[8] Elvire. Jerta zu einer andern Thür herein. Diener folgen ihr.
JERTA.
Was begegnet euch, Elvire?
ELVIRE.
Nichts.
JERTA zu den Dienern.
Licht in das Zimmer, schnell!
[8] Die Diener gehen im Hintergrunde ab, kurz darauf werden Kerzen auf Armleuchtern gebracht.
Eure Glocke tönte lang' und hell –
Ihr seid ängstlich, wie ich spüre,
Und die Harfe liegt am Boden? –
Lächelnd.
Neckt es aus dem Reich der Todten
Schon im Zwielicht eure Sinne?
ELVIRE.
Wenn ich Thörichtes beginne,
Mögt ihr schwesterlich vergeben.
Mich ergriff ein schweres Bangen
Um des Gatten theures Leben.
JERTA.
Ist er heut zum ersten Mal
Von euch in den Forst gegangen?
Jagt in Spanien kein Gemahl?
ELVIRE.
Oh, dort wehen sanf'tre Lüfte,
Und ein Garten ist die Flur.
Durch Olivenhaines Düfte
Schlängelt sich des Wildes Spur,[9]
Und des Landes mild're Sitte
Herrscht bis in der Wälder Mitte:
Jagd ist Lust dort, nicht Gefahr.
Hier in eurem rauhen Norden
Ist's ein Krieg, ein Wechselmorden.
Hoch auf Felsen, wo der Aar
Um beeiste Spitzen kreiset,
Kämpfet in der Nacht der Föhren,
Trauend seinen Stahlgewehren,
Wild, der Jäger mit dem Bären,
Der ihn, wenn er fehlt, zerreißet.
Wölfe, nordische Hyänen,
Heulen in den Gründen, Klüfte gähnen
Plötzlich unter dem verirrten Tritt;
Schneegebirge rollen
Donnernd über Schollen,
Reißen den Schützen zum Abgrund mit!
Saget, Jerta, muß ich hier
Nicht für Hugo's Leben zagen?
JERTA.
Männer leben, um zu wagen,
Um zu lieben, leben wir;[10]
Und hier lieben wir die Stärke,
Kund gethan durch blut'ge Werke
In der Schlacht und auf der Waid. –
Scherzend.
Männlich gesinnter, nordischer Maid
Kann die Angst den Sinn nicht trüben;
Denn – ihr ist ein Trost geblieben
Aus der grauen Runenzeit.
Unsichtbare Schwestern schirmen
Freundlich aus verfallnen Thürmen
Des geliebten Jägers Haupt. –
's kommt d'rauf an nur, daß man's glaubt! –
ELVIRE.
Oh! ihr wißt nicht –
JERTA fortfahrend.
Auszuweichen
Den Gefahren, mahnen ihn
Wohlbekannte Zauberzeichen,
Und an unheilsvollen Tagen,
Wo's unheimlich ist zu jagen,
Läßt die Maid ihn nimmer ziehn:
Denn sie hat aus Geistermunde[11]
Von des Tages Unbill Kunde. –
Elvire schaudert zusammen.
Ihr erschreckt? – Was ist euch? –
ELVIRE.
Ich –
Spottet, aber höret mich!
Sinnig saß ich da im Düstern,
Ausgeklungen waren meiner
Harfe Lieder, Grabgedanken
Zogen schwarz in mir vorüber;
Da – mit grellem Schwirren sprang
Unberührt die strafe Saite!
's war ein Ton, wie wenn, vom Schusse
Schmerzlich in der Luft getroffen,
Laut der stolze Adler kreischet –
Und – des Nachhalls dumpfes Dröhnen
Glich dem Stöhnen
Eines Sterbenden –
JERTA mit gutmüthiger Laune.
Ihr kennet
Nicht der nord'schen Geister Weise.
Jenseits eurer Pyrenäen[12]
Mögen Zitherklänge wehen
Aus den unsichtbaren Höhen,
Und den schauerlichen Tiefen,
Wo die Zukunft wird gewoben.
Anders spricht die Geisterwelt
Diesseits des beeisten Belt.
In des Schornsteins engen Lauf
Bläst der Wind mit vollen Backen.
Alle Thüren springen auf,
Alle Lichter löschen aus,
Schreiend fliegt der Storch vom Haus
Und die Tragebalken knacken. –
Eulen, groß wie Adler, hacken
An die Fenster, schwarze Katzen
Sprühen Funken im Kamin,
Und ein Heer von Teufelsfratzen
Tanzt in Flammen blau und grün.
Hörtet ihr, hart vor den Ohren,
Nicht den Uhu: »Hugo!« schrein;
Mögt ihr ohne Sorge seyn,
Hugo ist euch unverloren.[13]
ELVIRE.
Jerta! – Doch du meinst es gut,
Willst durch Scherze mich zerstreun,
Und besänftigen mein Blut.
Oh! wär's Ahnung nur allein!
JERTA.
Was ist's noch?
