250. Die Neustädter und Junker Hans von Dörnberg.

[175] Die Bürger von Neustadt waren ehemals ein gar wildes, unbändiges Völkchen, das seinem Herrn, dem Kurfürsten von Mainz, manche Sorge machte. Deshalb sprach der Kurfürst einstmals zu dem reichen Hans von Dörnberg, dem gewaltigen Hofmeister von Hessen: »Höre Hans, ich will Dir die Neustädter verpfänden, damit Du sie zähmest.« Und Hans war das zufrieden und zahlte dem Kurfürsten eine gewisse Summe. Um aber Hansen den Besitz zu sichern, kamen Beide überein, die Ablösung durch mehrere Bedingungen zu erschweren. Nur dann sollte dem Kurfürsten der Rückkauf zugestanden werden, wenn er die Pfandsumme in neuer, von ein und demselben Fürsten geprägter Münze erlege, einen kohlschwarzen Ziegenbock stelle, der auch nicht ein weißes Haar an sich habe und einen sieben Fuß langen Hagedorn liefere, von einem Schusse und ohne Aeste.

Hans nahm darauf Neustadt in Besitz und baute einen weiten Thurm, der noch jetzt vorhanden ist und »Junker-Hansens-Thurm« genannt wird. In diesen Thurm ließ Hans alle Bürger werfen, die seinem Willen nicht gehorchten und hielt sie bei schmaler Kost. Und die Bewohner des Thurmes mehrten sich von Tag zu Tag, so daß bald ein großer Theil der Bürger darin saß. Es wendeten sich zwar die Weiber an Hans, und baten, ihnen ihre Männer wieder zu geben, denn sie könnten dieselben nicht entbehren, aber es war vergeblich; auf den strengen Junker machten solche Bitten keinen Eindruck.

Den Neustädtern ward dies strenge Regiment natürlich immer lästiger und der Magistrat begann zu überlegen, wie die Stadt sich von demselben befreien könne. Aber jegliche Verhandlung, die darüber auf dem Rathhause gepflogen wurde, mochte das auch noch so geheim geschehen, kam zu des Junkers Kenntniß. Die Neustädter[176] zogen daraus den richtigen Schluß, daß der Teufel dem Junker dabei behülflich sei. Darum verlegten Bürgermeister und Rath ihre nächste Berathung ins offene Feld an eine Stelle, die noch heute der »gute Rath« genannt wird. Hier faßten sie nun den Beschluß, den Junker abzukaufen und um die schwierigen Mittel herbeizuschaffen, wurden drei Männer erwählt; der eine sollte die Sorge um das Geld, der andere um den Ziegenbock, der dritte die Lieferung des Hagedorns übernehmen. Der Letztere hatte die bequemste Aufgabe erhalten; er düngte eine Stelle seines Gartens auf das Sorgfältigste, pflanzte einen Hagedorn dahin und pflegte denselben früh und spät. Die andern Beiden mußten sich dagegen auf die Wanderung begeben und viele Länder durchziehen, ehe sie das fanden, was sie suchten. Der, welcher nach dem Gelde ausgezogen war, kam endlich nach der Schweiz und traf dort den Kaiser. An diesen wendete er sich, und der Kaiser war so gnädig und gewährte ihm seine Bitte. Der Andere aber fand erst in Ungarn einen Ziegenbock, wie er sein mußte. Inzwischen war auch der Hagedorn so vortrefflich gediehen, daß, als Jene mit dem Gelde und dem schwarzen Ziegenbocke heimkehrten, derselbe, statt der nöthigen 7 Fuß, sogar 9 Fuß hoch gewachsen war.

So waren denn alle Bedingungen herbeigeschafft und die Neustädter zögerten nun auch nicht einen Augenblick mehr, das schwere Joch des Junkers von ihrem Halse zu werfen.

Landau im hess. Volksbl. 1843 S. 47.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLXXV175-CLXXVII177.
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