8.

»Swallow« und »l'Horrible«

[740] Es war am späten Abend. Sam Fire-gun ging längs des Quai's auf und ab, um sich keines der abstoßenden Boote entgehen zu lassen. Diese Aufgabe war für eine einzelne Person eine schwierige, wo nicht unmögliche, und in Wirklichkeit wurde auch gar mancher Kahn vom Lande gerudert, ohne daß der aufmerksame Trapper die rechte Zeit fand, den oder die Insassen desselben zu mustern. Es herrschte ringsum tiefe Dunkelheit, welche die Straßenlaternen und Schiffslichter nur spärlich zu durchdringen vermochten, und Fire-gun stand am Ufer, um von dem anhaltenden Patrouillengang ein wenig zu verschnaufen, als grad zu seinen Füßen der Führer eines unbesetzten Bootes bei den zu dem Wasser führenden Stufen anlangte.

»Good evening, Mann, wo kommt Ihr her?« frug er ihn.

»Von draußen.«

»Von welchem Schiff?«

»Von keinem.«

»Von keinem? Wart Ihr allein spazieren?«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Schiffer, neben ihm stehen bleibend und seine vom Rudern angegriffenen Arme dehnend.

Der Trapper wurde aufmerksam.

»So habt Ihr Jemand gefahren?«

»Wird wohl nicht anders sein, Master.«

»Aber bei keinem Schiffe angelegt und kommt leer zurück. Habt Ihr ihn ersäuft?«

Der Schiffer lachte.

»So ähnlich. Aber wartet noch einige Stunden mit Euren Fragen, dann will ich sie Euch beantworten.«

»Warum nicht eher?«

»Weil ich nicht darf.«

»Und warum dürft Ihr nicht?«

»Weil ich's versprochen hab'.«

Der Mann schien Wohlgefallen daran zu finden, sich nach Etwas fragen zu lassen, worüber er nicht bereit war, Auskunft zu ertheilen. Der Jäger aber wurde von einem unbestimmten Gefühle getrieben, weiter zu forschen.

»Und warum habt Ihr dies versprochen?«

»Weil, weil – hört, Mann, Ihr fragt verteufelt dringlich – weil sich ein Jeder gern ein Trinkgeld geben läßt.«

»Ah so! Also eines Trinkgeldes wegen dürft Ihr nicht sagen, wen Ihr gefahren habt?«

»So ist's.«

»Und Ihr werdet es dennoch sagen, wenn ich Euch ein besseres Trinkgeld gebe?«

Der Schiffer warf einen ungläubigen Blick auf das zerfetzte, lederne Habit des Andern.

»Ein besseres? Wird Euch schwer werden!«

»Wie viel bekamt Ihr?«

»Meinen Lohn und einen Dollar obendrein.«

»Blos?«

»Was, blos! Euch fallen wohl die Dollars durch den zerrissenen Jagdrock in die Tasche?«

»Dollars? Nein. Geld habe ich nicht, aber Gold.«

»Wirklich? Das ist ja noch besser als Geld!«

Der Fischer wußte aus Erfahrung, daß mancher abgerissene Miner mehr bei sich trug, als hundert Stutzer mit einander besitzen.

»Meint Ihr? Da seht Euch einmal dies Nugget an!«[740]

Sam Fire-gun trat unter eine Laterne und zeigte dem Fischer ein Stück Waschgold, welches er aus der Tasche gezogen hatte.

»Alle Teufel, Master, das Stück ist ja seine fünf Dollars unter Brüdern werth.«

»Richtig! Und Ihr sollt es haben, wenn Ihr mir sagt, was Ihr verschweigen sollt.«

»Ist's wahr?«

»Gewiß. Also, wen habt Ihr gefahren?«

»Gebt erst das Stück her!«

»Hier ist's! Also, wen habt Ihr gefahren?«

»Zwei Männer.«

»Ah! Wie waren sie gekleidet? Jäger?«

»Nein. Mehr wie Seeleute, ganz neues Habit.«

»Auch möglich. Wie sahen sie aus?«

Der Schiffer gab eine Beschreibung, welche ganz auf Latour und Letrier paßte, für den Fall, daß Beide ihr Aeußeres verbessert hatten.

»Wo wollten sie hin?«

»Da hinaus, in die Nähe des ›l'Horrible‹, der dort auf den Ankern reitet.«

»Des ›l'Horrible?‹« Sam Fire-gun wurde aufmerksamer. »Was sprachen sie unter sich?«

»Konnte es nicht verstehen!«

»Warum?«

»Sie frugen mich, ob ich gelernt habe, französisch zu reden, und als ich nein sagte, parlirten sie ein Mischmasch, daß mir davon die Ohren klangen.«

»Sie sinds! Wo stiegen sie aus?«

»Draußen im Wasser.«

»Unmöglich.«

»Grad so und nicht anders. Sie sagten, sie gehörten zum Schiff und wären ein Wenig durchgekniffen, um sich zu Lande einen Spaß zu machen. Nun wollten sie ihre Rückkehr nicht merken lassen und sind deshalb bis an Bord geschwommen.«

»Und vorher mußtet Ihr ihnen versprechen –«

»Bis einige Stunden Nichts davon zu erzählen.«

Ehe Fire-gun eine weitere Frage thun konnte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.

»Mein Bruder komme mit mir!«

Winnetou war's. Er führte ihn einige Schritte abseits und frug dann:

»Wie heißt das große Canoe, welches da drüben im Wasser liegt?«

»›l'Horrible‹.«[753]

»Und wie heißt das Canoe, auf welchem der Weiße, der sich Sander nannte, Häuptling gewesen ist?«

»›l'Horrible‹. Es ist ganz dasselbe.«

»Wird der Weiße nicht hinausrudern, um sein Canoe wieder zu besitzen?«

Sam Fire-gun stutzte.

»Wie kommt denn mein rother Bruder auf diesen Gedanken?«

»Winnetou lag da draußen vor den Hütten der Bleichgesichter an der Erde und erwartete seine Freunde, die noch immer nicht gekommen sind; da sah er viele weiße Männer am Wasser, die in ihre Canoe's stiegen und den Namen nannten, den mein Freund jetzt ausgesprochen hat.«

»Hat mein Bruder Alles gehört, was sie sprachen?«

»Sie wollten auf das große Canoe und die Männer desselben tödten, weil der schwarze Häuptling kommen werde.«

»Der schwarze Capitain?«

»Mein Bruder sagt das Wort; es ist zu schwer für die Zunge des Apachen.«

»Und sie sind hinaus auf das Wasser?«

»Ja. Sie hatten Messer und Beile im Gürtel.«

Sam Fire-gun überlegte.

»Mein Bruder gehe zurück an seinen Posten; die Jäger müssen kommen, noch ehe der Morgen hereinbricht.«

Der Apache folgte der Weisung. Auch der Schiffer hatte sich mit seinem Nugget entfernt, und so blieb der Colonel allein zurück.

Sollte wirklich etwas Ungewöhnliches auf dem »l'Horrible« vorgehen? Winnetou hatte sich jedenfalls nicht geirrt; aber wenn das Schiff wirklich überfallen werden sollte, wie konnten diese Leute von der Ankunft des verfolgten Latour so genau unterrichtet sein?

Während er noch sann, ertönten draußen auf der Rhede drei Schüsse nacheinander, und trotz der späten Stunde belebte sich der Quai innerhalb kurzer Zeit mit einer ganz beträchtlichen Menschenmenge, welche begierig war, die Ursache der Alarmschüsse zu erfahren. Die Dunkelheit gestattete nicht, die im Hafen und auf der Rhede liegenden Schiffe zu unterscheiden, aber die Beweglichkeit der auf ihnen herumgetragenen Laternen war ein sichres Zeichen, daß irgend etwas Unerwartetes geschehen sei.

Ein von sechs Rudern bemanntes und von einem Midshipman befehligtes Kriegsboot landete ganz in der Nähe des Jägers. Ein zufällig sich am Lande befindender Steuermann, dem er Rede und Antwort zu stehen verpflichtet war, trat auf ihn zu.

