317. Das Lehnausrufen.

[234] Eine eigenthümliche, gewiß ins höchste Alterthum reichende Sitte ist das Lehnausrufen in der Schwalm- und Lahngegend. In der Walpurgisnacht ziehen die jungen Bursche unter Gesang und Peitschengeknalle aus dem Dorfe; Einer von ihnen stellt sich auf einen Stein oder eine Anhöhe und ruft:


»Hier steh' ich auf der Höhe

Und rufe aus das Lehn, das Lehn, das erste (zweite etc.) Lehn,

Daß es die Herrn recht wohl verstehn!

Wem soll das sein?«


Die übrige Versammlung antwortet, indem sie die Namen eines Burschen und eines Mädchens nennt, mit dem Zusatz:


»In diesem Jahre noch zur Ehe!«


Dann beginnt wieder Gesang und Peitschengeknall und dies wiederholt sich, bis die Reihe der Heirathsfähigen durchgegangen ist.

Man nennt diese sonderbare Verbindung »Mailehn«. Die für beide Theile daraus entspringende Verpflichtung besteht nur darin, das ganze Jahr lang mit keinem oder keiner Dritten zu tanzen. Der Bursch empfängt von seinem Mädchen einen s.g. Lehnstrauß, welchen dieses selbst ihm auf den Hut befestigt.

Früher zündeten die Bursche während des Lehnausrufens auch Feuer an, schossen und tranken bis zum andern Morgen und geriethen darüber nicht selten in kirchliche und weltliche Strafen.

Landau, in der Zeitschr. für hess. Gesch. etc., II, 272. – Vgl. a. Glaser, Gesch. d. St. Grünberg, Urkb. 249.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXXIV234-CCXXXV235.
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