322. Osterfeuer.

[240] Zu Ostern pflegte das Landvolk Feuer auf den Höhen anzuzünden und man beobachtete sorgfältig, nach welcher Gegend hin der Wind die Flammen blies, dahin wurde für das Jahr der Lein gesäet, denn man glaubte, daß er da am besten gedeihe. Obgleich polizeilich verboten, erhielt sich der Gebrauch hier und da, namentlich in Volkmarsen, noch bis in die neueste Zeit.[240]

Eine kleine halbe Stunde nordwestlich von Volkmarsen hebt sich steil und hoch ein nackter Berg empor, dessen Gipfel die Trümmer der Kugelburg trägt. Es sind zwar nur noch ein paar Thürme und stolzaufstrebende Mauerwände, die aber, besonders von der Südseite aus einiger Ferne betrachtet, in malerischer Gruppirung einen erhebenden Anblick gewähren. Hinter der Burg schiebt der Schloßberg noch eine zweite kleinere Kuppe hinauf, die oben eine trichterförmige Vertiefung hat, diese Vertiefung soll von den Osterfeuern herrühren, die von den Volkmarsern hier abgebrannt wurden. Sie gruben eine Tanne in den Boden und bewarfen sie bis zur Spitze mit Stroh, oben an wurde eine Theertonne gebunden und dann der Haufen angesteckt.

Die Bürger, welche im obern Theile der Stadt, nach dem Todtenhofe zu, wohnten, hießen die »Oberlinge«, die im untern Theile, die »Niederlinge«. Jeder Theil stellte einen Wagen, auf welchem am dritten Ostertage jeder in seinem Bezirke Stroh zusammenholte, das unentgeltlich verabreicht wurde. Welcher Theil nun zuerst mit dem Stroh auf der Feuerstätte ankam, der war Sieger und ihm galt das Lied, das beim Umgang um das Feuer von den Burschen und Mädchen gesungen wurde und ungefähr so anging:


Der Oberling, der Oberling soll leben!


oder, hatten die Niederlinge gesiegt:


Der Niederling, der Niederling soll leben!


Noch im Jahr 1831 wurde neben der Kugelsburg ein Osterfeuer abgebrannt, doch fand sich die Behörde veranlaßt, deshalb eine Untersuchung gegen die Theilnehmer einzuleiten.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXL240-CCXLI241.
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