[216] Saal wie in der zweiten Hälfte des vierten Akts. Yngurd kommt düster und in sich gekehrt aus einer Seitengallerie. Er ist ohne Kopfbedeckung, ungewappnet wie im vierten Akt, aber das Schwert an der Seite. Langsam, in wachem Traume, geht er bis in den Vorgrund, und bleibt einige Sekunden ungbeweglich stehen. Ein tiefer Athemzug und die veränderte Richtung des Blickes kündigen sein Erwachen an.
Ich will nicht weiter daran denken! – – Was –
Was sprach ich da? Ich will nicht? Steht denn das
Bei mir? Die Dünste sendet Erd' und Meer,
Zu Wolken in der Luft sich zu gestalten,
Das kann der Mensch nicht fördern und nicht halten,
Und wenn Gedanken aus dem Busen steigen,
Die, Trunknen gleich, in fessellosem Reigen
Aufziehn im Haupt, da ist kein König Herr,
Sie auszutreiben.
[217] Er thut einige Schritte und versinkt wieder in Nachdenken.
Es war Satans Spiel,
Als der Gedank' an Mord mich überfiel
Auf dieser Stelle! – – Mord? Mord, sagt' ich? Wer
Kann deß mich zeihn? Wär' Oskar stark, wie ich,
Ja, hätt' er dreifach meine Kraft, mit Freuden
Ließ' ich die Schwerter zwischen uns entscheiden.
Es geht nicht; nun, so geb' ich ihn – und mich –
In Marduffs Hand – ist das ein Mordgeheiß?
Mit steigendem Eifer.
Nein. Nein! Der süße Zitherschläger weiß,
Daß Kron' und Haupt Eins sind beim Helden; denn
Sprach er's nicht selber aus im Lager? Wenn
Er um mein Leben spielen will, wohlan!
Ich bin bereit, er setze seines d'ran.
Auf eines Knechtes würfelhaften Sinn
Gilt unsre Wett', und Eins steht gegen Drei
Zu Oskars Vortheil: Muth und Witz und Treu:[218]
Muß Marduff, wenn ich soll gewinnen, haben;
Wenn Eins ihm fehlt, verlier' ich an den Knaben.
Wer sagt, daß ich ein feiger Spieler bin?
Wer? – Jeder Pulsschlag in den vollen Adern.
Gespannt nur hab' ich erst den Bogen, noch
Ist's nur Gedank', ist ungeschehn; und doch
Fängt Herz und Hirn so mächtig an zu hadern
In mir, daß ich's nicht tragen könnte, wenn
Ich nicht gewiß wär': Jetzt kann nichts geschehn,
Jetzt ist er sicher unter'm Aug' der Frauen.
Wär's nur vorbei erst! – Was vorbei? Die That –
Die wird vorbei seyn einst; ein rollend Rad
Geht alles, was geschieht, vorüber. Doch dieß Grauen,
Das da ist, eh' die That noch ist gethan,
Das aus der Brust heraufsteigt zu den Haaren,
Wenn ich sie denke – ist auch das vorbei,
Wenn sie vorbei ist? Bin ich wieder frei,
Wenn Oskar todt ist? Werd' ich wieder Mann,
Wenn diese Furcht –
[219] Er hält einen Augenblick inne, dann im starken Ausbruch des inneren Kampfes.
Oh, packt mich stärker an
Ihr Höllengeister, oder laßt mich fahren!
Gebt ganz mich auf, ihr himmlischen Gewalten,
Wenn euch die Macht fehlt, ganz mich zu erhalten!
Wenn Gott und Teufel eine Seele spalten,
Hat keiner etwas, das der Mühe lohnt.
Yngurd, der Held, von einem Kind entthront?
Yngurd, der Bauer, frommer Eltern Kind,
Die stolz auf ihn im Herrn entschlafen sind,
Ein Meuchelmörder? Hier ist keine Wahl,
Hier steht der Menschenwitz an seinen Schranken.
Den Wahnwitz möcht' ich rufen, die Gedanken
Wild zu verwirren, daß des Sinnens Qual
Im wüsten Meer des Unsinns ende; daß
Die Tollheit, die blind handelt, wie die Noth,
Der Klugheit Amt verwalt', und ihr Gebot
Rasch, eh' es mein Gemüth gewahrt, vollstrecke!
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro