Sechste Scene.

[250] Inwendiges des Thurms.

Genovefa auf dem Stroh, ihr Kind in den Armen.


GENOVEFA. Schmerzensohn sollst heissen; Schmerzenreich. Ich habe dich getragen mit viel Schmerzen, gebohren mit Schmerzen, viel ward mir um dein und deines Vaters willen zu Theil. Lieber, süßer Kleiner, du weißt[250] nichts davon. Wi wi wi! Schlummre, süß Kindlein, so süß! Wollen sie den Vater dir rauben? Unschuld, dürfen's doch nicht! Wi wi wi! Es ist Einer, der in Wolken hoch thront und süßer Kindlein Erretter ist. Lächelst im Schlummer mich an; dein Lächeln weckt mir Thränen, ach!

Schlummre, schlummre immer zu,

Engelein dich decken

Mit Flügelein zur Ruh!

Wollt' dich auch wecken

Höllenmacht:

Ueber dir wacht

Des Starken Kraft

Läßt dich nicht schrecken.

Schlaf' wohl!

Hoffnungslicht

Schon durchbricht

Kerkernacht.

Schlaf' und schlummre friedevoll,

Schatz, dich Niemand stören soll.

Popeyo!


Wiegt es in den Armen und küßt es.


GOLO schließt auf, kommt herein, das Schmuckkästchen im Arm.

GENOVEFA. Ha, welch ein Teufel kommt wieder, mir meine Seligkeit zu rauben? Dreht sich.[251]

GOLO. Genovefa, hörst du? Ich komme nicht wieder, dir von Neuem vorzuwimmern; es ist vorbey das. Oh! – Das Letzte zu deiner Rettung kündige ich dir an. Du bist verloren, hin, dein Todesurtheil ist gesprochen und unterschrieben; wie und auf was Art, ist die Frage nicht. Jetzt ist's noch Zeit; den Augenblick, jetzt noch! Bald ist's zu spät; dann treffe dein Vorwurf mich nicht. Komm', rette dich, rette mich, rette uns Alle! Wir wollen dein Blut nicht. Ja, bey allem dem Elend, das mein Herz zerdrückt, bey all' deiner Grausamkeit, ich wollte doch lieber tausendmahl das meine dahin sprützen: flieh' mit mir! Ich will ehrlich an dir thun, will dich nur entfernen an einen sichern Ort, in ein Kloster, ohne Berührung deiner Ehre, so wahr mir Gott helfe. Diese Schätze alle für dich in Bereitschaft.

GENOVEFA. Fliehn mit Golo? Nein, nein, Verräther, fern mit deinen Blicken!

GOLO. Unerbittliche, hier knie' ich vor dir. Kniet. Bruge, beuge diesen Felsensinn, der uns Alle zu Grunde richtet.[252]

GENOVEFA. Nimmermehr!

GOLO. O! Närrin! Was begehrst du noch weiter? Was kann Golo noch thun? Ich war bisher nur ein armer, hungriger Bettler, der nach übergebliebenen Brosamen schnappte, und du verweigertest sie, und es freute dich, sagen zu dürfen: hungre dich zu Tode! Ewig den Gecken spielen, immer betteln, wo mir belieben darf! Du bist keiner zärtlichen Ehrerbiethung werth. O mein Herz! Es wendet sich um und weint in mir; ach! – Doch laß ... Möcht' ich doch gleich hier versinken in Schmerz zu deinen Füßen! Du könntest dann deinen stolzen Triumph enden, könntest über mir stehen, über der Leiche und frohlocken, daß du mich erlegt. Ha Genovefa, wenn das Tugend ist, so weine der Himmel, daß es Tugend giebt, die den Unglücklichen verstößt. In der letzten Stunde wirst du ohne Trost bleiben, werden Golo's Leiden schwer vor dir stehn. Ach! Ach! Doch, es sey so. – Höre, dein Gemahl Siegfried ist in der Schlacht geblieben; Bellamir, der stolze Sultan, hat ihn im Zweykampf erlegt; seine Waffen überbrachte man mir heute, mir, der ich nun Erbe aller seiner Güter, Erbe deiner selbst bin. – Ihr draus! Bringt herein! Steffen bringt blutige Waffen, legt sie vor Genovefen nieder und ab. Sieh, Schwert[253] und Helm, die ganze stolze Rüstung, die er sonst trug! Sein dran klebend Blut bezeugt die Wahrheit.

