9.

Die Einschiffung

[788] Wieder war es bei Mutter Thick in Hobokken. Die gute, brave Frau war noch immer die Alte; hatte sie sich verändert, so war es höchstens in der Weise, daß ihre volle, umfangreiche Gestalt noch einige Zoll im Durchmesser zugenommen hatte. Es war bereits am Spätnachmittage und es hatte sich eine beträchtliche Anzahl der gewohnten Gäste eingefunden, so daß es für die Bedienung sehr hinlänglich zu thun gab.

Die allgemeine Unterhaltung beschäftigte sich, wie das erste Mal, mit den politischen und kriegerischen Neuigkeiten des Tages. Der Aufstand der Südstaaten hatte von Tag zu Tag an Ausdehnung gewonnen, und das Glück war den Sclavenbaronen bis jetzt in auffälliger Weise treu und günstig gewesen. Nur sehr vereinzelte kleine Episoden von geringer Tragweite ließen ahnen, daß der Norden sich die Zuneigung der wetterwendischen Göttin wohl noch erobern werde, und je seltener diese Ereignisse waren, mit desto größerem Jubel wurde die Kunde von ihnen von Denjenigen aufgenommen, deren Ansichten mit der ebenso humanen, wie thatkräftigen Politik des Präsidenten Abraham Lincoln übereinstimmten.

Da öffnete sich die Thür; einige Seeleute traten ein, welche sich ganz augenscheinlich in einer angenehmen Aufregung befanden.

»Holla, Ihr Mannen, wollt Ihr hören, was es für eine Neuigkeit giebt?« frug Einer von ihnen, indem er, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mit der gewichtigen Faust auf den ihm am nächsten stehenden Tisch schlug, daß es krachte.

»Was ists –? Was soll es sein –? Was giebts –? Heraus damit; erzähle!« rief es von allen Seiten.

»Was es giebt, oder vielmehr, was es gegeben hat? Nun, was denn anders als ein Seegefecht, ein Treffen, welches seines Gleichen sucht.«

»Ein Seegefecht – ein Treffen –? Wo – wie – wann – zwischen wem?«

»Wo? – auf der Höhe von Charlestown. Wie? – verteufelt wacker. Wann? – den Tag weiß ich nicht, vor ganz Kurzem jedenfalls. Und zwischen wem? – rathet einmal!«

»Zwischen uns und den Rebellen!« rief Einer.

Alles lachte. Der Angekommene lachte mit und rief:

»Schau, was Du für ein kluger und gescheidter Junge bist, so etwas Schwieriges sofort zu errathen! Das es zwischen uns und dem Süden sein muß, das ist ja so flüssig wie Seewasser; aber wie die Schiffe heißen, he, das wird Deine Weisheit wohl nicht so schnell finden!«

»Welche sind es? Wie heißen sie, und wer hat gesiegt?« klang rund umher die stürmische Aufforderung.

»Was Widderschiff ›Florida‹ ist – –«

»Die ›Florida‹ ist's gewesen?« unterbrach ihn Mutter Thick, indem sie sich mit ihren dicken Armen durch die Gäste[788] Bahn brach, um in die unmittelbare Nähe des Berichterstatters zu gelangen. »Die ›Florida‹ ist das neueste, größte und stärkste Fahrzeug des Südens und soll mit seinem Teufelssporn vollständig unwiderstehlich sein. Es ist aus lauter Eisen gebaut. Wer hat es gewagt, diesen Leviathan anzugreifen?«

»Hm, wer? Ein kleiner Lieutenant mit einem ebenso kleinen Schiffe, der noch dazu nur ein Klipper ist und sich um Kap Horn herum müd gesegelt hat. Ich meine die ›Swallow‹, Lieutenant Parker.«

»Die ›Swallow‹ – Lieutenant Parker –? Unmöglich! Gegen die Florida können zehn Linienschiffe Nichts ausrichten, wie soll es da einem Klipper in den Sinn kommen, ein solches Ungeheuer – –«

»Stopp!« fiel da Mutter Thick dem Sprecher in die Rede. »Sei still mit Deinem Klipper, von dem Du nichts verstehst. Ich kenne die ›Swallow‹ und auch den Parker, der mehr werth ist als alle Deine zehn Linienschiffe zusammengenommen. Ein guter Seemann weiß, daß die Größe allein keinen Ausschlag giebt; es kommen vielmehr eine Menge andrer Umstände in Betracht, die es dem kleinen David möglich machen, den großen Goliath zum Fall zu bringen, wie es ja auch sogar in der Bibel zu lesen ist. Aber die ›Swallow‹ ist ja in den Gewässern von Californien, he?«