»Was giebts da draußen, Sir?«

»Der ›l'Horrible‹ sticht mit vollen Segeln in See.«

»Nun, was ists weiter?«

»Was weiter? Seine sämmtlichen Offiziere befinden sich am Lande; es ist jedenfalls irgend ein Schurkenstreich geschehen und ich habe Ordre, sie sofort zu benachrichtigen.«

»Wer hat die Schüsse abgefeuert?«

»Wir, auf dem Panzermonitor. Unser Capitain ist bei den Herren vom ›l'Horrible‹. Good night, Sir!«

Er eilte davon.

Sam Fire-gun folgte ihm unwillkürlich und gelangte so an das von der Frau de Voulettre bewohnte Haus. Auch hier herrschte eine ganz bedeutende Aufregung. Die Herrin war seit längerer Zeit spurlos verschwunden und fast sämmtliche Gäste lagen betäubt und besinnungslos im Salon, in Folge eines in den Wein gemischten Giftes, wie die schleunigst herbeigeholten Aerzte aussagten. Mit der Frau de Voulettre war eine werthvolle Sammlung von Seekarten und nautischen Instrumenten verschwunden.

Dies Alles hörte der Trapper erzählen. Aerzte, Polizisten und Seeleute flogen aus und ein, und ein riesiges Gedränge war vor dem Hause entstanden. Jetzt befand er sich selbst in Aufregung. Er konnte sich nicht erklären, in welcher Verbindung Latour mit dieser Frau de Voulettre stehe, aber daß der Erstere mit Hülfe der Letzteren den »l'Horrible« entführt habe, wurde ihm zur unumstößlichen Gewißheit, obgleich es ihm unmöglich war, die Einzelheiten klar zu durchschauen.

Sollte er die Beobachtung des Apachen der Polizei mittheilen? Das hätte zu Vernehmungen und Weitläufigkeiten geführt, die seinem Zwecke nur schaden konnten. Es gab nur einen einzigen schnellen und sichern Weg, den die Polizei jedenfalls ganz von selbst einschlug: Der »l'Horrible« mußte verfolgt werden. Sam Fire-gun beschloß, dies auch auf seine eigne Faust zu thun. Dazu gehörte aber vor allen Dingen Geld zur Miethe eines Schnelldampfers, und um dies zu bekommen, mußte er das Eintreffen seiner zurückgebliebenen Leute abwarten, welche den sämmtlichen im Hide-spot verborgen gewesenen Goldreichthum mit sich führten. Seine Aufgabe am Quai hatte sich erledigt; er konnte zu Winnetou zurückkehren und sah sich gezwungen, seine Ungeduld zu bemeistern.

Ohne ein Wort der Erklärung nahm er draußen vor der Stadt neben dem Apachen Platz. Dieser wickelte sich in seine Decke, schloß die Augen und war bald in Schlaf versunken. Sam Fire-gun aber wachte. Der Gedanke, daß sein ärgster Feind, der Mörder seines Bruders, sich auf der See vielleicht in Sicherheit befinde, während er selbst, der ihm durch die weite Savanne Schritt für Schritt und unter unsäglichen Anstrengungen und Entbehrungen bis hierher gefolgt war, an das Land gebannt blieb und ihn sich entwischen lassen mußte, folterte ihn, sodaß er sich ruhelos im Grase wälzte und die Minuten zählte, die ihn noch von den Seinigen trennten.

Die Habe, welche sie mit sich führten, hatte sie aufgehalten und darum war er mit dem Apachen ihnen vorausgeeilt, um die Verfolgten nicht aus den Augen zu verlieren. Nach seiner Berechnung konnten sie am Morgen eintreffen, und so erwartete er mit fieberhafter Ungeduld den Anbruch des Tages.

Die Sterne kehren sich nicht an die Wünsche des Menschenherzens; sie gehen ruhig ihren ihnen seit Jahrmillionen vorgeschriebenen Lauf; aber endlich gehen sie doch unter und das siegreiche Licht des Tages wirft seine Strahlenfluth über[754] die weite Erde hin. Der Morgen war da. Sam Fire-gun beneidete den Apachen um seinen festen, ruhigen Schlaf und überlegte eben, ob es Zeit sei, ihn zu wecken, als Winnetou plötzlich ganz von selbst in die Höhe sprang, mit muntern, scharfen Augen um sich blickte und dann sich wieder lauschend auf die Erde legte. Dann richtete er sich wieder empor.

»Mein Bruder lege sein Ohr an den Boden!«

Der Trapper that es und vernahm ein allerdings kaum zu empfindendes Geräusch, welches sich der Stadt näherte. Der Sohn der Savanne hatte es sogar im Schlafe gemerkt. Winnetou horchte nochmals.

»Es nahen Reiter auf müden Pferden. Vernimmt mein Bruder das Wiehern eines Thieres? Es ist das böse Pferd des fremden Mannes, der auf dem großen Wasser gefahren ist.«

Er meinte mit dieser Umschreibung den Dakotatraber, welchen der Steuermann Peter Polter ritt. Sam Fire-gun wunderte sich nicht über den außerordentlichen Scharfsinn des Indianers; er war Aehnliches und noch Erstaunlicheres längst von ihm gewohnt. Er sprang erwartungsvoll von der Erde auf und beobachtete die Ecke eines Gesträuches, welches die Nahenden noch verbarg.

Nach einiger Zeit kamen sie zum Vorschein. Es war Treskow mit dem Neffen des Colonels. Hinter ihm ritt der Steuermann, welcher wie gewöhnlich außerordentlich viel mit seinem Pferde zu schaffen hatte. Dann kamen die Jäger, Dik Hammerdull, Pitt Holbers, Bill Potter und einige Andre. Jeder von ihnen hatte ein oder mehrere Pferde oder Maulthiere, welche schwer beladen zu sein schienen, am Leitzügel.

»Geht Ihr das Nest da vorn?« rief Peter Polter. »Ich glaube, es ist endlich dieses San Franzisko, welches ich von hier aus nicht kenne, weil ich es nur von der See aus gesehen habe.«

»Ob wir es sehen oder nicht, das bleibt sich gleich,« meinte Hammerdull; »aber, Pitt Holbers, altes Coon, was meinst denn Du dazu?«

»Wenn Du denkst, daß es Franzisko ist, Dik, so habe ich nichts dagegen,« antwortete dieser in seiner gewohnten Weise. »Als uns dort am Wasser die Rothen überrumpelten und in ihr Lager schleppten, hätte ich nicht gedacht, daß ich diese Gegend einmal zu sehen bekäme.«

»Ja, alte Segelstange,« bemerkte der Steuermann, »wenn damals Peter Polter aus Langendorf nicht gewesen wäre, so hätten sie Euch die Haut heruntergeschunden und Ihr lägt jetzt ohne Fell in Abrahams Schooß. Doch, schaut einmal da nach Luv hinüber! Ich lasse mich kielholen und dann mit Theer und Werg kalfatern, wenn das nicht der Colonel ist und –«

»Und Winnetou, der Apache,« fiel Treskow ein, sein Pferd zu rascherem Laufe antreibend, so daß er bald neben den beiden Genannten hielt.

»Gott sei Dank, daß Ihr endlich kommt!« rief Sam Fire-gun. »Wir haben auf Euch gewartet, wie der Büffel auf den Regen.«

»Es ging nicht schneller, Onkel,« antwortete Wallerstein. »Wir sind die ganze Nacht geritten. Sieh unsre armen Thiere an; sie können kaum noch stehen.«

»Wie ists, Colonel,« frug der Polizist; »habt Ihr sie erreicht?«

»Nur einen Augenblick kamen wir zu spät. Sie sind entwischt.«

»Entwischt?« Ein Zug unmuthiger Enttäuschung glitt über das geistvolle und jetzt tief gebräunte Gesicht des jungen Mannes. »Wann, wie und wohin?«

Sam Fire-gun erzählte das Geschehene. Ein ärgerlicher Fluch entfuhr den Lippen der Trapper.