GENOVEFA. Ach gib mir das Schwert, woran sein theures Blut klebt, laß mich's in meine Hände fassen; reich' mir's her! Golo gibt ihr das Schwert, sie dreht es um an die Erde, die Spitze an der Brust, hinein zu fallen. O Betrüger! Sollst mich nicht fangen! Ich kenne meines Gemahls Waffen; diese sind sie nicht; hineinfallen gleich in dieß Schwert will ich, mich durchstechen, wo du nicht gleich diesen Kerker verlässest. Die Wächter sollen's dir nachschreyn, wenn du von hinnen gehst: Golo hat Genovefen ermordet!

GOLO reißt das Kind vom Stroh auf in die Luft, das Kind schreyt.

Zerschmettern soll, hier schwing ich ihn

Am Beine hoch, du siehst ihn zappeln,

Ohn' Mitleid, ohn Bedauern

Die Brut hier an die Mauern!

GENOVEFA stößt das Schwert weg, fällt vor Golo's Füße.

Was willst? Allmächt'ger Gott, halt' ein![254]

GOLO.

Vergebens all', alle Gewalt!

GENOVEFA.

Golo halt'!

O wenn du den Himmel hoffst, halt' ein;

Sieh meinen Jammer!

GOLO.

Vergebens flehst jetzt meiner Wuth,

Färben soll sein unschuldig Blut

Rosinroth diese Kammer.

GENOVEFA.

O nein! Ach nein! Oh sieh auf mich!

Erbarme dich! Erbarme dich!

GOLO.

Was fällst mir in die Arme?

Was netzest so mit Thränen mich?

Liebe bringt dir kein Erbarmen,

Nur Grausamkeit durchdringet dich.

Weh dem Mann, der Rettung begehrt

Vom Weib, er ist verloren![255]

Eh fänd' er sie vor des Drängers Schwert,

Im Pantherrachen und bey wilden Mohren.

GENOVEFA umfaßt seine Kniee.

Lass' dich nicht, lass' dich nicht,

Verwende nicht dein Angesicht!

GOLO.

Nimm ihn aus des ergrimmten Löwen Zähnen!

Ich lehre dich Barmherzigkeit.

Versag's mir nicht, warum ich bitt',

Ein Augenblick umspannt dein Ziel,

Und wenn ich drum in die Höll' hinunter fiel',

Er stirbt vor deinen Augen hier: dein Kuß ...

GENOVEFA.

Ich muß, ich muß!

Der Teufel selbst hat's dir gesagt,

Daß Alles eine Mutter wagt!

Um Sohn oder Kind ging' sie schnell

Hinunter in die tiefste Höll'!

O Teufel haben's dir gesagt,

Daß Alles eine Mutter wagt.

Nimm hin! Was zauderst lang?

Sing' hoch der Hölle Jubelsang!

Ha ha sa sa! Da sind sie ja,[256]

Rund um dich, Golo, die Teufel da,

Sie singen dir Victoria!


Golo graust, läßt das Kind auf das Stroh los, ab, Genovefa faßt es auf.


Lebst noch, Herz? – Lebest, ach ja!

Du lebest, o Halleluja!

Wer hat dich errettet, wer dich beschützet?

Der aus den Wolken auf Verräther blitzet!

Halleluja!

Wer ruft draußen am Gitter? Adam, seyd ihr's?


Adam am Gitter aussen.


ADAM. Hoffnung gefaßt, liebe Frau! Eure Sachen gehn, will's Gott, besser. Ritter Carl ist in Pfälzel angekommen, steht schon vor der Ritterversammlung droben für eure Sache! Golo'n hat er dort auf öffentlichen Zweykampf vorgefodert, Eure Ehre gegen sein Leben behaupten.

GENOVEFA. Schütz' ihn Gott mit seinem besten Segen und alle treue Herzen, die mir zugethan sind in dieser Noth.[257]

ADAM. So ihr was ferner zu bestellen habt, was es auch ist, auf euerm Herzen, sagt mir's kurz; darf mich nicht lang am Gitter aufhalten.

GENOVEFA. Schaff' mir doch etwas Dinte und Feder zum Schreiben. Sie wollen sagen, mein Gemahl sey in der Schlacht geblieben; hast du nichts davon gehört?

ADAM. Carl, der ihn erst kürzlich verließ, sagt, er sey frisch und gesund und komme bald in weniger Zeit nach.

GENOVEFA. Habe tausend Dank dafür. Sieh zu, daß du mir bald bringst, warum ich dich gebethen; grüß' Adolf und Julchen, sag' ihr, daß ich gar sehnlich verlange, heut Nacht ein paar Wörtchen mit ihr zu sprechen, wenn's seyn kann.

ADAM. Will's ausrichten. Gott behüt' euch. Ab.

GENOVEFA. Dank, treuer Mann.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 250-258.
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