Auf Lessings Tod

[88] Klagt, ihr Musen, klaget! schmucklos walle

Aufgelöst das Haar am Busen schwer;

Dämpft die Leier, daß sie traurig schalle,

Lessing, ach der Edle! ist nicht mehr.


Umgestürmt so von des Eurus Flügel,

Kracht und sinkt die Tanne mir Gewalt,

Sie, die Zierd', der Schmuck vom nahen Hügel,

Sie, die Königin vom hohen Wald.


Gleich der Pallas sitzt die hehre, schöne

Melpomene an der Urn' und weint,

Von Thalias Wange rinnt die Träne,

Schwesterlich in ihren Schmerz vereint.


Und der holde Schutzgeist des geliebten

Teuern Vaterlandes klaget laut,

An den Fels gelehnt, gleich dem betrübten

Bräutigam, am Grabe seiner Braut.


»Ach Camönen! eure Augen gießen

Schmerzen um den Edeln nicht allein,

Tausend, tausend! heiße Tränen fließen,

Seht hinunter am gehörnten Rhein,


Wo Lyäus aus der goldnen Schale

Unter Lauben selig Nektar trinkt,

Und vom Mainstrom, wo zum frischen Mahle

Froh Pomona jedem Gaste winkt,


Bis zur Donau und der Elbe breiten

Ufern und hinauf bis an das Meer,

Wo sich Phöbus golden am beschneiten

Eisberg spiegelt, und das blaue Heer
[89]

Blasender Tritonen mit bereiften

Bärt'- und Schultern durch die Wellen gehn,

Bis wo rechts und links die weitgeschweiften

Bögen sich des weißen Nordpols drehn,


Höret ihr die Klage weit erschallen.

Lessing, Lessing! seufzt der Nachhall schwer,

Ach, ein Edler, Teurer! ist gefallen,

Ach, ein Teurer, Edler! steht nicht mehr.


Und er schwieg, ein banges, tiefres Stöhnen

Schloß in mir die Pforte jedem Laut,

Mich durchströmend nur ein heißres Sehnen,

Seinem Geist zu nahen mich, vertraut;


Einen Blick in seinen Blick zu senden,

Nun entfesselt ganz vom Sinnentrug,

Ihn zu flehn, voll Mitleid mir zu spenden

Einen Strahl aus höherm Sternenflug.


Ach umsonst! die Zaubermelodieen

Stillten augenblicklich nur das Herz,

Bang' erwachend, sinkt bei deren Fliehen

Neu und mächtiger auf mich der Schmerz,


Qual und Jammer, ungeheuern, schweren

Felsen ähnlich, sinken sie herab:

Ach, du bist dahin! o fließt, ihr Zähren! –

Doch umsonst, ihr findet nicht sein Grab.


Wo, ach wo? um Romas Mauer hallet

Meine Klage, Teurer! fern von dir,

Fern von deines Grabes Hügel wallet,

Irrt mein Fuß in Schutt und Trümmern hier.


In die Wölbung alter Bögen schlagen

Diese Seufzer hohl; die rege Luft

Trägt mit leichtem Fittich meine Klagen

Zu den Nymphen in die Felsenkluft.


In die Tiber rinnen meine Zähren,

Hier am Ufer sitz' ich, fremd, allein;

Nacht umhüllt mich; meinen Harm zu nähren,

Rötet Luna ihren Silberschein.


Hofft' ich das, als du, noch stark und munter,

Mich in deine Arme schlossest, frei

Angelobt mit mir zu leben unter

Welchem Stern und Himmel es einst sei?


O, ihr grünen Neckartäler! Sitze

Meiner Fürsten; moos'ger Mauernring,[90]

Wolfsbrunn, und du Jettas Felsenspitze

Saht's! wie ich an seinem Halse hing,


Wie er mich, ich ihn zum Freund erkoren,

Daß ich's nicht vergessen soll, noch kann!