»Wart Ihr auf der Polizei?«

»Nein; das hätte uns nur Zeit geraubt.«

»Ganz richtig. Es giebt nur einen Weg. Wir miethen sofort einen guten Dampfer und gehen hinter ihnen her.«

»Das war auch meine Ansicht, und darum erwartete ich Euch mit Ungeduld. Wir sind ja nicht im Besitz von couranter Münze und müssen schleunigst unser Gold umsetzen.«

»Wird nicht viel helfen!« meinte der Steuermann, im höchsten Grade verdrießlich.

»Warum?«

»Ich mag keinen Dampfer; diese Art von Fahrzeugen sind die miserabelsten, die es giebt. Ein guter Segler findet stets Wind, so eine Rauchschaluppe aber braucht Kohlen und findet sie nicht überall. Dann liegt man vor Anker oder gar faul auf offener See und kann weder vor noch rückwärts gehen.«

»So laden wir ein hinreichendes Quantum.«

»Mit Verlaub, Colonel, ein guter Jäger seid Ihr, das muß man sagen, aber zum Seemann taugt Ihr Nichts. Erst müssen wir den Dampfer haben, und es fragt sich, ob gleich so ein Ding zur Hand liegt. Und, paßt auf, diese Yankee's handeln und feilschen einen Tag lang mit Euch, ehe Ihr das Fahrzeug bekommt.«

»Ich gebe, was man verlangt.«

»Meinetwegen! Dann wird Proviant, Munition und Kohle geladen, um eine lange Fahrt aushalten zu können. Das Schiff wird endlich besichtigt, ob es seetüchtig ist, und darüber vergehen Stunden und Tage, so daß der ›l'Horrible‹ das Cap douplirt, ehe wir nur zum Auslaufen kommen. Der Teufel hole ihn!«

Die Andern schwiegen. Sie mußten sich gestehen, daß die Worte des braven Seemannes nur zu wohl begründet seien.

»Ich kann das Gesagte wohl kaum bezweifeln,« meinte Treskow endlich, »aber hier halten und das Meer anguken, das führt zu Nichts. Jedenfalls hat er schon genug Verfolger auf der Ferse, das ist ein Trost für uns. Und nach müssen wir auf jeden Fall.«

»Aber wohin?«

Die Uebrigen sahen den Steuermann fragend an.

»Das ist nicht so leicht gesagt,« entschied dieser. »War[755] der ›l'Horrible‹ gut mit Proviant versehen, so haben sie jedenfalls die Route nach Japan oder Australien eingeschlagen. Dahinzu ist die See frei und ein Entkommen leicht. War er aber schlecht verproviantirt, so sind sie nach dem Süden, um sich an irgend einem Orte der Westküste mit dem Nöthigen zu versehen.«

Die Wahrheit dieser Ansicht leuchtete Allen ein.

»So werden wir die darauf bezügliche Erkundigung einziehen. Vorwärts!« ermunterte Treskow.

Er ritt mit Sam Fire-gun voran.

»Kennt Ihr ein Haus, welches Nuggets kauft, Colonel?«

Dieser nickte.

»Bellhourst und Compagnie. Habe schon früher mit diesen Leuten zu thun gehabt, die mich wohl noch kennen werden.«

»Ist's weit zu ihnen?«

»Nein. Ihre Office liegt an unserm Wege nach dem Hafen.«

Sie erreichten das Gebäude. Der Colonel stieg ab und trat hinein. Nach einiger Zeit kam er zurück. Die ganze Gesellschaft verließ die Pferde und brachte den Goldvorrath, welcher ein bedeutender war, in das Comtoir. Er wurde untersucht und gewogen, und bald befand sich Sam Fire-gun im Besitze einer Summe, welche einen wahren Reichthum repräsentirte.

»Das wäre abgemacht,« meinte er. »Nun soll zunächst ein Jeder das ihm gehörige Antheil erhalten!«

Da trat Hammerdull hervor.

»Ob wir ihn erhalten oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; aber was soll ich mit den alten Papieren thun? Ich brauche sie nicht, Ihr aber habt sie jetzt nöthig. Pitt Holbers, altes Coon, was meinst Du dazu?«

»Wenn Du denkst, Dik, daß wir dem Colonel die Wische lassen, so habe ich Nichts dagegen; ich mag sie nicht. Eine fette Bärentatze oder ein Stück saftige Büffellende ist mir lieber. Dir nicht auch, Bill Potter?«

»Bin einverstanden,« nickte dieser. »Ich esse kein Papier und mein Pferd auch nicht, hihihihi. Der Colonel wird es uns schon wiedergeben, wenn er es nicht mehr braucht.«

»Ich danke Euch für Euer aufopferndes Vertrauen,« antwortete der Genannte; »doch weiß man ja nicht, wie sich die Verhältnisse gestalten werden. Ich zahle Euch aus, was Ihr zu bekommen habt; mir bleibt mehr als genug übrig. Brauche ich dennoch mehr, so seid Ihr ja immer noch da, wenigstens einige von Euch, denn Allen werde ich nicht zumuthen, mir auf die See zu folgen.«

»Ob Ihr es uns zumuthet oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel, ich gehe mit!«

»Ich auch!« fiel Holbers ein.

»Und ich!« rief der kleine Potter.

»Und ich – und ich!« schlossen sich die Uebrigen an.

»Das wird sich ja entscheiden,« drängte Sam Fire-gun die treuen Leute zurück. »Jetzt laßt uns zunächst theilen!«

Gleich noch im Comtoir erhielt ein Jeder das ihm Gehörige; dann verließen sie das Haus, stiegen wieder auf und ritten dem Hafen zu.

Außer den hier vor Anker liegenden Segelschiffen waren nur einige schwerfällige Schlepp- oder Güterdampfer zu sehen. Alle leichter gebauten Steamer hatten den Hafen verlassen, um die von den anwesenden Kriegsfahrzeugen auf den »l'Horrible« unternommene Jagd ein Stück weit zu verfolgen. Von den Letzteren war nur das Panzerschiff zurückgeblieben, dessen Befehlshaber sich noch immer betäubt am Lande befand.

Es war der rührigen Polizei bereits gelungen, einiges Licht in das Dunkel des nächtlichen Ereignisses zu bringen. Ein Bewohner des Parterre jenes Hauses, dessen erste Etage die Frau de Voulettre inne hatte, war zufälliger Weise im Garten gewesen, als drei Männer mit einem Koffer denselben passirt hatten. Auch der Kutscher war ermittelt worden, welcher die Drei bis vor die Stadt gefahren hatte. Der Besitzer der am Weitesten abgelegenen Schifferhütte hatte sich freiwillig gemeldet, um auszusagen, daß in voriger Nacht mehrere Kähne in seiner Nähe gehalten hätten. Er hatte sie beobachtet und gegen vierzig Männer einsteigen sehen, deren Anführer, von noch Zweien begleitet, mit einem Koffer eingetroffen war und auf den Zuruf der ausgestellten Wache mit »der schwarze Capitain« geantwortet hatte. Der Schiffer oder Fischer war natürlich vorsichtig genug gewesen, seine Anwesenheit nicht kund zu geben.

Diese Aussagen, verbunden mit der allgemeinen Sage, daß der Segelmeister des schwarzen Capitains ein Frauenzimmer von außerordentlicher Schönheit gewesen sei, und endlich verschiedene in der Wohnung der Frau de Voulettre vorgefundene Papiere und sonstige Anzeichen gestatteten einen beinahe sichern Einblick in den Zusammenhang des erst so undurchsichtigen Ereignisses. Dies Alles erfuhren die Jäger von der am Quai auf- und abwogenden Menschenmenge, die sich über die Nachricht, daß der einst so furchtbare Seeräuber mitten aus einem sichern und außerordentlich belebten Hafen ein wohlbesetztes Kriegsfahrzeug geraubt habe, in außerordentlicher Aufregung befand.

Der Steuermann musterte die anwesenden Schiffe.

»Nun?« frug der Colonel ungeduldig.

