248. Die Fräulein von Boyneburg.

[173] Auf eine Zeit lebten auf der Boyneburg drei Fräulein zusammen. Der Jüngsten träumte in einer Nacht, es sei in Gottes Rath beschlossen, daß eine von ihnen im Wetter sollte erschlagen werden. Morgens sagte sie ihren Schwestern den Traum und als es Mittag war, stiegen schon Wolken auf, die immer größer und schwärzer wurden, also daß Abends ein schweres Gewitter am Himmel hinzog und ihn bald ganz zudeckte und der Donner immer näher herbeikam. Als nun das Feuer von allen Seiten herabfiel, sagte die älteste: »ich will Gottes Willen gehorchen, denn mir ist der Tod bestimmt,« ließ sich einen Stuhl hinaustragen, saß draußen einen Tag und eine Nacht und erwartete, daß der Blitz sie träfe. Aber es traf sie keiner; da stieg am zweiten Tag die zweite herab und sprach: »ich will Gottes Willen gehorchen, denn mir ist der Tod bestimmt«; und saß den zweiten Tag und die zweite Nacht, die Blitze versehrten sie auch nicht; aber das Wetter wollte nicht fortziehen. Da sprach die dritte am dritten Tage: »nun seh ich Gottes Willen, daß ich sterben soll«; da ließ sie den Pfarrer holen, der ihr das Abendmahl reichen mußte; dann machte sie auch ihr Testament und stiftete, daß an ihrem Todestage die ganze Gemeinde gespeist und beschenkt werden sollte. Nachdem dies geschehen[173] war, ging sie getrost hinunter und setzte sich nieder und nach wenigen Augenblicken fuhr auch in Blitz auf sie herab und tödtete sie. Hernach, als das Schloß nicht bewohnt war, ist sie oft als ein guter Geist gesehen worden.

Br. Grimm d. S. 10.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLXXIII173-CLXXIV174.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen
Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen