292. Ludwig der Friedsame in Aachen.

[210] Herzog Philipp von Burgund hatte sich, da der Mannsstamm der Herzöge von Brabant erloschen war, mit Gewalt in dieses reiche Land gedrängt und Landgraf Ludwig, der doch durch seinen Ahnherrn, Heinrich I., ein rechter Erbe der Herzöge von Brabant war, reiste nach Aachen, um daselbst seine Ansprüche geltend zu machen. Es befand sich aber gerade daselbst ein Graf von Henneberg[210] (Heinsberg?), welcher vormals wider den Landgrafen gedient und in der nassauer Niederlage großen Schaden erlitten hatte. Der glaubte, daß es Zeit sei, solche Schmach zu rächen, und zeigte dem Magistrat an, daß der Landgraf aus keiner andern Ursache gekommen, als sich der Stadt zu bemächtigen, damit er dadurch desto eher seinen Zweck erreichen könne. Der Rath schenkte zwar den Worten des Grafen wenig Glauben, ließ jedoch den Landgrafen deshalb ansprechen, der mit hoher Entrüstung diesen Verrath von sich wies. Doch verschmähte er es nicht, mit dem Rathe zu dem Grafen sich zu verfügen, den er über die schändliche Verläumdung mit den Worten zu Rede stellte: »Du Graf erdichtest aus giftigem, bitterm Haß und teuflischem Neid wider mich solch boshafte That, die mir niemals in meine Gedanken gekommen; und so wahr, als Du mir unrecht und unverschuldeter Weise diesen Verrath aufbürdest, so gewiß möge Gott und die heilige Frau Elisabeth geben, daß der, welcher von uns Unrecht hat, tobend, wüthend und rasend werde vor diesen frommen Leuten.« Der Landgraf hatte kaum geendet, als der Graf sobald zu toben und zu wüthen anfing und in schrecklichster Raserei den Geist aufgab. Da haben die Rathsherrn des Landgrafen Unschuld erkannt und um Verzeihung und fernere Gnade gebeten.

Hess. Reimchronik ap. Kuchenb. in Anal. Hass., coll. VI, 347. – Winkelm., VI, 373.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCX210-CCXI211.
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