302. Landgraf Moriz und der Soldat.

[218] Es war ein gemeiner Soldat, der diente beim Landgrafen Moriz und ging gar wohl gekleidet und hatte immer Geld in der Tasche; und doch war seine Löhnung nicht so groß, daß er sich, seine Frau und Kinder so stolz davon hätte halten können. Nun wußten die andern Soldaten nicht, wo er den Reichthum herkriegte, und sagten es dem Landgrafen. Der Landgraf sprach: »Das will ich wohl erfahren.« Und als es Abend war, zog er einen alten Linnenkittel[218] an, hing einen rauhen Ranzen über, als wenn er ein alter Bettelmann wäre, und ging zum Soldaten. Der Soldat fragte: »was sein Begehren wäre?« – »Ob er ihn nicht über Nacht behalten wollte?« – »Ja«, sagte der Soldat, »wenn er rein wäre und kein Ungeziefer an sich trüge;« dann gab er ihm zu essen und zu trinken und als er fertig war, sprach er zu ihm: »kannst Du schweigen, so sollst Du in der Nacht mit mir gehen und da will ich Dir etwas geben, daß Du Dein Lebtag nicht mehr zu betteln brauchst.« – »Ja, schweigen kann ich und durch mich soll nichts verrathen werden.« Darauf wollten sie schlafen gehen; aber der Soldat gab ihm erst ein rein Hemd, das sollte er anziehen und seins aus, damit kein Ungeziefer in das Bett käme. Nun legten sie sich nieder, bis Mitternacht kam; da weckte der Soldat den Armen und sprach: »steh' auf, zieh' Dich an und geh' mit mir!« Das that der Landgraf und sie gingen zusammen in Cassel herum. Der Soldat aber hatte ein Stück Springwurzel; wenn er das vor die Schlösser der Kaufmannsläden hielt, sprangen sie auf. Nun gingen sie beide hinein; aber der Soldat nahm nur vom Ueberschuß etwas, was einer durch die Elle oder das Maas herausgemessen hatte, vom Kapital griff er nichts an. Davon nun gab er dem Bettelmann auch etwas in seinen Ranzen. Als sie in ganz Cassel herum waren, sprach der Bettelmann: »wenn wir doch dem Landgrafen könnten über seine Schatzkammer kommen.« Der Soldat antwortete: »Die will ich Dir auch wohl weisen, da liegt ein Bischen mehr als bei den Kaufleuten.« Da gingen sie nach dem Schlosse zu und der Soldat hielt nur seine Springwurzel gegen die vielen Eisenthüren, so thaten sie sich auf; und sie gingen hindurch, bis sie in die Schatzkammer gelangten, wo die Goldhaufen aufgeschüttet waren. Nun that der Landgraf, als wollte er hineingreifen und eine Hand voll einstecken. Der Soldat, als er dies sah, gab ihm drei gewaltige Ohrfeigen und sprach: »meinem gnädigsten[219] Fürsten darfst Du nichts nehmen, dem muß man getreu sein!« »Nun, sei nur nicht bös«, sprach der Bettelmann, »ich habe ja noch nichts genommen.« Darauf gingen sie zusammen nach Hause und schliefen wieder, bis der Tag an brach; da gab der Soldat dem Armen erst etwas zu essen und zu trinken und noch etwas Geld dabei und sprach auch: »wenn das all' ist und Du brauchst mehr, so komm nur getrost zu mir, betteln sollst Du nicht.«

Der Landgraf aber ging in sein Schloß, zog den Linnenkittel aus und seine fürstlichen Kleider an. Darauf ließ er den wachhabenden Hauptmann rufen und befahl, er sollte den und den Soldaten – und nannte den, mit welchem er die Nacht herumgegangen war – zur Wache an seine Thür beordern. »Ei«, dachte der Soldat, »was wird da los sein? Du hast noch niemals die Wache gethan; doch wenns dein gnädiger Fürst befiehlt, ists gut.« Als er nun da stand, hieß der Landgraf ihn herein treten, und fragte ihn: »warum er sich so schön trüge und wer ihm das Geld dazu gebe?« – »Ich und meine Frau wir müssens verdienen mit Arbeiten«, antwortete der Soldat und wollte weiter nichts gestehen. »Das bringt so viel nicht ein«, sprach der Landgraf, »Du mußt sonst was haben.« Der Soldat gab aber nichts zu. Da sprach der Landgraf endlich: »ich glaube gar, Du gehst in meine Schatzkammer und wenn ich dabei bin, gibst Du mir eine Ohrfeige.« Wie das der Soldat hörte, erschrack er und fiel vor Schrecken zur Erde hin. Der Landgraf aber ließ ihn von seinem Bedienten aufheben, und als der Soldat wieder zu sich selber gekommen war und um eine gnädige Strafe bat, sagte der Landgraf: »weil Du nichts angerührt hast, als es in Deiner Gewalt stand, so will ich Dir Alles vergeben, und weil ich sehe, daß Du treu gegen mich bist, so will ich für Dich sorgen;« und gab ihm eine gute Stelle, die er versehen konnte.

Br. Grimm, d. S. 565.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXVIII218-CCXX220.
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