XVII

[110] Die Herausforderung ist eine unerhörte Novität. Sie findet Anklang. Bis zu diesem Augenblicke ist die Versammlung nüchtern gewesen. Der Met, aus Tonkrügen geschlürft, tut jetzt seine Schuldigkeit. Die Musik artet in wahnsinniges Gebrüll aus, jeder musiziert sein Instrument nach Gutdünken. »Ein indianischer Ringkampf kündigt sich an«, schreit van den Dusen mir herüber und mir ahnt nichts Gutes. Die Indianer sprechen durcheinander, man unterhält sich über Slims Chancen. Slim war ein großer Mann mit geraden breiten Schultern und einer flachen Brust, wie sie Yankees haben. Um die Taille war er eng gebaut, aber seine Beine waren von einer anderen, gedrungeneren Rasse. Das machte ihn kürzer als seinen Gegner, im ganzen schien er trotz seiner geringeren Vollkommenheit der Stärkere. Die beiden begannen damit, flache Handschläge auszuteilen. Slims Unterarme waren lang, breit und viereckig wie die Stiele von Werkzeugen. Seine großen Hände aber hatten viel weiche Masse. Er boxte flink und geschickt, Luluacs Arme flogen wie Blütenstengel zur Seite. Aber diese ochsenstarken Hiebe landeten fruchtlos, Luluac fing sie weich auf und zog zurück. Er ließ die gegnerischen Hände nicht aus den lauernden Augen, er kämpfte mit einem alten weisen Lächeln in dem verkniffenen kleinen Gesichte. Seine Federkrone zuckte raschelnd bei jeder heftigen Wendung. Slim arbeitete derb und freimütig, Luluac sanft und kraftlos, mit tückischer Sparsamkeit. Endlich bekam er Slims Fingergelenke an dessen linker Hand zu fassen und zwängte sich wie[110] in einen Kamm hinein; Slim vergaß seine Rechte und schon war auch sie gebunden. Die Hand des Indianers war klein und zusammenhängend. Er drückte Slims Tatze an der Wurzel ab; Slims Gesicht verzog sich vor Schmerz, er hob seine Hände, so hoch er konnte, über den Kopf empor. Die verhenkten Arme bildeten ein Dach, sie standen schräg Mann an Mann gelehnt, mit der Berührungskante längs der Fingerknöchel. Der Indianer lenkte die Kraftanstrengungen des Weißen, der sich auf die Zehen stellte, ab, riß die Arme zur Seite, und Slim verlor das Gleichgewicht; aber seine Schultern und Arme waren nicht zu biegen. Sein Hals war strähnig wie der eines Lastträgers. Sie gingen während des Ringens mit zähen Schritten vor und zurück. Aber auch der Indianer besaß ruhige und sachliche Kräfte, auch er wirkte zäh wie eine Stahlfeder. Wenn Slim durch schnelle Risse die Arme um Luluacs enge Hüften schlang, band sie sich der Indianer wieder wie einen Gürtel ab. Dann sprang Luluac allemal auf des Gegners Finger los; und nun zwang er einmal Slims Arme in die Ellenbogenbeuge, nun hatte er ihn, mit verhenkten Fingern rangen sie vor den Gesichtern, tauchten einer des anderen Hände bis zu den Hüften herab. Die Handriste des Amerikaners wurden steif und schmerzten. Luluac ließ sich die Gelenke wie Gummi zurückbiegen, ohne Qual zu verraten. Seine Kraft saß im Rückgrat und in den Lenden, dort war er biegsam und sicher, unausdrehbar stählern. Slim konnte den Schmerz nicht länger ertragen, mit einem wuchtigen Ruck seines schweren Körpers bekam er plötzlich die Hände frei und begann Luluac in die Brust, auf die Oberarme, ans Kinn zu boxen. Luluac verlor die Haltung, gleich darauf aber sprang er zurück und wieder vor und hing sich mit beiden Händen an Slims rechte Faust. Was er dort vornahm, war nicht erkennbar; aber es mußte Slims ganze Aufmerksamkeit verlangt haben, denn dieser vergaß seine Linke. Und schon hatte Luluac auch sie zwischen Puls und Handballen wie ein Kneif umklammert. Er schraubte die Hand vom Gelenke los. Abgestorben saß sie auf dem geschwellten Ring, den sein Zeigefinger und Daumen bildeten; es war fürchterlich anzusehen, weil die Hände jeden Augenblick wie dicke welke Blätter abzufallen drohten. Slim trat in seiner Pein dem Indianer eins mit dem Knie in den Bauch. Er war nervös und verzweifelt, er kannte sich nicht mehr aus vor Schmerz. Luluacs Nacken war von Muskeln steif wie ein Schild. Langsam sank Slim in die Knie, sein Rücken begann sich zu höhlen, erst streckte er das Hinterteil hinaus, dann schnellte er es einwärts, und schon rollte er wie eine Welle förmlich in den Boden hinein.[111]

