An einen Maler

[92] Λεγουσιν,

Α ϑελουσιν.

Λεγετωσαν,

Τι μελει σοι;

Gemma antiqua.


1.

Zu diesem Christuskopf, erhaben, sanft und mild,

Wünscht' ich von deiner Hand, o Freund, ein Gegenbild.

O köntest du das ganz darinn zusammenfassen

Was Seelen edler Art an Bösewichtern hassen.

Die Züge findest du beim Hogarth sonder Müh'.[92]

Ein schändlicher Pasquill auf Menschheit sah' ich nie,

Als seine Höllenzunft von Lotterbubenköpfen!

Aus diesem Quell, o Freund, mußt du die Züge schöpfen,

Das ekle Mittelding vom Teufel und vom Affen,

Dies Räthsel der Natur getreu und wahr zu schaffen.

Von Holbeins Judas nimm des Blickes Niedrigkeit,

Von G*** die freche Stirn voll Menschenhaß und Neid,

Das übrige wirst du beim Hogarth alles finden.

Hast du dies Konterfei, den Spiegel aller Sünden,

Wovor die Unschuld bebt, die Frömmigkeit erbleicht,

Die Treue sich verhüllt, die Menschenliebe fleucht,

Mit kühner deutscher Kraft, o Künstler, nun vollendet,

Von Schönheit, Lieblichkeit und Anmuth unverblendet:

So gieb als Sinnbild noch in seine dürre Hand

Ihm ein Chamäleon und mal' ihm ein Gewand

Wie weiland Skapin trug, nur noch ein wenig bunter,

Und schreib, troz aller Welt, getrost Voltaire drunter.


2.

Zu diesem Satanskopf, arglistig, frech und wild,

Wünscht' ich von deiner Hand, o Freund, ein Gegenbild.

O könntest du das ganz darinn zusammenfassen

Was Seelen niedrer Art an edlen Menschen hassen!

Die Züge findest du beim Guido sonder Müh'.[93]

Erhabner huldigte die Kunst der Menschheit nie,

Als da er Bilder schuff die Himmelsanmuth hauchen.

In diesen Quell, o Freund, mußt du den Pinsel tauchen,

Das seltne Mittelding vom Menschen und vom Engel

Zu schaffen ganz und wahr, getreu und ohne Mängel.

Nur nimm von Klopstock noch des Blicks Erhabenheit,

Von Lavater die Stirn voll Lieb' und Menschlichkeit,

Vom Christus des le Brün der Wangen Jugendblüthe;

Hast du dies hohe Bild, den Spiegel reiner Güte,

Wovor das Laster bebt, der freche Spott erbleicht,

Die Falschheit sich verhüllt, der Menschenhaß entfleucht,

Wovor den Höllenblick selbst Adramelech wendet,

Hast du mit deutscher Kraft dies hohe Bild vollendet:

So gieb noch, als Symbol, in die gehobne Hand

Der Wahrheit Fackel ihm, und mal' ihm ein Gewand

Voll Glanz, wie Christus Kleid, als er auf Tabor stand,

Und drunter sei ein Grab bei dem die Tugend weint,

Und auf dem Stein die Schrift: Sie weint um ihren Freund.


Wem hier sein Herz nicht sagt, wer dieser Freund gewesen,

Der kann's im heil'gen Hain der Pappelinsel lesen.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 92-94.
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