Frühlingseinzug

[261] Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Der alte Winter will heraus,

Er trippelt ängstlich durch das Haus,

Er windet bang' sich in der Brust,

Und kramt zusammen seinen Wust

Geschwinde, geschwinde.


Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Er spürt den Frühling vor dem Thor,

Der will ihn zupfen bei dem Ohr,

Ihn zausen an dem weißen Bart

Nach solcher wilden Buben Art,

Geschwinde, geschwinde.


Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Der Frühling pocht und klopft ja schon –

Horcht, horcht, es ist sein lieber Ton!

Er pocht und klopfet, was er kann,

Mit kleinen Blumenknospen an,

Geschwinde, geschwinde.
[261]

Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Und wenn ihr noch nicht öffnen wollt,

Er hat viel Dienerschaft im Sold,

Die ruft er sich zur Hülfe her,

Und pocht und klopfet immer mehr,

Geschwinde, geschwinde.


Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Es kömmt der Junker Morgenwind,

Ein bausebackig rotes Kind,

Und bläst, das Alles klingt und klirrt,

Bis seinem Herrn geöffnet wird,

Geschwinde, geschwinde.


Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Es kömmt der Ritter Sonnenschein,

Der bricht mit goldnen Lanzen ein,

Der sanfte Schmeichler Blüthenhauch

Schleicht durch die engsten Ritzen auch,

Geschwinde, geschwinde.


Die Fenster auf, die Herzen auf!

Geschwinde! Geschwinde!

Zum Angriff schlägt die Nachtigall,

Und horch, und horch, ein Wiederhall,

Ein Wiederhall aus meiner Brust!

Herein, herein, du Frühlingslust,

Geschwinde, geschwinde!


Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 261-262.
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