An O.H. Schönhuth,

[800] Herausgeber des Nibelungenliedes und verschiedener Volksbücher. Bei der Geburt seines ersten Töchterchens


Das Neugeborne spricht:


Herr Vater, gebt Euch nur zufrieden!

Ich kann ja wahrlich nichts dafür;

Ein Mädchen hat Euch Gott beschieden,

Jedoch ein hübsches, sagt man mir.


Viermal war Euch der Himmel willig

Und hat den kühnern Wunsch erfüllt,

So gönnt er jetzt einmal, wie billig,

Der Welt ein Mutterebenbild.


Ihr rühmt Euch Eurer Haimonskinder;

Doch seht Ihr, einen sanften Stern

Zu Milderung der Kraft, nicht minder

Auch eine Melusine gern.
[800]

Ihr mögt aus mir ein Mägdlein bilden

Nach Eurem Sinn, von deutscher Art:

Nennt mich Chriemhilden und Chlotilden,

Gertrudis oder Irmengard.


Zur Harfe künftig sei gesungen

Manch Lied aus Eurem Rosenflor,

Ich lese selbst die Nibelungen

Euch im Originale vor.


Ich spinn Euch selbstgezogne Seide,

Will allen Fleiß den Bienen weihn;

Ich hoffe Eure Augenweide

Noch spät und Euer Stolz zu sein.


Mein Prahlen scheint Euch zu erbauen,

Ihr lächelt, und ich fasse Mut,

Noch etwas mehr Euch zu vertrauen;

Gewiß Ihr haltet mir's zugut.


Ich komme frisch vom Paradiese,

Wo man von künftgen Dingen sprach;

Man meint, wenn ich willkommen hieße,

So kämen noch drei Mädchen nach!


Ihr starrt mich an – um Gottes willen,

Hört mich, Papa, zähmt den Verdruß!

Es macht, die Neunzahl schön zu füllen,

Ein hörnen Siegfried den Beschluß.


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 800-801.
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