Amor, ein Seiler

[301] Amor ist ein Seiler worden,

Drehet Seile, Schnür' und Ketten

Aus den sammetweichen Fäden

Deiner goldnen Lockenkrone.

Und so groß sind seine Künste,

Daß er aus den kleinen, feinen,

Dünnen, zarten Ringelhärchen

Diamantenfeste Bande

Für die armen Herzen windet.

Und in hunderten zusammen

Schnürt er sie mit einem Seile,[301]

Hängt sie dann vor Schlafengehen

An den Riegel deiner Kammer,

An des Ladens Schraubenspitze,

Und die frömmsten jeden Sonntag

An das Kreuz auf deinem Busen.


Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 301-302.
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