»Keins, was für uns paßt; lauter Salztonnen und Heringsfässer, die in zehn Monaten kaum zwei Knoten zurücklegen. Und da draußen –«

Er hielt inne. Jedenfalls hatte er sagen wollen, daß da draußen auf der Rhede auch kein passendes Fahrzeug zu bemerken sei, aber sein scharfes Auge mußte bei dem Blicke, den er hinauswarf, auf Etwas gefallen sein, was ihm die begonnene Rede abschnitt.

»Da draußen – – was ist da draußen?«

»Hm, ich will nicht Peter Polter heißen, wenn ganz da hinten nicht ein kleiner, weißer Punkt zu sehen ist, der nichts Andres als ein Segel sein kann.«[756]

»Also hier im Hafen finden wir wirklich kein passendes Fahrzeug?« frug Sam Fire-gun.

»Keins. Diese Holztröge schleichen wie die Schnecken und sind selbst für Geld nicht zu haben. Seht Ihr nicht, daß sie ihre Ladung löschen?«

»Und das da draußen?«

»Müssen es ruhig abwarten. Vielleicht geht es vorüber, vielleicht kommt es herein. Macht Euch keine Hoffnung. Auf ein Kriegsschiff kommen dreißig Kauffahrer, und diese Dinger taugen den Teufel zur Verfolgung eines Kapers, selbst wenn der Patron bereit wäre, uns das Fahrzeug zu vermiethen. Der Punkt, daß es in den Grund gebohrt werden kann, wiegt schwer, macht viele Umstände und kostet ungeheures Geld.«

»Und dennoch wirds versucht; es ist das Einzige, was uns übrig bleibt. Wie viel Zeit kann vergehen, ehe das Schiff einläuft?«

»Eine Stunde und noch mehr, vielleicht gar zwei oder drei, je nachdem es gebaut ist und befehligt wird.«

»So haben wir Zeit. Finden wir ein Fahrzeug, so gehen wir in See; finden wir keins, so müssen wir allerdings das Resultat der Verfolgung ruhig abwarten, ehe wir uns entschließen können über das, was ferner zu thun ist. Wären wir nur zehn Minuten eher eingetroffen, so hätten wir die Hallunken festgehabt. Jetzt laßt uns vor allen Dingen unsre Pferde einstellen und ein Store aufsuchen, um unsre abgerissenen Fetzen mit etwas Besserem zu vertauschen!«

Allerdings sahen sie Alle mehr Strauchdieben als ehrlichen Männern ähnlich. Sie begaben sich in ein Gasthaus, wo sie ihre Thiere versorgten und ihren eigenen Durst und Hunger stillten; dann traten sie in ein Store, wo sie Alles fanden, was ihnen nothwendig war.

Darüber war einige Zeit vergangen, so daß sie nach dem Hafen zurückkehrten, um nach dem Segel auszuschauen, welches vorhin zu sehen gewesen war.

Der Steuermann schritt voran. Als er an eine Stelle gelangte, welche einen reinen Blick auf den Hafen und die Rhede bot, blieb er mit einem lauten Ausrufe der Ueberraschung stehen.

»Behold, welch ein Segler! Da schießt er eben in den Hafen herein wie ein – – mille tonnere, sacré bleu, heiliger Schiffsrumpf, ein Klipper mit Schoonertakelage, es ist die ›Swallow‹, die ›Swallow‹, hurrrrrrjeh, juchheisassassassa!«

Er schlug vor Freude die sehnigen Hände zusammen,[769] daß es wie ein Böllerschuß knallte, packte mit dem einen Arme Hammerdull, den Dicken, mit dem andern Pitt Holbers, den Dünnen und tanzte mit ihnen im Kreise herum, daß die Menge aufmerksam wurde und die Gruppe der Jäger neugierig umringte.

»Ob juchheisassassassa oder nicht, das bleibt sich gleich,« brüllte der sich gegen den unfreiwilligen Tanz sträubende Hammerdull; »laß mich los, Du unsinniges Seeungeheuer. Was haben wir mit Deiner ›Swallow‹ zu schaffen!«

»Was Ihr damit zu schaffen habt? Alles, Alles sage ich,« erklärte Peter Polter, die beiden Bedrängten frei gebend. »Die ›Swallow‹ ist ein Kriegsschiff und noch dazu das einzige, welches im Segeln dem ›l'Horrible‹ überlegen ist. Und wer ist sein Kommandeur? Lieutenant Parker, den wir suchen. Ich sage Euch, jetzt können uns die beiden Hallunken nicht mehr entgehen; jetzt sind sie unser!«

Die Freude des Steuermannes theilte sich allerdings auch den Andern mit. Es war ja gar kein Irrthum möglich, denn unter dem Spriete des nahenden schmucken Fahrzeuges breitete eine aus Holz geschnitzte blaue Schwalbe ihre spitzen, vergoldeten Flügel aus. Lieutenant Parker mußte ein kühner, außerordentlich gewandter Seemann sein und sich vollständig auf jeden Einzelnen seiner gut geschulten Leute verlassen können, denn er hatte noch nicht ein einziges Reff geschlagen, obgleich er sich schon am Eingange des Hafens befand. Tief auf der Seite liegend, flog das scharf gebaute Fahrzeug unter der schweren Last seiner Segel wie vom Dampf getrieben herbei. Ein leichter Rauch stieg an seinem Vorderkastell empor; die üblichen Salutschüsse ertönten; vom Hafen aus wurde die Antwort. Dann hörte man die laute, klangvolle Stimme des Befehlshabers:

»Mann am Steuer, nach Back fall ab!«

Das Schiff beschrieb einen kurzen, graziösen Bogen.

»Die Reffs, Jungens. Laßt los!«

Die Leinwand lies den Wind fahren und fiel laut schwappend an die Masten. Das Schiff stieg vorn, dann hinten in die Höhe, legte sich tief auf die andre Seite, stand wieder auf und lag dann ruhig auf den breiten Ringen, welche die hereingebrochene Fluth gegen die mächtigen Quadern des Quai's spülte.

»Hurrah, die ›Swallow‹, hurrah!« klang es aus tausend Kehlen. Man kannte das prächtige Schiff, oder hatte wenigstens von ihm gehört und wußte, daß es die Jagd aufnehmen werde, auf welche sich die Aufmerksamkeit von ganz San Franzisko richtete.

Zwei Männer in Seemannsuniform drängten sich durch die Menge. Sie sahen außerordentlich erregt und angegriffen aus. Der Eine trug die Attribute eines Marinelieutenants, der Andre die Steuermannsabzeichnung.

Ohne erst zu fragen, sprangen sie in ein leeres Boot, lößten es von der Kette, legten die Ruder ein und schossen auf die »Swallow« zu. Der Befehlshaber derselben stand am Regeling und blickte den Nahenden entgegen.

»Ahoi, Lieutenant Jenner, seid Ihr es? Wo habt Ihr den ›l'Horrible‹?«

»Schnell ein Tau oder das Fallreep, Sir,« antwortete dieser; »ich muß zu Euch an Bord!«

Die Treppe fiel nieder; die beiden Männer legten an und stiegen empor.

»Perkins, mein Maate,« stellte Jenner seinen Begleiter vor. »Herr, Ihr müßt mir augenblicklich Euer Schiff geben,« setzte er athemlos und in höchster Aufregung hinzu.

»Mein Schiff geben? Wieso – warum?«

»Ich muß dem ›l'Horrible‹ nach.«

»Ihr müßt– – ich verstehe Euch nicht.«

»Er ist mir gestohlen, geraubt, entführt worden.«

Parker blickte ihm in das Gesicht, wie man einen Wahnsinnigen beobachtet.