»Gewesen – gewesen, hat aber Ordre erhalten, um das Cap nach New-York zu gehen. Sie muß ein ganz vertrautes Fahrzeug sein; Ihr habet ja doch alle die Geschichte von dem ›l'Horrible‹ gehört, den der schwarze Capitain von der Rhede von San Franzisko weggenommen hatte und den der Parker so prachtvoll wieder holte. Beide, die ›Swallow‹ und der ›l'Horrible‹ haben von da an zusammengehalten, sind vom Süden herauf, an Brasilien vorüber und bis auf die Höhe von Charlestown gesegelt und da auf die ›Florida‹ gestoßen, die sofort die Jagd auf sie begonnen hat. Parker hat das Commando der beiden Segler gehabt, den ›l'Horrible‹ scheinbar zur Flucht auf die hohe See hinaus dirigirt und der ›Swallow‹ die Stangen und Spieren nebst dem Segelwerke herunter genommen, so daß es geschienen hat, als sei sie von Sturm und Wetter so fürchterlich mitgenommen, daß sie lahm gehe und der ›Florida‹ in die Hände fallen müsse.«

»Ja, ein Teufelskerl dieser Parker!« meinte Mutter Thick. »Weiter, weiter!«

»Das Widderschiff hat sich wirklich täuschen lassen und ist der ›Swallow‹ bis in die Untiefen von Blackfoll gefolgt, wo es sich festgeritten hat. Nun erst hebt Parker die Stangen und Spieren, zieht die Leinwand auf, ruft den ›l'Horrible‹ herbei und beginnt ein Bombardement auf den hilflosen Koloß, welches ihm den Rest gegeben hat. Einer der ersten Schüsse hat ihm das Steuer fortgenommen; es ist sogar zum Entern gekommen und dabei teufelsmäßig blutig hergegangen; aber die ›Florida‹ liegt auf dem Grund und die beiden Andern sind bereits unterwegs und können jeden Augenblick hier Anker werfen.«

»Beinahe unglaublich! Wo hast Du es her?«

»Hab's auf der Admiralität gehört, wo man es sicher schon seit längerer Zeit wüßte, wenn die Telegraphen nicht von den Rebellen zerstört worden wären.«

»Auf der Admiralität? Dann ists auch wahr, und ich will es dem armen Jenner vom ›l'Horrible‹ gönnen, daß es ihm auf diese Weise gelungen ist, die Scharte wegen des schwarzen Capitains so leidlich auszuwetzen.«

»Ja, das ist nun endlich einmal eine Kunde, die das Herz erfreut und die Seele erhebt,« meinte die Wirthin. »Hört, Jungens, ich werde Euch ein Gratisfäßchen anstecken lassen; trinkt, so lange es Euch schmeckt, auf das Wohl der Vereinigten Staaten, des Präsidenten, der ›Swallow‹ und – und – und – –«

»Und auf das Wohl von Mutter Thick!« rief Einer, das Glas erhebend.

»Hoch, vivat Mutter Thick!« antwortete es von allen Ecken und Enden.

»Hoch, Mutter Thick, vivat, alte Schaluppe!« rief auch eine dröhnende Baßstimme unter der geöffneten Thür.

Alle wandten sich nach dem Manne um, welcher eine so außerordentlich kräftige Kehle besaß. Kaum aber hatte die Wirthin ihn erblickt, so eilte sie mit einem Ausrufe der freudigsten Ueberraschung auf ihn zu.

»Peter, Peter Polter, tausendmal willkommen in Hobokken! Wo kommst Du denn her, alter Junge? Aus dem Westen?«

»Ja, tausendmal willkommen in Hobokken. Komm, ich muß Dich wieder einmal in meine Arme quetschen; gieb mir einen Kuß! Halte-là, heigh day, – heda, Ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch. Komm her an meine Weste, mein Bijou!«

Er warf die im Wege Stehenden wie Spreu auseinander, faßte die Wirthin bei der umfangreichen Taille, hob sie trotz ihrer Schwere zu sich empor und drückte ihr einen schallenden Schmatz auf die Lippen.

