dazu mitnehmen dürfte, was sie auf einen Esel packen könnte. Da nahm sie ihren eignen Vater, packte ihn darauf nebst ihren besten Schätzen und zog vom Schlosse weg. Als sie nun eine gute Strecke in einem fort gegangen war, sprach sie: »Hier woll mer ruhn!« Daher hat das Dorf »Wollmer« den Namen, das dort liegt. Bald zogen sie weiter durch Wildnisse und Berge, bis sie endlich in eine Ebene kamen. Da sagte die Königstochter: »Hier hats Feld!« Und da blieben sie und bauten sich ein anderes Schloß, das sie »Hatzfeld« nannten. Davon sieht man denn noch heutiges Tages die Ueberreste, und das Städtchen dabei nannte sich auch, wie die Burg, »Hatzfeld«.

Noch wird ein dem Christenberge nahe liegendes Thal das »Hungerthal« genannt, von dem vielen Elend während der Belagerung des Schlosses.

Da, wo der Berg sich mit dem Hauptrücken des Burgwaldes verknüpft, ist er durch siebenfache Gräben und Wälle befestigt; südlich unter ihm aber liegt die Lüneburg und nordwestlich die Lützelburg, zwei Hügel, von denen der erstere noch deutliche Spuren ehemaliger Befestigung zeigt.

Justi, Denkw. II, 1 u. V, 295 und Vorzeit 1820, S. 246, 248. – Landau, Kurhessen 392.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLII152-CLIII153.
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