St. Posilippo[250] 1

Um das Haupt von Posilipp

blüht ein Feuerblumenkranz,

seine Schöne spiegelt sich

in des Golfes Silberglanz.

Ihm zu Füßen Napoli,

maienhimmelüberblaut,

lichtgebadet, lustdurchgellt,

lockend: die Banditenbraut.
[250]

Um die Stirn des Posilipp

fliegt es wie ein Nebelhauch;

aus der Solfatara Schoß

ringelt sich der gelbe Rauch.

Düsterrote Orchideen

– keine Blume lockt dich so –

gleißen durch den Schwefeldampf:

fiori di diavolo!


Um den Fuß des Posilipp

geht ein Seufzen, dumpf und schwer;

ewig gleichen Schlages senkt

sich das Ruder in das Meer.

An des Ruderers Fußgelenk

klirrt das eiserne Geschmeid . . .

aus der Tiefe ruhelos

schluchzt uraltes Menschenleid.


Fußnoten

1 Villenbesäter Höhenzug bei Neapel, zur Seite die Solfatara, ein halberloschener Schwefelkrater, zu Füßen die Insel Nisida mit dem Gefängnis für Galeerensträflinge.


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 250-251.
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