Dreizehnter Auftritt


[72] Der Scheik. Babel.

Schēfakā erscheint unter dem Vorhange ihrer Zeltabteilung, wird aber nicht bemerkt. Sie ist als »Seele« gekleidet, genau so, wie vorgelesen wird.


SCHEIK erhält von Babel das Manuskript und liest die Stelle vor.

»Ich schmücke dich mit Gold aus Babylon,

Mit Steinen, die Schamūramāt1 einst trug,

Mit zauberschweren Āltupīrti-Ketten

Und Perlen aus der Zeit der Sündenflut.

Wenn du wie eine Fürstin vor mir schreitest,

Klingt dir am Fuß die Spange von Sirgūlla,

Und bist du müd, so winkt dir süße Ruhe

Auf weißem Alabaster von Martū,

Auf dem du wie ein holder Königstraum

Aus Āgadī zu uns herüberschlummerst.«


Das Buch schließend und wieder wie in die Ferne schauend.


Der Schmuck von Bēnt'ullāh! Sie ließ ihn mir.

BABEL.

Er wird im Drachensaale aufbewahrt,

Doch nun soll ihn die »Menschenseele« tragen.

SCHEIK ohne auf Babels Worte zu achten.

Auf weißem Alabaster von Martū!


Auf die Bank zeigend.[72]


Auf diesem hier, auf ihrem Lieblingsplatz!


Nimmt Babel bei der Hand, führt ihn bis an die erste Kulisse links, vor welcher Mārah Dūrimēh verborgen sitzt, und deutet da hinaus in das Freie.


Sie ging zum Beten stets nur diesen Weg

Und bei der Rückkehr gleich zum Alabaster,

Um auszuruhn vom Gange nach der Höhe.

In letzter Zeit ist es mir oft gewesen,

Als sei sie nur zum Beten fortgegangen,

Als müsse sie nun wiederkommen – – – jetzt – – –

An jedem Augenblick – – – da ist sie schon! – – –

Und stracks zum Alabaster gehen – – – so!


Tut, als ob er Bēnt'ullāh sei, und geht in gerader Richtung nach der Bank hin. Da fällt sein Blick auf Schēfakā. Er schreit auf.


Allāh, Allāh! Da steht sie! Bēnt'ullāh!

SCHĒFAKĀ läßt den Vorhang, den sie in der Hand gehalten hat, hinter sich fallen, kommt näher.

Ich bin »die Seele«, doch nicht Bēnt'ullāh,

Die höher stand, als Seelen stehen können.

Verzeihe mir! Ich wollte dich erfreuen!

SCHEIK.

Nicht Bēnt'ullāh – – –! Die Seele – – –! Nur die Seele!

Und doch – – –


Aufatmend.


es war ein Schreck, ein großer Schreck!


Rafft sich zusammen.


SCHĒFAKĀ aufmunternd.

So sammle dich, und schau die Seele an!

Gefällt sie dir?


Dreht sich einige Male um und um vor ihm, bleibt dann stehen und fordert ihn dringend auf.


So sage, was du denkst!

SCHEIK der sich wieder gefunden hat, die gewichtige Seide ihres Gewandes mit der Hand prüfend.

Beinahe Bēnt'ullāh, nur kleiner – – – kleiner.

Wird es dir nicht zu schwer, die Last zu tragen?[73]

Fußnoten

1 Semiramis.


Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 74.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
Babel und Bibel: Arabische Fantasia in zwei Akten

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon