303. Das Wirthshaus von Bettenhausen.

[220] In dem Dorfe Bettenhausen bei Cassel lag schon vor dreihundert Jahren die Schenke auf einer von mehreren Armen der Losse umflossenen Insel. Dort pflegte der Landgraf Moriz mit seinen Hofcavalieren und Jagdjunkern nach der Jagd zuweilen einzukehren und es ging dann nicht selten sehr lustig auf der Insel her. Gewöhnlich endeten diese Gelage damit, daß die von Wein erhitzten Jäger im tollen Uebermuthe alle Fenster im Hause zerschlugen. Einst kam der Landgraf durch das Dorf und ritt nach der Insel, um sich einen Trunk reichen zu lassen. Das Haus hatte ein wunderliches Ansehen gewonnen, denn nirgends war mehr eine Glasscheibe zu sehen, an deren Stelle geölte Papierstücke auf die Rahmen geklebt waren. »Alle Wetter!« rief der Fürst, »Deine Schenke sieht ja aus, wie ein bepflasterter Lanzknecht, dem sie den Leib zerhauen und zerstochen haben. Was soll das bedeuten?« – »Ach, durchlauchtigster Heer!« erwiederte der Wirth unter vielen Bücklingen, »die Fenster haben mich schon so vieles Geld gekostet, daß ich ein ruinirter Mann werde, wenn das so fort geht. Erst vor acht Tagen haben mir die Junker wieder alle Scheiben zertrümmert und so habe ich gedacht, es sei besser, die Rahmen künftig mit Papier zu bekleben.« – Der Landgraf schüttelte den Kopf, als wäre er unzufrieden mit den wüsten Junkern und sagte zum Wirth: »Lasse Deine Fenster immerhin wieder machen und damit Du nicht zu Schaden kommst, so bitte Dir eine Gnade aus.« Das klägliche Gesicht des Inselwirths klärte sich bei diesen tröstlichen Worten plötzlich wieder auf. Ohne sich lange zu besinnen, sagte er: »Durchlauchtigster Herr und Fürst! Wenn Ihr mir eine Bitte gewähren wollt, so nehme ich diese Gnade mit unterthänigem Danke an. Ich mag weder Geld noch Gut, weder Titel noch Würden; ich bitte nur, daß, so lange noch ein Balken von[221] meinem Hause übrig ist, kein Anderer im Dorfe Wirthschaft treiben darf, als ich und meine Nachkommen.« – »Die Bitte ist Dir gewährt«, sagte der Landgraf, worauf er seinen Becher leerte und weiter ritt. Der schlaue Wirth aber ist reich geworden bei seinem Privileg, in dessen Besitz seine Nachkommen sich noch jetzt behaupten. Auf der Insel steht nunmehr ein großes, stattliches Haus, die alte, baufällige Schenke von damals ist aber noch dahinter zu sehen.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXX220-CCXXII222.
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