An ein Dorf

[58] How happy he who crowns in shades like these

A youth of labour with an age of ease!

Goldsmith.


Flora krönt mit heitrer Blumenfülle

Deine Rasenhügel,

Ceres überströmt mit goldnem Segen

Dein Gefild, o Dörfchen!
[58]

Schwesterlich, in deiner Bäume Zwielicht,

Wandeln, traut umschlungen,

Wie durch Geßners Hirtenparadiese,

Seelenruh' und Unschuld.


Sittsamkeit blieb deiner Töchter Erbe;

Ihrer Wangen Blüthe

Prangt in keuschem Jugendroth, wie Guidos

Himmlische Madonnen.


Wacker sind und kraftvoll deine Söhne;

Mit wie mancher Wildniß,

Wo die Distel herrschte, rang um Aehren

Schon ihr Arm von Eisen!


O daß einst, o Dorf, in deinen Schatten,

Bis zur letzten Woge,

Mir der Strom des Lebens, rein wie jener

Wiesenborn, entwallte!


Dort, wo Pappeln Dämmrung streun und Kühle,

Wo des Thals Gebüsche

In des Mühlenteichs kristallner Klarheit

Ihre Locken spiegeln:


Winkte meine weinumrankte Hütte,

Grünte meine Laube,

Blühten meines Blumengartens Beete,

Reiften meine Saaten!


Jenes Buchenhaines Frühgesänge

Weckten mich am Morgen;

Dieses Apfelbaumes Nachtigallen

Tönten mich in Schlummer!


Stern der Hoffnung! Doch du bist umschleiert;

Ach! das Wonnelächeln

Meiner Grazie, der holden Freude,

Starb an Lauras Grabe!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 58-59.
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