316. Der Mädchenraub.

[234] In dem Wolff von Gudenbergschen Dorfe Meimbressen findet folgendes alte Herkommen statt: Das Dorf hat ein s.g. Rathhaus mit zwei Sälen und von jeher einen Peitschmeister, der zu gleicher Zeit ein Schuhmacher ist. Jedes der beiden Geschlechter ist auf einem der Säle, dergestalt, daß der Bursch sein Mädchen vom Weibersaal stehlen oder durch List und Gewalt entführen muß. Gelingt es den Mädchen, einen Burschen festzuhalten, so wird er von den andern Burschen, auf einer Leiter liegend, herumgetragen, muß alsdann vor einer steinernen Bank hinknieen und wird von dem reimfertigen Peitschmeister unter seinem Gesange gepeitscht.

Handschriftliche Nachricht vom Jahre 1800.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXXIV234.
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