Früh im Wagen

[744] Es graut vom Morgenreif

In Dämmerung das Feld,

Da schon ein blasser Streif

Den fernen Ost erhellt;


Man sieht im Lichte bald

Den Morgenstern vergehn,

Und doch am Fichtenwald

Den vollen Mond noch stehn:


So ist mein scheuer Blick,

Den schon die Ferne drängt,

Noch in das Schmerzensglück

Der Abschiedsnacht versenkt.


Dein blaues Auge steht

Ein dunkler See vor mir,

Dein Kuß, dein Hauch umweht,

Dein Flüstern mich noch hier.


An deinem Hals begräbt

Sich weinend mein Gesicht,

Und Purpurschwärze webt

Mir vor dem Auge dicht.


Die Sonne kommt; – sie scheucht

Den Traum hinweg im Nu,

Und von den Bergen streicht

Ein Schauer auf mich zu.
[744]

Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 744-745.
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