Sechstes Kapitel.
Der Ludimagister macht seine Aufwartung im festlichen Pomp. Nicht jedes Unglück wird durch Kometen verkündigt.

[34] Am andern Morgen stand der Ludimagister vor Tages Anbruch auf, kämmte seine Sonntagsperüke, schmierte sie reichlich mit Schweineschmalz und Lichttalg, zerrte einige Locken perpendikular, richtete andre horizontal, und bestreuete sie Strohhalmsdicke mit seinem gebeutelten Semmelmehl. Hierauf langte er sein schwarzes Feyerkleid aus der Lade, dürstete und fegets. Seine Schuhe schwärzte er mit Kienruß und einer Speckschwarte, und rieb die meßingnen Schnallen mit gepülvertem Ziegelstein, Baumöl, und zarter weißer Kreide. In seinen baufälligen Hut trachtete er mit warmen Eßig Neuheit zu dürsten – alles das zum größten Erstaunen seine eheliche Gemalin, der Frau Schulmeisterinn, die ihn dermalen vergebens fragte, und kaum eines Blickes über die Schulter gewürdiget wurde. Um den Hals ward ein sauberes weißes Tuch gebunden, und die Strümpfe gürtete er unterhalb des Knies mit schönen rothen ledernen Knieriemen. So zu seinem heutigen Ehrentage mit dem festlichsten Putze geschmückt, versah er sich mit der Rittergeschichte des hörnernen Siegfrieds, ergriff seinen schönsten Dornstock, und wandelte fort. Doch konnte er seine Hausgötter nicht verlassen, ohne seinem heutigen Stolze ein Opfer zu bringen, indem er die Ursache desselben anzeigte. Frau, sagte er und warf das Haupt zurück, Frau,[34] wenn jemand nach mir fragt, so laß ihn nach Tische wieder kommen. Ich mache dem gnädigen Herrn meine Visite. –

Hiermit gieng er. Nach dem Maaße aber, wie er dem Edelhofe näher kam, verwandelte sich sein Stolz in Beklemmung; und wie er den Fuß ins Schloß setzte, sank ihm plötzlich das Herz um gute anderthalb Spannen hinab.

»Laßt'n gleich 'rein kommen!« sagten Seine Gnaden, die noch mit Ihrer Toilette beschäfftigt waren, und sich eben den Bart kämmen und knüpfen ließen, als man den Ludimagister anmeldete.

Der Schulmeister trat nicht ohne Zittern hinein. Die ganze schöne Anrede, auf die er die liebe lange Nacht studiret hatte, gieng zum Henker, so bald er Seine Gnaden in ihrer Herrlichkeit vom Kammerdiener und Lakayen umgeben erblickte. Und die Rudera, die er etwa noch hatte wieder erhaschen können, zerstreute der Edelmann vollends, indem er ihm gleich beym Eintritt entgegen rief: Na, Schulmeister, hat Er 's Buch bey sich?

Aufzuwarten, mit Eu'r Gnaden unterthänigster Permißion! stammelte der Ludimagister. Ad mandatam venimus ecce domum.

»Könnt's Fransche man weglassen. Bin da kein Freund von, Schulmeister!«

'S ist Latein, wenn Eu'r Hochwohlgebohrne Gnaden demüthigst erlauben wollen.

»Gleichviel! – 'ch hatte nicht darnach gehöret. Unser eins hat mehr im Kopfe. Aber 'n bischen Lateinisch laß ich noch wohl gelten – für ihn meyn' ich. 'S ist, glaub ich, die Schulmeistersprache; ists nicht? Hätts selbst wohl lernen mögen, wie der Pastohr meynte, aber Mama seliger wollt's nicht haben, und so blieb's nach. – Krischan! gebt dem Schulmeister 'n Schnaps und so'n bischen dazu.«[35]

