Sacco und Vanzetti

[161] II (Juli 1927)


Gestreift, besternt von den Dächern weht's.

Es feiert der Zukunft Boten

das Sternbanner der United States.

Heil euch, ihr tapfern Piloten!

Es jubelt die ganze alte Welt

und jauchzt zu Amerikas Ehre:

Ein neuer Rekord ward aufgestellt

in der Bezwingung der Meere!


Doch während die Flieger in Nacht und Graus

zwischen Himmel und Ozean schweben,

da schweben zwei Männer im Kerkerhaus

jahrelang zwischen Sterben und Leben.

Und während Europa mit Hoch und Hurra

Amerikas Sporthelden huldigt,

da werden im selben Amerika

zwei Schuldlose tödlich beschuldigt.


Seit sieben Jahren in Einsamkeit,

an Leib und Seele geschunden!

Seit sieben Jahren dem Tode geweiht,

des Richtstuhles fällig befunden!

Der Sheriff sagt: Schuldig! – Die Welt ruft: Nein![161]

Doch Spitzel und falsche Zeugen

sind billig. Sie schwören Stein und Bein,

um Wahrheit und Recht zu beugen.


Was laßt ihr Vanzetti und Sacco nicht los,

ihr Richter, aus ihren Zellen? –

Sind doch zwei arme Proleten bloß.

Wie? Aufrührer sind's und Rebellen!

Ja! Darum die siebenjährige Qual

und darum: Rache den Mördern!

Und darum will man sie dieses Mal

endgültig zum Henker befördern!


Mord?! Menschen, der Richter sinnt auf Mord!

Ihm mag's in die Ohren gellen:

Halt ein, Amerika, diesen Rekord

der Niedertracht aufzustellen!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 161-162.
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