Ach er war so ganz für mich geboren,

War so ganz, so ganz! ein Mann, ein Mann!


Aller frohe Scherz der Lippen, Bester!

Jener Augen Blitz, dein reiner Sinn,

Jene freie Stirne und dein fester,

Wohlgebauter Körper ist nun hin!


Hin die Hoffnung, die mir so geschmeichelt

Mit der frohsten Zukunft goldnem Schein,

Ach! es war vom Glücke nur geheuchelt,

Alles sinkt in Nacht, ich steh' allein;


Gleich dem armen Schiffer, der nach tausend

Fehlgeschlagner Müh' ein Schiff erbaut;

Stark an Mast und Segel geht es, sausend

Spielt der Wind im Wimpel; fröhlich schaut


Der Erbauer, über blaue Wellen

In Gedanken eilend an den Strand,

Wo Fortunas Hörner üppig schwellen,

Goldner Plutus thront auf Perlensand.


Schon im voraus erntend, hängt entrücket

Er im Traumgenuß am Schattenglück;

Ha, ein Blitz, der schnell hernieder zücket,

Trifft das Schiff und schmettert ihn zurück.


Nackt und elend an die Klippe wieder,

Ärmer als er je dem Tod entrann,

Und Verzweiflung schlägt ihn zweifach nieder –

Ha, wie töricht, töricht ist der Mann,


Der sich warmer Seele hin zum Guten,

Edeln, allzu nahe drängt im Feu'r!

Seht! wie mir jetzt Herz und Ader bluten –

O die Wonneblicke kauft' ich teu'r.


Besser, ha! dem Edeln gleich entfliehen,

Eh' ein wallend Herz sich fest verstrickt,

Als sich solchen hungrigen Harpyen

Überlassen, so die Seel' zerstückt!


Dreimal selig, ha! zurückgezogen

Hinters Schild der rauhsten Stoa fest,

Wie die Muschel in dem engen Bogen,

Wie die Schneck' in ihrem Felsennest.
[91]

Einsam, ha! nur ruhig; sich versagend

Alles, schauend, schaudernd weg sich drehn

Vor dem Edeln, als hernach so klagend,

So entwurzelt und zerrissen stehn.


Ha, wo schwank' ich! o Vernunft, du reine,

Hohe Götterjungfrau! stählst mein Herz,

Ja ich sänk' in Staub hinab, wenn deine

Starke Rechte mich nicht hielt im Schmerz.


Leise lispelst du und überschwänglich

Strömet Trost, die bange Brust erbebt,

»Alles,« rufst du, »alles ist vergänglich,

Was vor deinen Sinnen lebt und schwebt.


Der Gestalten steter Wechsel schlinget

Neue Schönheit in der Schöpfung Kranz,

Immer neu'res Leben quillt und springet

In der Dingen vollsten Reihentanz.


Ist der Wechsel dir ein ewig Scheiden?

Weckt der Übergang aus Klang in Klang

Bei der großen Harmonie dir Leiden?

Schauderst du beim schönsten Übergang?


Harmonie dir alles! alles strebet,

Hebet und bewegt sich nur durch sie;

Jener helle Stern dort oben, klebet

Mit dem Erdenstaub in Harmonie.


Ganz verschließet nicht des Grabes Hügel,

Was ein sterblich Auge hier beweint –

Bleibst du nicht umfaßt vom Allmachtsflügel

Immer noch mit deinem Freund vereint?


Grüble nicht was eitel sein kann, reiße

An dem Schleier nicht, den Vorsicht wand;

Der vollendet seinen Lauf nur weise,

Der sich leiten läßt an Vaterhand.


Er, der Ewige! Wer mag ihn nennen?

Born der Kraft, der Weisheit er allein!

Tausend Sonnen, die dort flammend brennen,

Sind von seinem Licht nur Wiederschein.«

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Band 1, Mannheim und Neustadt/Hdt. 1918, S. 88-92.
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