Sie litt diese Liebkosung trotz der vielen Zeugen so ruhig, als sei dieselbe etwas ganz Alltägliches und Selbstverständliches, dann wiederholte sie die schon einmal ausgesprochene Frage nach dem Woher.

»Woher? Na, woher denn anders als auf der ›Swallow‹ um Kap Horn herum!«

»Auf der ›Swallow‹?« rief es aus Aller Lippen.

»Ja, wenn es Euch recht ist, Ihr Leute.«

»So wart Ihr auch mit gegen die ›Florida‹?«

»Versteht sich! Oder meint Ihr etwa, daß der Peter Polter aus Langendorf sich vor der ›Florida‹ fürchtet?«

»Erzählt, Master, erzählt! Was seid Ihr auf dem Schiffe? Ist es schon hier oder – –«

»Stopp! Euch fahren ja die Fragen aus dem Munde, wie die Jodler dem Schiffsjungen, wenn er Prügel bekommt.«[789]

»Ich werde Euch meine Leine ganz nach der richtigen Ordnung abwickeln,« fuhr der Steuermann fort. »Ich bin der Peter Polter aus Langendorf, Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, dann deutscher Polizeilieutenant in der Prairie, nachher wieder Steuermann und zwar per honneur auf der ›Swallow‹, und bin nun jetzt – – –«

»Gut, gut, Peter,« fuhr ihm Mutter Thick dazwischen, »das hat nachher auch noch Zeit; vor allen Dingen aber komme ich mit meinen Fragen; die sind nothwendiger als alles Andere. Wie war es mit dem Wallerstein, dem Heinrich Sander und Peter Wolf? Habt Ihr sie? Was ist's mit dem ›l'Horrible‹ und dem schwarzen Kapitän? Ich denke, Ihr suchtet ihn im Westen, und doch hörte ich, daß ihn die ›Swallow‹ zur See gefangen hat! Habt Ihr den Sam Fire-gun, oder wie er hieß, getroffen und war es auch der richtige Onkel? Wie steht es mit dem deutschen Polizisten, der ein so hübscher, junger Mann war? Und in welcher Gegend habt Ihr denn eigentlich – – –«

»Bist Du bald fertig, Alte,« rief lachend der Steuermann, »oder hast Du noch genug Athem, um in dieser Weise noch einige Stunden fort zu schwadroniren? Heilige Flattuse, hat dieses Frauenzimmer ein Schnatter- und Plapperwerk! Gieb einen vollen Krug her, eher bekommst Du keine Antwort! Vorher aber will ich diesen Gentlemen die Geschichte mit der ›Florida‹ erzählen. Das Andere ist nicht für Jedermann; das sollst Du drin in der andern Stube hören.«

»Nicht einen Tropfen bekommst Du, bis ich wenigstens nur ein klein wenig weiß, woran ich bin!«

»Neugierde, die Du bist! So frage noch einmal, aber einzeln und kurz!«

»Der Wallerstein?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der Polizist?«

»Auf der ›Swallow‹.«

»Der schwarze Kapitän?«

»Auf der ›Swallow‹ gefangen.«

»Der böse Jean?«

»Auch.«

»Der Onkel Sam Fire-gun?«

»Auch der.«

»Lieutenant Parker?«

»Natürlich auch, aber verwundet.«

»Verwundet? Mein Gott, ich hoffe doch nicht, daß –«[801]

»Papperlapapp! Ein paar Schrammen, weiter Nichts; er wird für einige Zeit Urlaub nehmen müssen. Es ging ein Wenig heiß her auf der ›Florida‹, aber wir haben da drinnen in der verdammten Prairie noch ganz andre Dinge durchmachen müssen. Zum Beispiel mein Pferd, der Racker, war ein wahrer Dämon von einem satanischen Drachen und ich kann heut noch nicht sagen, ob ich mir nicht einige Schock Knochen aus dem Leibe herausgeritten habe. Doch, Du wolltest ja fragen!«

»Habt Ihr den Mörder?«

»Ja.«

»Wer ist's?«

»Der Schwarze.«

»Was wird mit ihm?«

»Er wird gehenkt, erschossen, vergiftet, zerrissen, geköpft, verbrannt, geviertheilt oder – na, Eins von diesen Allen wird's schon werden.«