»Ihr treibt sonderbaren Scherz, Lieutenant!«

»Scherz? Der Teufel hole Euern Scherz! Mir ist es nicht wie Spaß. Vergiftet, vom Arzte gequält, von der Polizei gemartert und von der Hafenbehörde coujonirt, ist es Einem nicht wie Fastnachtspielen.«

»Ihr sprecht in Räthseln.«

»Laßt Euch erzählen!«

Mit fürchterlicher Wuth, die ihm die Glieder erbeben machte, trug er das Geschehene vor; er befand sich in einer Verfassung, die ihn zu der blutigsten That befähigt hätte, und schloß mit der Wiederholung:

»Wie gesagt, Ihr müßt mir Euer Schiff geben!«

»Das ist nicht möglich, Sir.«

»Was, nicht möglich,« rief Jenner mit funkelnden Augen. »Warum?«

»Die ›Swallow‹ ist mir, dem Lieutenant Parker anvertraut; ich kann sie nur auf höhern Befehl einem Andern überlassen.«

»Das ist schändlich, das ist feig, das ist –«

»Herr Lieutenant – –!«

Jenner fuhr bei dem drohenden Klange dieser Stimme zurück. Er gab sich Mühe, seine Erregung zu bemeistern. Parker fuhr in ruhigerem Tone fort:

»Ich will die Beleidigung als ungeschehen betrachten; der Zorn überlegt nicht, was er spricht. Ihr kennt die Gesetze und die Instruction ebenso gut wie ich und wißt ganz genau, daß ich daß Commando meines Schiffes aus eigner Macht Niemandem anvertrauen darf. Doch will ich Euch beruhigen. Ich werde die Verfolgung des ›l'Horrible‹ schleunigst aufnehmen. Wollt Ihr mich begleiten?«

»Ob ich will? Ich muß ja mit, und wenn es durch tausend Höllen geht!«

»Gut! War der ›l'Horrible‹ wohl verproviantirt?«

»Auf höchstens noch eine Woche.«

»So ist ihm nichts Andres übrig geblieben, als Acapulco anzulaufen; schon Guayaquil oder gar Lima kann er unmöglich erreichen.«

»So werden wir ihn bald haben. Ihr habt ja mir selbst den Beweis geliefert, daß die ›Swallow‹ dem ›l'Horrible‹ überlegen ist. Zieht die Anker wieder auf, Sir, vorwärts, fort, fort!«

»Nicht so hastig, Kamerad! Allzuviel Eile ist oft schlimmer[770] als allzu langsam sein. Zunächst habe ich hier einige Geschäfte zu erledigen.«

»Geschäfte? Mein Gott, wer kann in solcher Lage an Geschäfte denken! Wir müssen augenblicklich in See stechen.«

»Nein, ich muß augenblicklich an das Land, um meine Instructionen in Einklang mit unserer Aufgabe zu bringen. Sodann habe ich nicht den nöthigen Proviant; auch Wasser und Munition fehlt; ein Dampfer muß besorgt werden, der mich gegen die Fluth aus dem Hafen bugsirt und – – wie viel Kanonen hat der ›l'Horrible‹?«

»Acht auf jeder Seite, zwei im Stern und eine Drehpasse vorn.«

»So ist er mir im Gefecht überlegen. – Forster!«

»Ay, Sir!« antwortete, näher tretend, der Steuermann, dem von seinem bisherigen Platze aus kein Wort der Unterredung entgangen war.

»Ich gehe zur Meldung an Land und werde bis auf das Quai besorgen, was wir brauchen. Schickt einen Mann dort nach dem Schlepper; er scheint Zeit zu haben und soll sich in einer Stunde vor uns legen. Länger werde ich nicht abwesend sein.«

»Well, Sir!«

»Fällt Euch vielleicht Etwas ein, was nöthig wäre?«

»Wüßte nicht, Capt'n. Weiß ganz genau, daß Ihr selbst an Alles denkt!«

Parker wollte sich jetzt wieder an Jenner wenden, als einer der Leute meldete:

»Ein Boot am Fallreep, Sir!«

»Was für eins?«

»Civil, acht Personen, auch ein Indianer dabei, wie es scheint.«

Der Lieutenant trat an den Regeling und blickte hinab.

»Was solls, Leute?«

Treskow erhob sich. Er kannte das Mittel, sich und seinen Begleitern sofort Zutritt am Deck zu verschaffen.

»Angelegenheit aus Wildauen; hängt mit dem ›l'Horrible‹ zusammen!«

Bei diesen deutsch gesprochenen Worten blitzte es über das Angesicht des Offiziers wie ein freudiger Schreck.

»Herauf, Alle!«

Jenner und Perkins traten zurück. Die acht Personen waren der Colonel und sein Neffe, der Steuermann, Treskow, Holbers, Hammerdull, Potter und Winnetou. Die Andern hatten sich durch das Versprechen auf ein wahrscheinliches Wiedersehen bestimmen lassen, unter Uebernahme der Thiere dieser Acht zurückzubleiben. Treskow war der Erste, welcher an Bord stieg. Er trat nahe an Parker heran und stellte sich halblaut in deutscher Sprache vor:

»Polizeilieutenant Richard von Treskow, Prinz.«

Parker trat zurück. Schreck und Freude stritten sich in seinen Zügen.

»Ah – ich erkannte Dich – Entschuldigung – ich erkannte Sie nicht sofort; es sind Jahre vergangen, seit wir uns sahen. Welcher Angelegenheit habe – –«

»Eine freundliche, nur freundliche. Zunächst tausend Grüße von Sr. Durchlaucht, dem Herrn Vater.«

»Danke, danke; Sie machen mich glücklich!«

Er hatte den Argwohn', zu welchem er als Flüchtling dem deutschen Polizisten gegenüber sehr wohl berechtigt war, überwunden. Der Bruder der einstigen Geliebten konnte ihn unmöglich verrathen.

»Ich muß kurz sein; die Umstände drängen. Ich befinde mich in den Staaten, um den wirklichen Mörder Wallersteins zu entdecken; ich habe ihn.«

Mit einem raschen Griffe hatte Parker seinen Arm erfaßt.

»Sie sind – Sie wollen – Sie haben – –?«

Er befand sich jetzt in einer Aufregung, die nicht geringer war als diejenige des Lieutenant Jenner vorhin.

»Ich habe ihn,« wiederholte Treskow. »Es ist der schwarze Capitain, welcher heut Nacht den ›l'Horrible‹ entführt hat.«

Parker ließ einen beinahe unartikulirten Schrei hören. Die Mittheilung Treskows kam ihm so überraschend, so überwältigend, daß er sich an den Kopf griff, um sich von dem Dasein desselben zu überzeugen. Der umsichtige Polizist, welcher mit einem raschen Blicke das Deck überschaute, brachte ihn schnell zur Fassung zurück.

»Ich und diese Leute haben ihn durch den ganzen Westen bis nach San Franzisco gejagt. Er kam nur kurze Zeit vor uns an und benutzte den ›l'Horrible‹, sich uns zu entziehen. Ich sehe, daß Sie bereits Vorbereitung treffen, den Hafen wieder zu verlassen und bitte Sie in unser Aller Namen, Sie begleiten zu dürfen.«

»Wer sind diese Männer?«

»Der Sohn und Bruder Wallersteins, der Bruder von Heinz, dem Diener Ihres Herrn Vaters, dann noch –«

»Gut, gut, das genügt! Herr von Treskow, Ihre Gegenwart engagirt alle Kräfte meines Geistes und Herzens und fällt in einen Augenblick, an welchem mich die Pflicht vollständig und ganz außerordentlich in Anspruch nimmt. Auch ohne die von Ihnen ausgesprochene Bitte giebt es keinen andern Weg, beiden Richtungen gerecht zu werden, als daß Sie die ›Swallow‹ als Ihre augenblickliche Heimath betrachten. Ich eile an das Land und bin in höchstens einer Stunde zurück, um Ihnen dann trotz des Dienstes oder wenigstens neben demselben zur Verfügung zu stehen.«

Er wandte sich an Jenner.

»Ich gehe von Bord, Lieutenant; doch, keine Sorge, in einer Stunde lichten wir die Anker!«

»Nehmt mich mit, Lieutenant,« bat dieser. »Ich kann Euch bei Euren Besorgungen unterstützen und würde hier vor Ungeduld vergehen!«

»So kommt!«

Beide stiegen in dasselbe Boot, welches Jenner zum Schiff gebracht hatte und ruderten dem Lande zu. Sie[771] waren kaum von dem Fahrzeuge abgestoßen, als sich auf demselben eine possierlich rührende Scene abspielte.

