[221] Wenn der Morgen sich röthet, wenn des Abends
Goldgewölke die Fichtenhöhn beleuchten,
Wenn die heiligen Sterne schimmern, denk' ich
Dein, o Geliebte!
Dann vernehm' ich, mit Geistesohr, die Laute
Deiner Grazienlippen; sanfter hallt nicht
Aeols Harfengetön' in Philomelens
Wehmuthsakkorde.
Dann erscheinen mir, im Erinnrungstraume,
Hirtenfluren, umragt von Alpengipfeln,
Wo, nach Blumen zu spähn, du in des Aufgangs
Glorie wandelst.
Dann beseligt mich, bei der Eiswelt Wundern,
Dein Entzücken, und deiner Frühlingswange
Dunkler flammende Röthe, bei des Montblancs
Abendverklärung.
Dann durchgleiten wir, in umschäumter Barke,
Des lemanischen Halbmonds grüne Fluthen;
Froher spiegelt sich Phöbus nirgends, froher
Nirgends Diana.
Dort bei Meillerie weihtest du dem Jüngling,
Den ein feindlicher Stern aus Amors Himmel[221]
In den Tartarus öder Felsen bannte,
Thränen des Mitleids.
Hier, bei Juliens Dorf, am Burggemäuer,
Windest glänzenden Epheu du zum Kranze,
Den, mit sinnendem Ernst, wir fromm der Unschuld
Genius opfern.
Schon birgt hinter dem Jura sich die Sonne,
Und mit bläulichem Scheine flimmt der Glühwurm;
Horch! des wirthlichen Dörfchens dumpfe Glocken
Mahnen zur Heimkehr.
Sonnen sinken und steigen; Lenze werden
Blühn und sterben: Doch keine Morgenröthe,
Doch kein kehrender Frühling, ach! vereint auf
Erden uns wieder.
Unsre Pfade sind fern und weit geschieden!
Blüthen wehn auf den einen, dürre Blätter
Auf den andern herab: Doch beid', o Wonne!
Leiten zum Grabe.
Wenn das meine sich längst, nur von Aurorens
Thränen einsam bethaut, mit Halmen deckte,
Werden Mirten, o Freundin, dir der Locken
Fülle noch kränzen!
Dich, Vertraute der höhern Welt, beschwör' ich
Beim unsterblichen Einklang edler Seelen:
Laß im reinsten der Herzen dann des Freundes
Bild nicht erbleichen!
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