»Und wo?«

»Hm, das ist eine heikle Sache. Als Pirat und Räuber des ›l'Horrible‹ ist er der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten verfallen; als Mörder Wallersteins aber wollen sie ihn über die See hinüber haben. Ich mag und darf auch nicht sagen, wer ihn bekommen wird.«

»Wo ist die ›Swallow‹?«

»Sie kreuzt bei widrigem Winde draußen vor dem Lande; der Forster steht am Steuer. Unterdessen ging der Kapt'n auf einem Dampfboote mit mir herein, um seine Meldung zu machen, während ich hier auf ihn warte.«

»Du wartest auf ihn? Hier bei mir? So wird er hier vorsprechen?«

»Versteht sich! Ein braver Seegaste kehrt zu allererst bei Mutter Thick ein, wenn er in New-York vor Anker geht. Und in einer Stunde ist die ›Swallow‹ im Hafen, da kommen noch Andre auch herbei, der Pitt Holbers –«

»Pitt Holb – –«

»Der Dik Hammerdull –«

»Dik Hammerd – –«

»Der Colonel Fire-gun –«

»Colonel Fire-gun –«

»Der Wallerstein, Treskow, der kleine Bill Potter, Winnetou, der Häuptling der Apachen und –«

»Winnetou, der Häuptl – –«

Die Namen blieben der guten Mutter Thick im Munde stecken, so überrascht war sie, eine ganze Gesellschaft von Männer bei sich zu sehen, die zu dem interessanten Schicksale ihres einstigen Schützlings Wallerstein in näherer Beziehung standen. Plötzlich aber besann sie sich glücklicher Weise auf ihre Pflicht als Wirthin.

»ling der Apachen,« fuhr sie daher in ihrem Ausrufe fort. »Aber, da stehe ich und faullenze, und in einer Stunde habe ich die Sirs zu bedienen! Ich eile, ich fliege, ich gehe, Peter, um mich auf sie vorzubereiten. Erzähle einstweilen diesen Leuten hier die Geschichte von der ›Florida‹, die Ihr auf den Grund gebohrt habt!«

»Ja, das werde ich, aber sorge dafür, daß ich immer Etwas im Kruge habe, denn ein Seegefecht muß auch in der Erzählung feucht gehalten werden!«

»Keine Angst, Steuermann,« wurde er von den Andern getröstet; »wir werden Euch schon mit begießen helfen!«

»Schön, gut! Also hört, Ihr Mannen, wie es mit der ›Florida‹ zuging: Wir hatten den Aequator und nachher die Antillen längst hinter uns, douplirten den Finger vor Florida und näherten uns dann Charlestown. Natürlich hielten wir uns so weit wie möglich in die See hinaus, denn Charlestown gehört den Südstaaten, die ihre Kaper und Kreuzer weit hinausschicken, um jeden ehrlichen Nordländer wegzufangen.«

»War der ›l'Horrible‹ mit?«

»Versteht sich. Er war von Anfang an uns stets in unserm Kielwasser gefolgt, weshalb wir immer nur halbe Segel nehmen durften, da wir besser fuhren. So kamen wir glücklich und ungesehen vorwärts und hatten endlich auch Charlestown hinter uns, weshalb wir wieder mehr auf das Land zuhielten.«

»Da traft Ihr nun auf die ›Florida‹?«

»Warts ab, Grünschnabel! Da stehe ich eines Morgens am Steuer – Ihr müßt nämlich wissen, daß ich vom Kapt'n die Stelle eines Steuermannes per honneur bekam, wie ich Euch schon vorhin sagte – und denke eben an Mutter Thick und was für Freude sie haben werde, wenn ich wieder einmal bei ihr sein darf, wir segeln ein Weniges voraus, während der ›l'Horrible‹ uns mit voller Leinwand folgt, da ruft der Mann vom Ausguk:

›Rauch Nordost bei Ost!‹«

»Ihr könnt Euch denken, daß wir sofort alle Mann auf Deck waren, denn mit einem Dampfer, wenn er die feindliche Flagge trägt, ist nicht gut spaßen. Der Kapt'n ist auch sofort oben am Masthead und zieht das Rohr, dann schüttelt er den Kopf, steigt wieder herab und läßt ein Reff legen, damit der ›l'Horrible‹ in Sprachweite an uns komme.« Als dies geschehen ist, ruft er hinüber:

