Das Todtenopfer

[152] Die Berge stehn so düster,

Von Nebeldunst umflort;

Durch banges Rohrgeflüster

Rinnt schwach das Bächlein fort;

Ein fernes Hirtenfeuer,

Am grauen Fichtenhain,

Hellt matt der Dämmrung Schleyer,

Wie Leichenfackel-Schein.


Aus Warten und aus Klüften

Fleugt scheu die Eul' empor;

Es gehn aus ihren Grüften

Die Geister leis' hervor;[152]

Still tanzen, in Ruinen,

Die Gnomen und die Fey'n,

Vom Glühwurm bleich beschienen,

Den abendlichen Reih'n.


Am Seegestad' erlöschen

Des Dorfes Lämpchen schon;

Des Klosters dunklen Eschen

Entlispelt Klageton;

Die Sterne blinken traurig

Vom Herbstgewölk umgraut;

Die Winde seufzen schaurig

Im hohen Farrenkraut.


Des Traurenden Gedanken

Entschweifen bang dem Schooß

Der Alpenwelt, und wanken

Um ferner Gräber Moos.

Tief ist die Ruh' der Grüfte;

Der Morgensonne Licht,

Das Wehn der Frühlingslüfte,

Weckt ihre Schlumm'rer nicht.


O Freunde! deren holde

Gestalten, mildumstralt

Von blassem Abendgolde,

Mir die Erinnrung malt:

Fünf Kränze von Platanen

Bringt, hier am Felsaltar,

Die Sehnsucht euren Manen

Zum Todtenopfer dar.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 152-153.
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