Peter Polter war vor- und auf den Maate zugetreten.

»Forster, John Forster, alter Swalker, ich glaube gar, Du bist Maate geworden!«

Der Angeredete sah dem schwarzgebrannten und jetzt vollbärtigen Mann verwundert in die Augen.

»John Forster –? Alter Swalker –? Du –? Der nennt mich Du und weiß meinen Namen, obgleich ich ihn nicht kenne. Wer bist Du, he?«

»Heigh-day, kennt der Kerl seinen alten Steuermann nicht mehr, von dem er doch so manchen guten Hieb auf die Nase bekommen hat und – was der Teufel!«

Er trat auf Perkins zu, den er erst jetzt von Angesicht zu sehen bekam.

»Da ist ja auch Master Perkins, oder wie der Mann hieß, den ich damals in Hobokken auf der ›Swallow‹ herumgeführt habe, und der mich dann zum Lohn dafür bei Mutter Thick fast unter den Tisch getrunken hat!«

Auch dieser sah ihn staunend an. Es war kein Wunder, daß sie ihn nicht erkannten. Die ganze Schiffsmannschaft stand um die Gruppe, und Peter fuhr voll Freude von Einem zum Andern.

»Da ist der Plowis, der Miller, der Oldstone, der krumme Baldings, der – –«

»Steuermann Polter!« rief da Einer, der es endlich herausgebracht hatte, wer der riesenhafte Fremde sei.

»Polter – Polter, – Hurrah, Peter Polter – juch, in die Höhe mit dem alten Kerl, hoch, hoch, hurrah!«

So rief, schrie und brüllte es durcheinander; sechzig Arme streckten sich aus; er wurde gefaßt und emporgehoben.

»Hol – la, hol – la, hol – la,« begann Einer mit kräftiger Baßstimme; »hol – la, hol – la,« fielen die Andern im Marschtakte ein; der Zug setzte sich in Bewegung und hol – la, hol – la wurde der beliebte Mann mehrere Male rund um das Deck getragen.

Er fluchte, wetterte und schimpfte; er bat, ihn doch herabzulassen, es half Nichts, bis endlich der Maate sich unter herzlichem Lachen in das Mittel legte und ihm zum freien Gebrauche seiner Arme und Beine verhalf.

»Steig herab vom Throne, Peter Polter, und komm vor nach dem Castel. Du mußt erzählen, wo Du herumgesegelt bist, Du alter Haifisch Du!«

»Ja, ja, ich will, ich will ja erzählen; so gebt mich doch nur endlich frei, Ihr verteufelten Jungens!« rief er und schlug mit den gewaltigen Armen um sich, daß die Leute wie schwache Kinder zur Seite flogen.

Unter lautem Lachen und Jubeln ward er von der lustigen Rotte Korah, Dathan und Abiram nach dem Vorderdeck gestoßen, geschoben und gezogen und mußte dort wohl oder übel wenigstens in kurzen Umrissen seine Erlebnisse zum Besten geben.

Dabei wurde natürlich der Dienst nicht im Geringsten versäumt. Der Maate erfüllte den ihm gewordenen Auftrag, und die für die laufenden Arbeiten nöthigen Männer sonderten sich von der fröhlichen Gruppe ab, obgleich sie gern bei dem fröhlichen »Tau« gewesen wären, welches Polter abzuwickeln hatte.

Die Jäger waren stille Zeugen dieser Scene gewesen. Sie gönnten dem braven Seemann, den Alle liebgewonnen hatten, diesen Triumph und machten es sich auf dem Deck so bequem, wie es die ihnen ungewohnten Umstände und Verhältnisse gestatteten.

Der Indianer war noch nie auf einem Schiffe gewesen. Er hatte sich auf die Büchse gestützt und ließ sein Auge langsam und gleichgültig über die ihm fremde Umgebung gleiten. Aber wer ihn kannte, der wußte, daß diese Gleichgültigkeit ein tiefes Interesse verbergen sollte, dem selbst der kleinste Gegenstand nicht entgehen konnte.

Es war noch nicht die Hälfte der anberaumten Stunde vergangen, so wurden drüben am Quai die Proviant- und Munitionvorräthe aufgestapelt, welche der Lieutenant bestellt hatte. Sie wurden in Booten abgeholt und an Bord gewunden. Als Parker zurück kehrte, war man mit dieser Arbeit fertig und der Dampfer rauschte auch bereits heran, um die »Swallow« in das Schlepptau zu nehmen.

Jetzt war Capitain und Mannschaft vollständig in Anspruch genommen, doch als die hohe Rhede erreicht war, der Dampfer sich verabschiedet hatte und die Segel gehißt und gestellt worden waren, konnte man sich einer ungestörteren Unterhaltung hingeben.

Was die beiden Lieutenants mit einander zu besprechen hatten, war schon während ihrer Abwesenheit vom Schiffe erledigt worden. Jetzt rief Parker Treskow zu sich und schritt mit ihm zur Kajüte. Lange, lange währte es, da wurden auch der Colonel und sein Neffe gerufen. Als die Vier wieder an Deck stiegen, lag eine Rührung, ein Ernst auf ihren Zügen, aus denen sich deutlich erkennen ließ, daß die Unterredung die tiefsten Saiten ihres Innern berührt habe.

Parker trat zum Steuer, an welchem Peter Polter neben Forster stand.

»Ihr seid Peter Polter?«

»Peter Polter aus Langendorf, Capt'n,« salutirte der Gefragte in strammer, dienstlicher Haltung, »Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson, dann Steuermann auf dem Vereinigten Staaten Klipper ›Swallow‹ –«

»Und jetzt Steuermann per honneur auf demselben Schiffe,« fügte der Lieutenant hinzu.

»Capt'n!« rief Polter erfreut und schickte sich an, eine Dankesrede zu halten, der Commandeur aber winkte abwehrend ihm zu.

»Schon gut, Steuermann, Ihr habt mir nicht zu danken; ich bin Euch mehr schuldig, als Ihr meint und thue blos meine Pflicht. Was meint Ihr zu dem Cours, den der ›l'Horrible‹ eingeschlagen haben wird?«[772]

Peter Polter merkte recht gut, daß der Lieutenant diese Frage nur aussprach, um seine seemännische Umsicht einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Er fühlte sich vollständig in seinem Elemente und antwortete daher kurz, wie es sich einem Offizier gegenüber schickt:

»Wegen Mangel an Proviant nach Acapulco.«

»Werden wir ihn bis dahin erreichen?«

»Ja, der Wind ist günstig, und wir segeln mehr Knoten als er.«

»Wollt Ihr Euch mit Forster in das Steuer theilen?«

»Gern.«

»So seht gut nach Kompaß und Karte, damit wir strickte Richtung haben!«

Er wollte sich abwenden, wurde aber durch eine ganz unerwartete Frage Peters davon abgehalten:

»Nach Acapulco oder Guayaquil, Sir?«

»Warum Guayaquil?«

»Um ihn zu überholen und von vorn zu nehmen. Er ist uns dann sicherer, weil er die Verfolger nur hinter sich vermuthen kann.«

Parkers Augen blitzten auf.

»Steuermann, Ihr seid kein übler Maate. Ihr habt Recht und ich werde Euch ohne Zögern folgen, obgleich er auf den Gedanken kommen kann, von Acapulco aus uns auf der Sandwich-Route zu entgehen.«

»So müssen wir zwischen dem Süd- und Westcours kreuzen, bis wir ihn haben.«

»Richtig. Legt zwei Strich nach West hinüber, Forster. Ich werde alle Tücher hissen. Meine Instruction lautet ungesäumt nach New-York zurück, und der Handel mit dem ›l'Horrible‹ kann blos als kurzes Intermezzo gelten.«

Er sprach das so gelassen, als sei der Weg um Kap Horn bis New-York und die Wegnahme eines Piraten eine ganz alltägliche Kleinigkeit. Dann trat er zu der Gruppe der Jäger, welchen er sein Willkommen aussprach und dann ihre Plätze anweisen ließ. Der Indianer schien ihn sehr zu interessiren.