Zana sah hundsäugig, mit schnüffelnder Aufmerksamkeit seiner kämpferischen Gestalt, seiner prächtigen knochigen Wut, seiner grausamen Niederlage zu. Sie sog es ein, wie einen herrlichen Genuß. Die Indianer umher schwiegen fein und sieghaft. Dieses Schweigen war unverschämt, es war taktlos und ich ertrug es nicht. Der Met schmeckte süß und kühn, und Ehrgeiz brannte mir in der Herzgrube. Aber das allein war es nicht. Der föttische Blick Zanas stachelte mich. Sie haßte ich am meisten. Ich sah unser Prestige schwinden, und der Gedanke trat mir nähe, etwas dafür zu tun. Hatte ich heute morgen mit dem Mauser Glück gehabt, durfte ich auch jetzt eine Ehrenrettung wagen. Turnerische Erinnerungen kamen mir zu Hilfe. Ich stützte mich auf beide Hände und konnte ein paar Schritte auf ihnen tun. Aber das Blut schoß mir zu Kopf und die Ellenbogen knickten ein, meine Beine liefen mir oben weg und ich hatte Mühe, unten nachzukommen. So gut es ging rettete ich mich auf meine Sohlen zurück, in aller Anmut, so daß man's hätte für die Pointe halten können.

Nun wurde mir warm. Ich fühlte mich zwar ein wenig verstört, war jedoch keineswegs verlegen. Mein Ehrgeiz war nicht umzubringen. Wille, Wille, Wille! Mochten andere mit dem Erfolg einer Sache vorlieb nehmen, ich hielt es mit einem eisernen Willen. Zum Handstand gehört Philosophie! Während ich unternehmend zwei Schritte zurücktrat, um den schönen turnerischen Schwung zu bekommen, schossen mir die klugen Räsonnements zu Hunderten durch den Kopf! Vielleicht fehlte mir trotzdem ein wenig das Bewußtsein für meine Situation? Dagegen erinnerte ich mich just in dem Augenblicke, in dem ich die Handflächen geduldig zum sechsten Male auf den Boden stemmte und mit den hinteren Extremitäten in der Luft Galopp anschlug, einer Tatsache, mit der ich es bisher noch nicht recht genau genommen hatte: Donnerwetter, von meinen vier Schüssen hatten ja eigentlich nur drei! drei! getroffen! Die Scham schoß mir wie Frost in die Glieder, meine Ellbogen zitterten wieder, und ich landete totgeschossen so etwas wie an meiner eigenen Seite. Ich hatte das deutliche Gefühl, neben mir zu liegen, und es brauchte einige Zeit, bis ich meine Lage im Prinzip feststellen konnte.

Hu, Met ist doch ein verrückter Stoff. Nun sind sie alle wichtig und keiner will sehen, was ich da eigentlich treibe. Ich danke für Met, wenn man keine höheren Interessen damit verbindet. Es ist ein schädlicher Stoff und macht blasiert. Indianischerseits schien man künstlerische Bestrebungen überhaupt zu ignorieren. Aber der eiserne[112] Wille, meine Lieben, das ist es, das ist das Wichtige! Hu, schnurrig ist doch diese Sache mit Luluac; wie er sich prahlt und seine Methode erklärt, und wie er sein Siegerlächeln hinter Bestürzung und Verlegenheit verbirgt! Auch dahinter steckt nur eiserner Wille. Willen muß man haben, hart wie Eisen. Dann sieht man den Menschen auf den Grund, bemerkt in großen Buchstaben, wie sich hinter ihrer Zuvorkommenheit Genugtuung versteckt. Hinaus mit diesem Luluac, er schwindelt! Er hat zuviel Met gesoffen. Warum schneidet er Gesichter? Ich durchschaue ihn! Warum kichert dieser Holländer? Er verträgt keinen Met. Man sollte ihm das Mettrinken polizeilich verbieten. Er hat keinen Met zu trinken!

