Zweite Scene.

[91] Valeros. Hugo.


HUGO ernst.

Nochmals seid willkommen, Ritter,[91]

In der nordisch-finstern Burg.

Ihre freundlichsten Gemächer

Sind euch freundlich aufgethan.

VALEROS.

Freundlichkeit, Herr Graf, ist besser

Im Gesicht, als an der Wand.

HUGO.

Wand ist Todtes, und das Todte

Ohne Wandel; das Gesicht

Trägt des Augenblickes Farbe,

Bis es todt ist, wie die Wand.

VALEROS.

Möchte eures bald die seine

Aendern! – Ihr empfingt mich nicht

Wie den Vater eures Freundes.

HUGO rasch.

Weil ihr so nicht seid gekommen.


Ruhiger.


Warum rißt ihr Wunden auf,

Die so tief und schmerzlich sind,


Die Hand auf die Brust.


Hier, wie in Elvirens Brust?[92]

VALEROS.

In der That, bei beiden war

Ich sie tiefer nicht vermuthen,

Als im Vaterherzen.

HUGO.

Ihr

Habt zum mindesten gesehen,

Daß empfindlicher sie sind;

Denn was ihr erzählen konntet,

Hatten wir nicht Kraft zu hören.


Valeros sieht ihn prüfend an, er fährt fort.


Ihr seid Vater, und ihr weint,

Weil ihr einen Sohn verloren?

Ich verlor mich selbst in ihm!

Zauberisch hat dieser Mensch

Mich verdoppelt und getheilt,

Mich beseligt und zerrissen,

Wie im Leben, so im Tode!

VALEROS zweifelnd.

Wie?

HUGO.

Ein frommer Rittersmann[93]

Reitet in den Herenwald,

Und vergißt das Kreuz zu schlagen.

Plötzlich fällt ein Heid' ihn an,

Von der nemlichen Gestalt,

Mit demselben Helm und Kragen.

Und der Christ ficht mit dem Heiden,

Und der Helm entstürzet beiden,

Und mit Grauen

Sieht, bei Zauberblitzes Licht,

Jeder Kämpfer sein Gesicht

Aus der fremden Rüstung schauen.

Dennoch, als der Blitz verschwunden,

Treibt der Nacht

Blinde Macht

Jeden wieder,

In die Glieder

Seines Feindes tiefe Wunden,

Die er selbst fühlt, einzuhauen.

So auch, seit mein irrer Fuß

Ist in Karlos Haus geschritten,

Bin ich mit mir selbst zerfallen

In zwei feindlich-fremde Wesen,[94]

Die sich immerdar befehden.

VALEROS.

Dunkel sind mir eure Reden;

Doch ihr malt im Räthselspiele

Ziemlich, was ich selber fühle.

Wechselnd bald, und bald zugleich

Eint es und entzieht mich euch.

HUGO.

So mit euch auch geht es mir.

VALEROS.

Welchem Triebe darf ich folgen?

HUGO nach einigem Stillschweigen, schwer.

Haßt mich!

VALEROS.

Daß ich's nicht vermag,

Deutet, daß ihr's nicht verdienet.

HUGO ohne aufzusehen.

Nun, so liebt mich!

VALEROS.

Dann, so scheint's,

Muß ich eure Gattin hassen.[95]

HUGO aufgeschreckt.

Wie? – Was meint ihr?

VALEROS.

Offen, Graf:

Eins von euch, so muß ich glauben,

Hat an Karlos sich vergangen.

HUGO.

Müßt ihr; nun so glaubt's von mir:

Denn an mir könnt ihr ihn rächen

Mit dem Degen in der Hand.

VALEROS.

Euch vertreten alle Stimmen,

Die in Spanien ich vernommen

Alle nennen euch: die Freunde.

HUGO tief bewegt.

Ja, wir waren's! – Nehmt das Wort

Nicht, wie es die Mode giebt.

Von geheimnißvoller Macht

Zu einander hingezogen,

Einte unser Leben sich,

Wie zwei Ströme sich begegnen.

Einzeln schlängeln sich die Brüder,[96]

Kaum den Kahn zu tragen mächtig,

Schüchtern durch der Berge Lücken;

Doch vereinigt rauschen sie,

Reicher jeder durch den andern,

Hochgeehrt durch's offne Land,

Und mit schwerer Schiffe Last

Spielen leicht die stolzen Wogen.

VALEROS.

Gleicht das Gleichniß dem Verglichen;

War't ihr zu beneiden. – Wie

Einten sich, und wo, die Ströme?

HUGO.

Ohne Aeltern, ohne Brüder,

Keiner Seele blutsverwandt,

Nahm mich Talavera, wo

So viel edle Spanier leben,

Gastlich auf in seinen Mauern.

Karlos, damals dort noch heimisch,

Bis der König ihm befahl,

In Tortosa zu befehlen,

Lernt mich kennen; seine Wohnung

Wird mein väterliches Haus,[97]

Und mir ist, als hätten diese

Zimmer mich als Kind umgeben,

Diese ernsten Ahnenbilder

Von der Wand mich angesehn,

Und Gesichter, diesen ähnlich,

Und dem euren und dem seinen,

Meine Wiege schon umstanden.

Eine Heimath, die ich suchte,

War gefunden, Karl war mein,

Mein Kind war sein Sohn – Elvire

War mir werth, wie eine Schwester –


Schmerzlich.


Oh mein Karlos! –

VALEROS ergriffen.

Edler Mann!

Nein, wer so geliebt, der konnte

So nicht fallen!

HUGO aufgeschreckt.

Wie nicht?

VALEROS.

Laßt

Mich nicht sagen, was ich mich[98]

Je gedacht zu haben schäme.

Was ihr meinem Sohn gewesen,

Seid's dem Vater nun: Ein Freund!

HUGO ihn starr ansehend.

Euch? – Doch ja, ihr könnt es wagen,

Denn ihr habt kein schönes Weib.

VALEROS entsetzt zurücktretend.

Hugo!

HUGO rasch und gepreßt.

Richtet nicht! Ihr seid

Mensch, besteht aus Geist und Leib,

Und gehört dem Himmel heut,

Und der Hölle morgen an.


Freier und gefaßter.


Rechtet mit der Sonnenbahn,

Die dem Scheitel naht in Süden,

Um der Unschuld goldnen Frieden,

Den der Sinne Wahn zerrissen,

Und zwei unbewachte Blicke.


Nach einer Pause.


Kennt ihr nun den Rittersmann,

Der in Zauberwaldes Nacht[99]

Ewig mit sich selber kämpfet?

Habt ihr Mitleid mit dem Armen,

Der den Freund liebt, und zugleich

Für des Freundes Gattin glühet?

Habt ihr Sinn für meine Qualen,

Wenn ich Karlos Wittwe küsse,

Und mir wilde Phantasien

Seinen unversöhnten Schatten

Auf die leeren Wände malen?

VALEROS.

Graf! Bin ich in vollem Lichte?

Weiß ich alles?

HUGO mit Ueberwindung.

Alles, was

Mein zu freier Schaltung ist

Von der traurigen Geschichte.

VALEROS nach einer Pause.

Rein sind sel'ge Geister nur.

Ich beklag' euch, Oerindur,

Richt' euch Gott, wie ich euch richte.

HUGO halb vor sich.

Amen![100]

VALEROS.

Eure Damen kommen.

HUGO.

Freundlich, Ritter, mit Elviren!

Sie ist schuldlos.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 91-101.
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