271. Fischbeck.

[194] Tief im Lande der Sachsen wohnte auf seiner Burg am Weserstrome Graf Ricpert mit Helmburg seiner Gemahlin. Aber so keusch und tugendhaft diese auch war, quälte doch Eifersucht Ricperts Herz. Mit Kaiser Otto hatte er einst rühmlich gegen die Ungarn gefochten und kehrte nun heim zu seinem Stammsitze; da warf eine schwere Krankheit ihn aufs Lager. In ihrem Schmerze gedachte Helmburg eines Tränkleins, welches ihr ein aus dem heiligen Lande heimkehrender Pilger gegeben und das, wie der fromme Mann gesagt hatte, jede Krankheit sofort heilen, aber die furchtbarste Raserei erzeugen werde, wenn der, der es genieße, Argwohn im Herzen hege. Nichts Schlimmes ahnend, reicht Helmburg dem geliebten Gatten das Fläschchen; aber kaum sind die letzten Tropfen über seine Lippen, so beginnt er schrecklich zu wüthen und zu rasen und um sich zu werfen und zu schlagen; Alle droht er mit dem Schwerte zu durchbohren, die sich ihm nahten, selbst Helmburg konnte nur mit genauer Noth seiner Blutgier entrissen werden. Nach langen furchtbaren Stunden fiel er endlich in einen tiefen Schlummer, aus dem er zwar äußerlich ruhig, aber mit dem gräßlichen Verdachte erwachte, daß das Tränklein Gift gewesen sei, und er beschloß Helmburgs Tod. Schon hat er den Henker bestellt, da tritt Helmburg zu ihm, tief gekränkt durch das Gefühl getäuschter Liebe und betrogener Zärtlichkeit, und verletzt durch die Ueberzeugung, daß ihres Gatten Liebe mit Argwohn gemischt gewesen. Aber ihr[194] Trübsinn macht dem Gatten ihren Treubruch nur unzweifelhafter. Mit ruhiger Würde, obgleich mit zerrissenem Herzen, hört sie seine Vorwürfe an und erbietet sich endlich ihre Unschuld durch die Feuerprobe zu beweisen. Alsbald wird ein Holzstoß auf einer Ebene aufgerichtet und die Gräfin, eng bewacht, blos mit einem härenen Hemde bekleidet, herausgeführt. Sie empfiehlt sich der Himmelskönigin und tritt muthig ins Feuer. Zweimal geht sie unversehrt durch die Flammen, aber beim drittenmal fällt ihr ein Funke auf die nackte Schulter und das galt dem Grafen als ein Zeichen ihrer Schuld.

In seiner Verblendung hatte Ricpert indessen auf die grausamste Strafe gesonnen. Die Gräfin wurde mit ihrer treuesten Zofe in einen mit wilden Rossen bespannten Wagen gesetzt und ihrem Schicksale überlassen. Bis zum Mittag dauerte die furchtbare Fahrt durch Berg und Thal und durch Feld und Wald und Sumpf; da hielten die durstig keuchenden Rosse endlich an einem Bächlein, um zu trinken, und den Augenblick benutzend, den der Himmel zu ihrer Rettung bot, sprang Helmburg mit ihrer Zofe aus dem Wagen in die Fluth. Ein »zappelnd Fischlein« gerieth ihr dabei in die hohle Hand und mit diesem Zeichen stieg sie ans Ufer, dankte auf ihren Knien lange und inbrünstig Gott für ihre Rettung und gelobte an dieser Stelle ein Kloster zu bauen zur Ehre St. Johannis.

Kurz nachher wurde denn auch der Bau begonnen und bald erklangen die frommen Gesänge der Nonnen daraus zum Himmel empor, in deren Gemeinschaft Helmburg fortan den Rest ihrer Tage verlebte.

Zur Erinnerung an den Augenblick ihrer Rettung, da das Fischlein im Bache ihr in die Hand gerieth, nannte Helmburg das Kloster »Fischbeck«.

Noch zeigt man im Betchor der Klosterkirche eine alte gewirkte[195] Decke, auf welcher in mehreren Feldern die ganze Begebenheit bildlich dargestellt ist.

Mündlich. – Justi, Vorzeit 1827, S. 236.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CXCIV194-CXCVI196.
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