»Hat Winnetou nicht Sehnsucht nach der Heimath der Apachen?« frug er ihn.

»Die Heimath des Apachen ist der Kampf,« lautete die stolze Antwort.

»Der Kampf zur See ist schlimmer, als der Streit zu Lande.«

»Der Häuptling des großen Canoe wird Winnetou nicht zittern sehen!«[785]

Parker nickte; er wußte, daß der Indianer die Wahrheit gesprochen habe.

Die Aufregung, welche der Tag mit sich gebracht hatte, legte sich allmählich, und das Leben am Bord kam gar bald wieder in das gewöhnliche, ruhige Gleis. Tag verging um Tag; einer glich so vollständig dem andern, daß die an die unbeschränkte Freiheit der Prairie gewöhnten Jäger nach und nach an der Langeweile zu leiden begannen.

Die Breite von Acapulco lag schon seit gestern hinter ihnen und Parker befahl, herumzulegen, um beide Course, nach Guayaquil und den Sandwichsinseln im Auge behalten zu können.

Eine sehr stramme Priese hatte sich erhoben und die Sonne sank zwischen kleinen, aber dunklen Wölkchen im Westen.

»Werden morgen eine ganze Handvoll Wind haben, Capt'n,« meinte Peter Polter zu Parker, als dieser auf einem Spaziergange über das Deck am Steuer vorbeikam.

»Wäre gut für uns, wenn uns dabei der Kaper in die Hände liefe. Er vermag im Sturm nicht zu manövriren wie wir.«

»Segel in Sicht!« ertönte es da vom Mastherd herab, wo Einer auf dem Ausguk saß.

»Wo?«

»Nordost bei Nord.«

Im Nu war der Lieutenant oben und nahm dem Manne das Glas aus der Hand, um das gemeldete Segel zu beobachten. Dann kletterte er in sichtbarer Hast herab und trat auf das Quarterdeck, wo Jenner ihn erwartete.

»Hand an die Brassen!« ertönte sein Befehl.

»Was ists?« frug Jenner.

»Ist nicht genau zu sehen, jedenfalls aber ein Dreimastenschiff wie der ›l'Horrible‹. Wir sind kleiner und unter dem Blendstrahle der Sonne; er hat uns also noch nicht gesehen. Ich werde die Segel tauschen.«

»Wie?«

Parker lächelte.

»Eine kleine Einrichtung, die ganz geeignet ist, Einen auf größere Entfernung hin unsichtbar zu machen. Hinauf zu den Raaen!«

Wie die Katzen waren die wohlgeschulten Matrosen sofort oben.

»Weg mit Klüver-, Stangen- und Vorstangensegel. Refft und beschlagt.«

Im Nu wurde das Kommando ausgeführt. Das Schiff lief nun mit halber Geschwindigkeit.

»Das schwarze Tuch. Gebt Acht!«

Einige dunkle Segel wurden auf dem Deck parat gehalten.

»Tauscht um das Haupt-, Fock- und Bugsegel!«

In wenigen Minuten befand sich dunkle Leinwand an Stelle der lichten. Die »Swallow« war jetzt für das nahende Schiff unsichtbar.

»Maate, leg um nach Südwest bei Süd!«

Die »Swallow« ging jetzt langsam vor dem andern Fahrzeuge her. Ihre sämmtliche Besatzung hatte sich auf dem Deck versammelt. Parker aber stieg wieder empor, um zu beobachten. Es war über eine halbe Stunde vergangen und die Dunkelheit brach herein, als er wieder herabkam. Sein Gesicht drückte innige Befriedigung aus.

»Alle Mann an Deck!«

Dieses Kommando war eigentlich gar nicht nöthig; die Leute standen schon alle um ihn herum.

»Jungens, es ist der ›l'Horrible‹. Paßt auf, was ich Euch sage!«

Mit gespannter Erwartung drängten sie sich näher.

»Ich will den Kampf Bord gegen Bord vermeiden. Ich weiß, daß Keiner von Euch sich fürchtet, aber ich muß ihn unbeschädigt haben. Er hat sich außer Völkerrecht gestellt und soll als Räuber behandelt werden. Wir werden ihn mit List nehmen.«

»Ay, ay, Capt'n, so ist's recht!«

»Wir haben Neumond und die See ist schwarz. Wir treiben blos mit dem Hauptsegel vor ihm her; er muß uns für nothleidend halten, wird beidrehen und uns als gute Prise betrachten.«

»So ist's!« klang es zustimmend.

»Ehe er uns ansegelt, setzen wir die Boote aus. Der Maate behält die ›Swallow‹ mit nur sechs Mann. Wir Andern gehen fertig zum Entern in die Boote, und während er vom Back sich mit dem Schiff beschäftigt, steigen wir vom Steuer an sein Deck. Jetzt macht Euch fertig!«

Es war ein gewagter Plan, den der kühne Mann entworfen hatte, aber er traute den Umständen und seinem guten Glücke, welches ihn bisher noch nie verlassen hatte.

Während die »Swallow« in langsamer Fahrt durch die Wogen strich, schoß der »l'Horrible« mit seiner gewöhnlichen Geschwindigkeit vorwärts. Es war Nacht geworden, kein Segel zu erblicken gewesen und die Besatzung fühlte sich vollständig sicher. Latour hatte soeben eine Unterredung mit seiner Gefangenen gehabt, resultatlos wie immer, und schickte sich nun an, die Ruhe zu suchen, als plötzlich aus ziemlicher Entfernung ein matter Schuß ertönte.

Schnell war er an Deck. Ein zweiter Schuß ließ sich hören, ein dritter folgte.

»Nothschüsse, Capt'n,« meinte der lange Tom, der in seiner Nähe stand.

»Wäre es hinter uns, so könnte es eine Kriegslist sein, vor uns aber ist das ganz unmöglich. Jedenfalls ist es ein verunglücktes Fahrzeug ohne Masten, sonst hätten wir vor Abend seine Segel sehen müssen. Constabel, eine Rakete und drei Schüsse!«

Die Rakete stieg empor und die Schüsse krachten. Das Nothzeichen des andern Fahrzeuges wiederholte sich.

»Wir kommen näher, Tom; es wird eine Prise, nichts weiter.« Er zog das Nachtrohr an das Auge. »Schau, dort liegt es, es trägt nur ein altes Hauptsegel. Die Luft ist etwas steif, aber ich werde beidrehen, um mit ihm zu sprechen!«

Er gab die nötigen Befehle; die Segel sielen, das[786] Schiff drehte sich herum und trieb dann in geringer Entfernung neben der »Swallow« her.

»Ahoi, welch ein Schiff?« tönte es herüber.

Fast die ganze Besatzung des »l'Horrible« hatte sich nach Backbord gedrängt.

»Vereinigte-Staaten-Kreuzer. Was drüben für eins?«

»Vereinigte-Staaten-Klipper ›Swallow‹, Lieutenant Parker,« ertönte es statt von drüben an der Steuerbordseite des »l'Horrible«. Eine wohlgezielte Salve krachte mitten unter die Briganten hinein und dann stürzte sich eine Schaar dunkler Gestalten auf sie, die einen Ueberfall für unmöglich gehalten hatten und nicht einmal nothdürftig bewaffnet waren.

Nur eine einzige Person hatte das Nahen der Kähne bemerkt – Clairon. Kaum hatte der Capitain die Thür hinter ihr verschlossen, so richtete sie sich trotz ihrer Fesseln unter unsäglicher Mühe empor und trat an die Wand der Koje, in welcher sie einen langen, scharfkantigen Nagel entdeckt hatte. Schon mehrere Nächte lang hatte sie gearbeitet, um an demselben ihre Banden zu durchreiben, und heut, so weit war es bereits gediehen, mußte sie frei von ihnen sein. Schon befand sie sich in voller Thätigkeit, als die drei Schüsse ertönten; dann vernahm sie das Rauschen nahender Ruderschläge.