Dem Ludimagister wollts noch nicht so recht geläufig werden, mit vornehmen Herren umzugehen. Wie ihm der Kammerdiener das Frühstück präsentirte, machten ihn Hut, Buch und Dornstock verlegen. Doch half er sich so gut sichs thun ließ, nahm das Buch unter den linken Arm, klemmte den Hut zwischen die Knie, und wickelte den Riemen der den Dornstock statt des Bandes schmückte, zweymal um den dritten Rockknopf; dann ergriff er, da er nun beyde Hände frey hatte, mit der einen das Glas, mit der andern ein Stück Gebacknes. – Gehorsamstes Wohlseyn unterthänigst, Sie erlauben! sagte er, und machte einen gewaltig abentheuerlichen Lorenz, fast mit der Nase bis zur Erden. Zu gleicher Zeit wollte er, um seinen Bückling recht manierlich heraus zu bringen, mit dem rechten Fuß hinten aus kratzen, und dachte nicht an den Hut. Dieser entglitt ihm über all der Höflichkeit, und als er, vermuthlich auf Anstiften seines bösen Dämon's, ihn mit den Knien begreifen wollte, verlor er selbst das Gleichgewicht, und stürzte so lang er war zu den Füßen des Edelmannes, der in ein so herzliches Gelächter ausbrach, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Hiermit war aber das widrige Schicksal des Ludimagisters noch nicht erschöpft, sondern sein Unstern wollte, daß er im Fallen mit seinem Kopfe auf den Leibhund Seiner Gnaden treffen mußte. Türk nahm den Spaß übel, und schnappte dem Schulmeister nach der Nase; glücklicher Weise aber faßte er nur die Perücke, und kühlte sein Müthchen waidlich daran.

Exküse unterthänigst! Halten zu Gnaden! rief der Ludimagister, indem er sich aufraffte, die Landkarten von seinem Feyerkleide klopfte, und die Glasscherben auflas. Dero werden verzeihen! Es ist wahrhaftig nicht mit Willen geschehen! Procumbit humi bos. Ich war nur ein bischen gefallen ...

»Das kömmt von den Speranzien, fiel ihm der Edelmann ins Wort und wischte sich die Augen. Da liegt nu die liebe Gottesgabe! – Krischan! schenkt dem Schulmeister mal 'n ander Glas ein.«

Während der Kammerdiener dem Befehle des gnädigen Herrn nachkam, bearbeitete sich der Ludimagister, dem Hunde die Perüke wieder abzujagen. Die Bestie wies ihm die Zähne zur herzlichen Kurzweil des Pommerschen Edelmanns, der doch endlich geruhete, der Verlegenheit des Mannes ein Ende zu machen – »Apport, Türk! – Sieht Er, Schulmeister, da giebt er's von selbst her. – Oh brav Türkschen! – Ist 'n Gelehrter, und weiß nicht mal 'n Hund 'ne Pruck' abzunehmen! Mama seliger hatte wohl Recht, daß 'n Kavalier immer mehr weiß, als 'n Gelehrter.«

Dero halten zu Gnaden! er wollte mich aber beißen.

»Ah, Kikel kakel! Er weiß man nicht mit umzugehen, Schulmeister. Da! setz Er's Eulennest man vor erst wieder auf. Mein Pruckenmacher soll ihm 'ne neue Atzel machen.«

Der Schulmeister bedeckte sein weises Haupt so gut sichs thun ließ mit den Fragmenten, und trank nun mit etwas weniger Cäremonie. Unterdessen war der Edelmann angekleidet, und der Kammerdiener vollendete die Toilette damit, daß er seinem Herrn den Säbel reichte.

»Könnt nu man 'naus gehen, Krischan!«

Christian und die andern Bedienten giengen.

»Türk! Alloh! Farm le Part!«

Was weiter vorfiel, wird der Leser im folgenden Kapitel sehen können.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 34-38.
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Siegfried von Lindenberg. Komischer Roman