Van den Dusen war der einzige, der meine Purzelbäume ernsthaft nahm. Ein Umstand, den ich ihm nicht einmal dankte, sondern läppisch fand. Denn, sagte ich mir, solch ein Kerl hat kein Recht, an meiner höheren Akrobatik sachverständig teilzunehmen. Aber vielleicht macht Met boshaft? Van den Dusen war heute viel boshafter als sonst. Dann, mochte ich mich einmal fragen, hatte ich diesem van den Dusen schon einmal mein Hinterteil gezeigt? Worauf mir im Grundbaß der Überzeugung nur ein Niemals! einfiel. Nun aber stellte ich mich so, daß er stets von meinen schlenkernden Beinen bedroht war; und, wich er aus, kam ich pünktlich auf seinen Standplatz wieder aus der Luft herab. Ich haßte ihn. Ich mochte Leute, die sich mit Met betranken, nicht leiden. Ihm gegenüber saß Zana, und diese haßte ich auch. Sie war der zweite Bestandteil meines Publikums. Nur van den Dusens verhaßte Gegenwart trug daran schuld, daß mir das Gehen auf den Händen nicht gelang. Und ich hätte Zana so Prächtiges vorzumachen gehabt! Ich haßte sie, wenn ich mir denken mußte, daß ich mich vor ihr bloßstellte. Hatte der Met auch sie boshaft gemacht? Alle Menschen waren heute boshaft, und ich hatte doch gerade heute ein gutes Herz und wollte mit meiner Hände Arbeit etwas für sie tun. Was, was konnte ich für Zana unternehmen? Womit konnte ich ihr eine kleine Freude, einen hübschen herzlichen Spaß bereiten? Hätte sie mir nur ein freundliches Gesicht gemacht, so wäre ich ihr um den Hals gefallen. Ich zeigte statt dessen keinerlei menschliche Rührung, sondern hielt an mich und rekognoszierte das Terrain. Nach dieser wissenschaftlichen Betrachtung stemmte ich mich endgültig, noch einmal! auf die Handflächen – verdammt noch einmal, die Beine blieben richtig oben, aber mit der Tendenz kopfüber. Meine Hoffnungen waren mehr als erfüllt. Ich dachte nichts Schlechtes dabei, während ich meinen Beinen, die die Führung übernommen[113] hatten, so hurtig als möglich mit den anderen Körperbestandteilen nachzueilen trachtete. Aber plötzlich spürte ich ein Hindernis, das sich schnell entfernte, hörte einen Schrei und sah es fürchterlich hell werden ringsumher, etwas Heißes, etwas verteufelt Heißes schlüpfte mir hinter die Kleider, au – da konnte ich das Tempo nicht mehr halten und schnappte ab. Krachend und prasselnd sauste mir der Boden unterm Kopf weg entgegen. Ich entsinne mich, daß ich es höchst merkwürdig fand, wie er sich plötzlich schief stellte und mich auf den Rücken schlug. Er verdreht ja seinen Akzent, sagte ich und lag in der Feuerstelle. Die Funken gingen wie eine rote Brause über mich hinaus, kunstgerecht wie ein Braten lag ich da und hörte von hundert Meilen weit her ein brausendes Triumphgeheul. Zwanzig Fäuste rissen mich schneller als mein eigener Entschluß empor. Jacke und Beinkleider waren am Rücken verkohlt. Mein erster Gedanke war, mir künftig einen Tropenanzug aus Asbest machen zu lassen. Dann schalt ich die Unglücksstelle und sah ein, daß bei einem so ungleichmäßigen, so abschüssigen Boden, ja geradezu einem Abgrunde auch der beste Turner seine Kunst nur verschwenden konnte. Wo war Zana? Sie war fort, ich hatte sie verscheucht. O des Herzeleids! Aber dort stand sie doch an der Mauer, nackt und mit glühendroten Bracelets um die Fußknöchel und band sich angelegentlich einen Orchideenzweig mit verzupften Blüten um die enggeschlossenen Knie – und wackelte entsetzlich, brachte die ganze Hütte in unordentliches Schwanken, ih, weiß der Deibel warum!

Ich empfand eine große Hitze. Die Indianer lärmten und hatten undankbarerweise mein Kunststück schon vergessen. Waren räudige Hunde, diese Roten, was? Slim zog die Augenbrauen hoch. Er interessierte sich nicht für mich, für niemand, für nichts, nicht einmal für Zana. Selbst als sie von ihren verstrickten Knien aufsah, zu ihm hinsah, rührte er den Kopf nicht von der Luke, durch die er über sich hinausblickte. He, war die Hitze nicht enorm? Roch es hier nicht nach Indianern? Roch es hier nicht vielleicht nach gebratenem Menschenfleisch? Her damit, dieser Geruch gehört mir; es ist mein Fleisch, das hier verbrannt wird, mich will man hier schlachten und verzehren; dieser Geruch ist ein Teil von mir und ihr sollt ihn nicht zu speisen bekommen, ihr Saufbolde, ihr verdammten Metwürmer ... In der spaltartigen Luke sah man Sterne. Der Holländer kicherte und belehrte mich über das Gehen auf den Händen. Mit seiner Figur! dachte ich. Dann dachte ich, daß der Met doch ein verdammt starkes Gesöff sei, weil sie alle betrunken wären. Ich ging zur Tür,[114] die sich flugs auf eine Ecke stellte, so daß ich über den Pfosten kriechen mußte. Draußen war es matt und lau. Der Himmel hing schwer und niedrig von Sternen.

Quelle:
Robert Müller: Tropen. München 1915, S. 110-115.
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