ELVIRE.
Vergangne Schmerzen,
Aufgeregt im tiefsten Herzen.
Auf der Jagd fiel mein Gemahl
Karlos, meines Otto Vater.
JERTA.
Fiel?
ELVIRE.
Er stürzte mit dem Roß,
Und, im Fallen sich entladend,
Gab sein eigenes Geschoß
Ihm den Tod.
JERTA.
O, dann verzeihe
Meiner Laune Uebermuth.[14]
Warum blieb mir das verborgen?
ELVIRE.
Deinen Bruder stimmt's nicht gut,
Wenn man von dem Unfall redet.
Karlos war sein Freund, war ihm
Seines Lebens Rettung schuldig.
Gläubiger und Schuldner liebten
Mehr als Brüder sich.
JERTA.
Du kanntest
Hugo schon bei Karlos Leben?
ELVIRE betroffen.
Nein – ja –
JERTA.
Wie? – Du lässest mir
Zwischen Ja und Nein die Wahl?
Hugo's Freund war dein Gemahl,
Also kanntet ihr euch?
ELVIRE.
Wir –
Nachdem sie sich gezwungen, Jerta anzusehen.
Schwester! Oh, dein reiner Sinn[15]
Wird den Stab Elviren brechen;
Aber aus muß ich es sprechen,
Was der Quell ist meiner Qual.
Hugo – – Ja, ich kannt' ihn – ich
Liebt' ihn schon bei Karlos Leben. –
Sie wendet sich ab. Jerta tritt mit dem Ausdruck der Mißbilligung von ihr weg. Nach einer Pause fährt Elvire fort.
Sieh, d'rum macht ein Blatt mich beben,
Das im Abendwinde rauscht.
Gott hat Hugo mir gegeben,
Doch die Rache, dünkt mich, lauscht
Mit dem Schwerte, scharf geschliffen,
Ob dem Haupt der Sünderin,
Deren Herz in wildem Sinn
Dem Verhängniß vorgegriffen.
Ewig zittern muß Elvire,
Daß sie plötzlich den Gewinn,
Den sie nicht verdient, verliere.
JERTA kommt zurück, mit dem Ausdruck des Mitleids sie anblickend.[16]
Daß du deinen Frieden trübtest,
Nimm als Straf' in Demuth hin.
Es ist Hugo, den du liebtest;
Hugo's Schwester ist es nicht,
Die den Stab Elviren bricht.
Sie umarmen sich bewegt, und gehn aus einander nach den Fenstern. Das Rauschen des Windes schon früher hörbar, wird stärker und vernehmlicher durch die einige Sekunden herrschende Stille.
ELVIRE beklommen.
Horch, der Wind erwacht am Strand,
Und die Nordsee donnert ferne.
Ausgelöscht sind alle Sterne,
Und vom finstern Himmelsbogen
Kommt der Schnee im Sturm geflogen.
Wirbelnd, wie der Wüste Sand,
Stäubt er wieder auf vom Boden,
Und, wie Erde birgt die Todten,
Deckt er das erstarrte Land,
Aufgethürmt zu Grabeshügeln. –
Sie geht vom Fenster.
[17]
Mich umrauscht's mit Geierflügeln! –
Jerta! Jerta, lehre mich
Meine Angst um Hugo zügeln!
JERTA.
Ruhig! Es verlieret sich
Eine Schaar von Jagdgenossen,
Auf des Nordlands hohen Rossen,
In bekannten Wäldern nicht.
Wenn der Sterne Schein am Himmel
Wolken löschen, fällt das Licht,
Weich, in stockigem Gewimmel,
Nieder auf die dunklen Wege
Durch das felsige Gehege.
Schneelicht heißt es hier. – Ihr wißt
Nichts davon im heißen Süden.
Man hört sehr schwach und fern Jagdgetös Hundegebell, und später das Rufen der Jagdhörner.
ELVIRE am Fenster.
Jerta! Hörst du nichts? – Mir ist
Vor dem Ohr, als bellten Rüden.
JERTA tritt zu ihr.
Ja. – Sehr fern noch.[18]
ELVIRE.
Nein, ich höre
Hörner schallen. – Horch! so rufen
Sich zerstreute Jäger an,
Daß man heim zusammen kehre.
Freudig, das Fenster verlassend.
Hugo kommt!
JERTA die am Fenster blieb.
Er ritt voran,
Mein' ich; denn von Rosses Hufen
Wird's im vordern Schloßhof laut.
ELVIRE.
O, Gottlob! – Wie eine Braut
Harr' ich seinem Gruß entgegen,
War er gleich nur Stunden aus.
JERTA in das Seitenzimmer rufend.
Lieber Otto, komm heraus!
OTTO von innen.
Gleich.
JERTA noch in der Thür.
Geschwind! – Zusammenlegen
Kannst du später deine Bilder.[19]
Komm, dein Vater und sein wilder,
Schwarzer Däne kommen.
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