Milesisches Mährchen

[170] Χαλεπον το μη φιλησαι.

Χαλεπον δε χαι φιλησαι.

Αναχρ.


Ein milesisches Mährchen, Adonide!

Unter heiligen Lorbeerwipfeln glänzte

Hoch auf rauschendem Vorgebirg' ein Tempel.

Aus den Fluthen erhub, vom Pan gesegnet,

Im Gedüfte der Ferne sich ein Eiland.

Oft, in mondlicher Dämmrung, schwebt' ein Nachen

Vom Gestade des heerdenreichen Eilands

Zur umwaldeten Bucht, wo sich ein Steinpfad

Zwischen Mirthen zum Tempelhain emporwand.[170]

Dort, im Rosengebüsch, der Huldgöttinnen

Marmorgruppe geheiligt, fleht' oft einsam

Eine Priesterin, reizend wie Appelles

Seine Grazien malt, zum Sohn Cytherens,

Ihren Kallias freundlich zu umschweben

Und durch Wogen und Dunkel ihn zu leiten,

Bis der nächtliche Schiffer, wonneschauernd,

An den Busen ihr sank. Ein schöner Jüngling!

Werth Endymions Göttertraum zu träumen.

Liebe säuselte Zephyr; Liebe stralte

Luna durch die Platanen; Philomele

Sang, in Tönen der Nachtigall von Lesbos,

Auf den Mirthen ein Brautlied; Amorn woben

Einen magischen Flor um die Vermählten.


Veilchen blühten und starben; an der Quelle

Schlossen Rosen sich auf; im Aehrenkranze

Grüßte Ceres die goldne Flur, und immer

Kam und kehrte der Nachen. Den Beglückten,

Gleich den seligen Herrschern des Olympus,

Fern vom Künftigen und Vergangnen, strömte

Der Entzückungen Fülle. Arethusa

Wallt im Scheine des Morgenroths nicht heller

Als die Stunden der Liebe; doch sie rauschen,

Adonide! wie Pfeile von Apollons

Silberbogen dahin. Olympiaden

Schwinden Amors Geweihten mit dem Eilflug

Eines Tages im Lenzhain, wenn den Chortanz

Lied und Flöte begeistern und mit Epheu

Holde Mädchen den Kelch von Thasos krönen.


Agerochos der alte Zaub'rer brannte

Für die Priesterin, und zu ihren Füssen

Schmolz sein ehernes Herz in wilder Flamme.

Doch sie spottete sein, wie des Cyklopen[171]

Galatea die Nymph', und ihr Gedanke

Flog zur seligen Insel, wo der Nachen,

Wenn die Sonne meeruntergieng, dem Ufer

Auf gerötheter Spiegelfluth entrauschte,

Von Tritonen umschwärmt und Nereiden.

Bläulich schimmert' auch oft (ein schaurig Wunder!)

Wenn sie festlichbekränzt den Opferhymnus

Am Altare begann, durch Weihrauchswolken,

Am Gewölbe des Heiligthums die Gluthschrift:


"Lieb', o Schöne, den Zaub'rer Agerochos!

Seit Deukalions Fluth gebeut der Zepter

Seiner Göttergewalt den Elementen,

Hüllt die Scheibe des Monds in Rabenschwärze,

Hemmt den brausenden Stromfall, heißt Palläste

Von Rubinen und Gold der Erd' entschimmern,

Winkt die Geister der Todten aus versunknen

Sarkophagen empor, verwandelt Menschen

Bald in Blumen der Flur und Haingestäude,

Bald in schuppichte Wasserungeheuer,

Bald in flammenbeschweifte Nachtphantome.

Herrsch' auf stralendem Thron im Schooß der Bergkluft!

Lieb', o Schöne, den Zaub'rer Agerochos!"


Eine wächserne Tafel an der Felswand,

Wo des Tempels Gebüsch an wilde Spalten

Und volkanische Bergruinen grenzte,

Gab dem schrecklichen Freyer drauf zur Antwort:


"Wenn die Fichten der Oede von der Goldfrucht

Der hesperischen Wundergärten schimmern,

Wenn gesprenkelte Pardel mit Delphinen

Und des wipfelumrauschten Aetnas Gluthen[172]

Mit kaukasischem Eise sich vermählen,

Wird dem Herrscher der Bergkluft und Glyceren

Hymens Fackel am goldnen Torus lodern."


Wuth entfunkelte drob des Unholds Nachtblick.

Einst als Kallias, in des Zaubermondes

Lauer Dämmerung an Glycerens Busen

Traulich kos'te, da scholl's, wie dumpfes Donnern

In den Tiefen des Aetna, eh' der Gluthstrom

Seine Wogen emporwälzt, aus den öden

Felsenschlünden der hohen Berggehölze:

Wetterwolken umlagerten den Vollmond;

Durch die sausenden Lorbeerwipfel zuckten

Blaue Leuchtungen und es rauscht' urplözlich,

An zersplitternden Zweigen, ein umflammter

Drachenwagen herab. Glycera bleicher

Als penthelischer Marmor, und den Jüngling,

Wie die Rebe den Ulmbaum, fest umschlingend,

Glaubt' in stygisches Dunkel zu versinken;

Denn mit Grausen erkannte sie im schwarzen

Drachenlenker den Zaub'rer Agerochos.

Als, umwunden vom Schwanenarm der Schönen,

Die Adonisgestalt sich ihm enthüllte,

Da, im Krampfe des Zorns, berührt' er beide

Mit dem Zepter der Rache. Donnerwolken

Bargen mystisch die Scene. Blize flammten

Furchtbar über des Meeres grausem Abgrund.

Bald verstummte der Nachtorkan; die düstern

Wolkenheere verflogen und der Vollmond

Schwebt' in freundlicher Herrlichkeit am Himmel.[173]

Doch er leuchtete nicht wie sonst dem holden

Paar im Rosengebüsch; der Plaz war öde.

Beide grünten als Mirthen, dicht am Wäldchen

Wo der Grazien Marmorgruppe glänzte.

Amor heiligte die verschränkten Zweige,

Wo die Nachtigall gern, im Rosenmonde,

In der Dämmerung sang, zum Laub der Liebe.


Ein ephesischer Priester, der zu Kuma

Mir dies Wunder erzählte, sah' als Knabe

Oft, mit heiligem Grau'n, des weitberühmten

Tempels prächtige Trümmer und die Waldbucht

Wo der Nachen des kühnen Jünglings ruhte.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 170-174.
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