328. Maifeier.

[246] Die uralte Sitte der Maifeier hat noch hin und wieder in Deutschland sich erhalten, obwohl das Volk längst schon ihre Bedeutung nicht mehr kennt, und darin nur noch ein Zeugniß seiner Anhänglichkeit an das Althergebrachte an den Tag zu legen scheint.

Unsere Alten feierten den Einzug der schönen Jahreszeit, indem sie bald den Kampf des Winters mit dem Sommer personifizirt darstellten, bald den Winter als Popanz mit Gesang und Spiel austrieben oder auch die Ankunft des Sommers durch Holen des Maies feierlich begrüßten. Das Letztere mag in Hessen, wenigstens in Niederhessen, ziemlich allgemein der Fall gewesen sein; woher sonst wohl der Gebrauch, den wir fast in jeder Stadt, in jedem Dorfe treffen, die Häuser und Kirchen um Pfingsten mit duftenden Birkenzweigen (Mai) zu schmücken? Aber wie in Schwaben die Kinder mit Sonnenaufgang in den Wald ziehen, Knaben und Mädchen, seidene Tücher an Stäben und Bänder an Zweigen tragend, einen Maikönig und eine Königin an der Spitze, so hat auch in dem niederhessischen Städtchen Wolfhagen diese Feier noch ähnlich sich erhalten, doch mit dem Unterschiede, daß hier nur die Knaben bis zu 14 Jahren in den Wald ziehen und der Name »Maikönig« nicht mehr üblich ist.

Schon vorher wählen die »Maijungen« ihre Offiziere, einen ersten und einen zweiten, und ihre Fahnenträger. Am Freitag vor Pfingsten früh mit Sonnenaufgang verkünden ein Trommler und ein Pfeifer durch eine Reveille den Knaben den langersehnten Anbruch des Maitages. Auf dem Markte ist der Sammelplatz. Die[246] größeren Knaben, darunter 4-6 als Zimmerleute verkleidete, mit Schurzfellen und dreieckigen Hüten, Tornister auf den Rücken, ziehen in den Wald, von dem Stadtförster und einer Magistratsperson begleitet. Die Letzteren überweisen die Bäume, welche von einem Holzhauer gefällt, auf einen Wagen geladen und nach der Stadt gefahren werden. (Früher trugen die Knaben den Mai auf den Schultern nach der Stadt und warfen die Büsche dann bis zur Vertheilung vor der Kirche zusammen.) Vor der Stadt werden sie von den übrigen »Maijungen« mit lautem Jubel empfangen und bis vor die Kirche geleitet, worauf der Wagen dreimal um dieselbe und dann unter stetem Trommel- und Pfeiffenklang und Hurrahrufen durch alle Gassen der Stadt gefahren wird. Die Ordnung dabei ist folgende: Der Wagen mit dem Mai voran, die Pferde mit Zweigen und bunten Bändern geschmückt, dann Trommler und Pfeifer, darauf die Zimmerleute, nächst diesen der erste Offizier, als oberster Befehlshaber, dem dann, je zwei nebeneinander, der lange Zug der andern Knaben folgt, dazwischen die zwei oder drei Fahnenträger und nebenher der zweite Offizier; Alle sind militärisch gekleidet mit Tschakko's, Epaulettes, Degen oder kleinen Schießgewehren und sonst mit buntem Flitterwerk herausgeputzt und die Fahnen mit Bändern aller Farben im Uebermaß behangen. Diese militärische Organisation ist aber sicher noch nicht alt und mag erst nach dem dreißigjährigen Kriege aufgekommen sein, wo Wolfhagen eine fast ständige Garnison erhielt, die erst zu Anfang dieses Jahrhunderts wieder verlegt wurde. – Nachdem nun der Zug an der Kirche wieder angekommen ist, beginnt die Vertheilung des Maies. Zuerst wird die Kirche ausgeschmückt, die Schule, Pfarre und das Rathhaus bestellt, dann geht es an den Magistrat und die andern Beamten und Bürger der Stadt, bei denen auf ein gutes Geschenk zu rechnen ist. Die Zimmerleute tragen die Bäume und stellen sie vor den Häusern auf und ein[247] Offizier geht hinein und empfängt die Geschenke, wovon die Kosten des Festes bestritten werden. Endlich ist die Stadt versorgt und nun geht es nach dem eine halbe Stunde entfernten von Malsburgschen Gute Ellmarshausen, wo das Schloß, die Pachterwohnung und andere ebenfalls mit Mai umstellt werden. Erst gegen zwei Uhr Nachmittags kehren die Knaben von da zurück und damit ist das Fest zu Ende. Der Mai bleibt aber in der Kirche und vor den Häusern stehen bis die Pfingstfeiertage vorüber sind.

In Ehlen ziehen die Confirmanden jährlich am Pfingstsonnabend in den Wald, um Mai zu holen, womit sie die Kirche schmücken. Früher, ehe die Forstbehörde Strafe darauf setzte, holten dort auch die erwachsenen Bursche große Maibäume und pflanzten sie in der Pfingstnacht unter dem Fenster ihrer Auserwählten auf.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXLVI246-CCXLVIII248.
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