Was gab es? Einen Ueberfall? Einen Kampf? Die Rettung Nothleidender? Jeder dieser Fälle war geeignet, ihr Vorhaben zu unterstützen. Fünf Minuten fürchterlicher Anstrengung machten ihr die Hände frei und schon fielen die Banden auch von ihren Füßen, als droben auf dem Verdeck Revolverschüsse krachten und sich das Getrampe eines entsetzlichen Faustkampfes erhob. Sie frug sich nicht nach der Ursache desselben; sie wußte, daß Latour noch oben sei. Mit einem kräftigen Tritte sprengte sie die Thür zur Kajüte auf und riß von den an der Wand hängenden Waffen so viele herunter, als sie brauchte, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dann warf sie einen forschenden Blick durch die Steuerbordluke hinaus auf das Wasser. Drei Boote hingen an einem Tau, welches man unvorsichtiger Weise bei Einbruch der Nacht nicht eingezogen hatte.

»Ueberfallen,« murmelte sie. »Von wem? Ha, das ist die Strafe! Der ›l'Horrible‹ ist wieder verloren, und ich werde diesen Latour selbst an das Messer liefern. Noch sind die Gefangenen nicht übergetreten! ich werde sie befreien und dann fliehen. Wir befinden uns unter der Breite von Acapulco. Komme ich unbemerkt in ein Boot, so bin ich in zwei Tagen am Lande!«

In einer Ecke der Kajüte stand ein kleiner Handkoffer. Er nahm einen Teller voll Bisquits und zwei Flaschen Limonade auf, welche auf dem Tische standen; dann öffnete sie das geheime Fach und entnahm ihm seinen Schatz, den sie auch im Koffer verbarg. Nun schlich sie sich nach oben bis zur Luke, um zu recognosciren. Die Räuber waren überfallen und auf das Hinterdeck gedrängt; sie mußten unterliegen.

Rasch tauchte sie wieder unter das Deck, begab sich nach dem Kielraum und riß den Riegel von der Luke, die ihn verschloß.

»Seid Ihr wach?«

»Ja, ja. Was ist oben los?«

»Die Piraten sind überfallen. Seid Ihr gefesselt?«

»Nein.«

»So eilt nach oben und thut Eure Schuldigkeit. Doch, halt, wenn der schwarze Capitain diesen Abend überlebt, so sagt ihm, die Miß Admiral läßt ihn grüßen!«

Sie sprang voraus, eilte in die Kajüte zurück, ergriff den Koffer und stieg an Deck. Sie erreichte unbemerkt den Regeling. Die eine Hand zwischen die Angriffe des Koffers steckend, turnte sie sich an dem Taue hinab bis in das erste Boot. Es war zu groß, auch das zweite. Das Dritte war kleiner und in seinem Innern lag eine Segelstange mit der nöthigen Leinewand. Clairon jubelte beinahe laut auf; ein Segel zu finden hatte sie nicht erwartet. Sie sah sich gerettet. Der Koffer wurde niedergesetzt, das Boot gelöst, die Ruder begannen ihr Spiel – das kühne Weib trieb auf offener See. –

Latour war durch den Ueberfall in eine fürchterliche Ueberraschung versetzt worden, hatte sich jedoch bald gesammelt.

»Herbei zu mir!« schrie er, zum Hauptmaste springend, um für sich und die Seinen eine feste Position zu gewinnen.

Die Untergebenen folgten seinem Rufe.

»Wer Waffen trägt, hält Stand; die Andern durch die Hinterluke nach den Enterbeilen!«

Es war der einzige Rettungsweg, den diese Worte vorschrieben. Während die Wenigen, welche zufälliger Weise mit Waffen versehen waren, sich dem andringenden Feinde entgegenwarfen, eilten die Uebrigen nach unten und kehrten im Handumdrehen zurück, mit Dolch und Enterbeil bewaffnet.

Obgleich der erste Angriff seine Opfer gefordert hatte, waren die Räuber der Besatzung der »Swallow« an Zahl noch weit überlegen, und es entspann sich ein Kampf, der um so fürchterlicher war, als seine Einzelheiten und das Terrain nicht zu überblicken war.

»Fackeln herbei!« brüllte Latour.

Auch dieser Befehl wurde ausgeführt. Kaum aber verbreitete sich der Schein des Lichtes über die blutige Scene, so fuhr der Capitain zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. War's möglich? Grad vor ihm, den Tomahawk in der Rechten, das Scalpmesser in der Linken, stand Winnetou, der Häuptling der Apachen, und an seiner Seite wehte das weiße, mähnenartige Haar von Sam Fire-gun.

»Die weiße Schlange wird ihr Gift hergeben!« rief der Erstere, warf die im Wege Stehenden auf die Seite und faßte Latour an der Kehle. Dieser wollte den Feind abschütteln; es gelang ihm nicht; auch der Colonel hatte ihn ergriffen; er fühlte sich emporgehoben und zu Boden geschmettert, dann vergingen ihm die Sinne.

Die Ueberrumpelung war über die Räuber gekommen, wie ein wirrer, angstvoller Traum; die Ueberraschung hielt[787] ihre Kräfte gefangen, und der Fall ihres Anführers raubte ihnen sowohl den Zusammenhalt als auch den letzten Rest von Muth.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Luke und spieh die gefangene Mannschaft des »l'Horrible« aus. Der Erste, den der Vorderste von diesen Leuten er blickte, war Lieutenant Jenner.

»Hurrah, Lieutenant Jenner, hurrah, drauf auf die Hallunken!«

Ein Jeder raffte von den umherliegenden Waffen auf, was ihm in die Hand kam; die Räuber geriethen zwischen zwei Treffen; sie waren verloren.

Zwei standen, Rücken an Rücken, mitten unter ihnen; wer ihnen zu nahe kam, büßte mit dem Tode. Es war Hammerdull und Holbers. Da drehte der Letztere den Kopf zur Seite, damit er von dem Gefährten verstanden werde.

»Dik, wenn Du denkst, daß dort der Schuft, der Peter Wolf steht, so habe ich nichts dagegen.«

»Der Peter – verdammter Name, ich bringe ihn niemals fertig. Wo denn?«

»Dort an dem Hickorybanm, den diese wunderlichen Leute Mast nennen.«

»Ob Mast oder nicht, das bleibt sich gleich. Komm, altes Coon, wir fangen ihn lebendig!«

Noch ein Andrer hatte Letrier bemerkt, nämlich Peter Polter, der Steuermann. Dieser hatte Messer, Revolver und Enterbeil zur Seite gethan und eine Handspeiche ergriffen, die ihm geläufiger war. Jeder Hieb mit derselben streckte einen Mann nieder. So hatte er sich eine Strecke in den dicht zusammengedrängten Haufen der Räuber hineingekämpft, als er Letrier erblickte. Im nächsten Augenblicke stand er vor ihm.

»Mille tonnere, der böse Jean! Kennst Du mich, Spitzbube?«

Der Gefragte ließ den erhobenen Arm sinken und wurde leichenblaß, er hatte einen Gegner erkannt, dem er nicht zur Hälfte gewachsen war.

»Wo hast Du meine Uhr, he? Komm her mein Junge, ich will Dir sagen, was die Glocke geschlagen hat!«

Er faßte ihn beim Schopf und bei den Hüften, riß ihn empor und schleuderte ihn mit solcher Macht an den Besaan, um welchen das Handgemenge jetzt tobte, daß es laut krachte und er wie zerschmettert und zermalmt zur Erde stürzte. Die beiden Jäger kamen zu spät.

Nun endlich sahen die Piraten ein, daß nicht die leiseste Hoffnung mehr für sie vorhanden sei und streckten die Waffen, obgleich sie sich dadurch ein Anrecht auf Gnade nicht erlangen konnten.

Ein vielstimmiges Hurrah scholl über das Deck; die »Swallow« antwortete mit drei Kanonenschüssen; sie hatte ihren Ruf gerechtfertigt und ihren bisherigen Ehren eine neue, größere hinzugefügt.

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 50, S. 785-788.
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Auf der See gefangen
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