245. Ritter Hans von der Warthe.

[171] Auf dem großen Leichberge bei Eschwege stand vor Alters eine Burg, darin wohnte einmal ein Ritter, genannt Hans von der Warthe, mit seiner Schwester, die männiglich als eine außerordentliche Schönheit bekannt war. In der Burg wimmelte es denn auch von Freiern aus der Nähe und Ferne; aber der eine war dem Fräulein nicht recht, der andere dem Junker zu schlecht, und viele mußten mit einem Korbe von dannen ziehen. Einer der Freier hatte sich indessen vorgenommen, kein Mittel unversucht zu lassen, welches ihm den Besitz des schönen Fräuleins in Aussicht stellte, und als er in Güte seinen Zweck nicht erreichte, sammelte er seinen Anhang und erschien vor der Burg, um die Jungfrau mit Gewalt zu entführen. Junker Hans aber war ein tapferer Ritter und der zudringliche Freier wurde sammt seiner Sippschaft geschlagen und von der Burg abgetrieben. Doch dieser gab sein[171] Vorhaben deshalb noch nicht auf; er machte einen zweiten Versuch, und diesmal war Hans unglücklich, denn die Entführung gelang.

Hans starb über seinen Racheplänen; aber wenn es Mitternacht schlug, verließ er seine stille Gruft und wandelte durch die verlassenen Räume der Burg, und auch jetzt noch, wo die Zeit jede Spur derselben vernichtet hat, soll er sich zuweilen am Berge zeigen.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLXXI171-CLXXII172.
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