»Dampfer gesehen, Lieutenant?«

»Ay Sir!«

»Was wirds für einer sein?«

»Weiß nicht,« antwortet Lieutenant Jenner; »das Fahrzeug hat weder Mast noch Rumpf; es geht tief, sehr tief, Sir.«

»Wird eins von den südstaatlichen Widderschiffen sein. Wollt Ihr ihm aus dem Wege gehen?«

»Ich thue was Ihr thut.«

»Gut; sehen wir uns den Mann ein Wenig an!«

»Well, Sir; aber wir sind um das Zehnfache zu schwach.«

»Schwächer, aber schneller. Wer kommandirt?«

»Ihr.«

»Danke! Wir lassen ihn heran; zieht er die feindliche Flagge, so flieht Ihr langsam vor ihm in die Lee; ich sorge dafür, daß er sich an mich hält und führe ihn auf den Sand. Dann kommt Ihr und laßt ihn Eure Kugeln schmecken!«[802]

»Well, well! Noch Etwas?«

»Nein!«

»Darauf ziehen wir die großen Segel auf, nehmen das kleine Werk sammt Stangen und Spieren herab, sodaß es aussieht, als hätten wir im Sturm Havarie erlitten und könnten nicht von der Stelle, und lassen den Mann auf Schußweite an uns herankommen. Er giebt das Signal zum Hissen der Flagge; wir ziehen die Sterne und Streifen, er aber läßt die südstaatlichen Fetzen sehen. Es war das neue Widderschiff ›Florida‹, mit Doppelpanzer und einem Spießhorne, mit welchem es die beste Fregatte in Grund und Boden rennen kann.«

»Und an den habt Ihr Euch gewagt?«

»Pah, ich bin der Peter Polter aus Langendorf und habe mich mit den schuftigen Ogellallah's herumgehauen. Weshalb sollte ich mich da vor so einer Blechkanne fürchten? Ein gutes Holzschiff ist besser als so ein Eisenkasten, von dem man sich nicht einmal einen elenden Zahnstocher herunterschlitzen kann. Unser Admiral Farragut sagt auch so. Also er fordert uns auf, uns zu ergeben, wir aber lachen und schießen unter seinen Kugeln vorüber. Er wendet, um uns nachzukommen und uns den Sporen in das Holz zu rennen; ich werfe das Steuer herum und weiche ihm aus; er wendet abermals; ich halte von ihm ab; so gebt es unter Wenden und Ausweichen fort, bis er in die Hitze kommt und die Klugheit vergißt. Seine Kugeln haben uns Nichts gethan; sie gehen über uns hinweg; er aber ist uns unbesonnen bis in die Nähe der Küste gefolgt und läuft dort auf eine Sandbank, an der wir vorüberschlüpfen, weil wir nicht so tief in Wasser gehen.«

»Bravo, hallo, die ›Swallow‹ soll leben!«

»Ja, sie soll leben, Jungens, trinkt!«

Nachdem er selbst einen unvergleichlichen Zug gethan hatte, der den Boden des Kruges zum Vorschein brachte, fuhr er fort:

»Jetzt gehen wir an seinen Stern, und während seine Mannen sich alle im Raume unter dem Wasserspiegel befinden, schießen wir ihm das Steuer weg, so daß er vollständig verloren ist. Der ›l'Horrible‹ kommt auch herbei; die ›Florida‹ kann sich nicht vertheidigen; sie scheuert sich im Sande wund; das Wasser dringt ein; wir helfen nach – dann streicht sie die Flagge. Sie muß sich ergeben; wir nehmen ihre Leute an Bord, und kaum ist dies geschehen, so legt sie sich auf die Seite: die Wogen haben sie gefressen.«

»Hollah, so ists recht. Dreimal hoch die ›Swallow‹!«

»Danke Euch, Jungens, aber vergeßt auch den ›l'Horrible‹ nicht; er hat das Seinige auch gethan.«

»Schön. Ein Hoch dem ›l'Horrible‹. Stoßt an!«

Die Krüge klirrten zusammen. Da ertönten draußen einige Salutschüsse, ein Zeichen, daß ein Schiff in den Hafen laufe, und gleich darauf vernahm man ein vieltöniges Stimmengewirr und ein Rennen durch die Straße, als ob ein außerordentliches Ereigniß bevorstehe. Peter Polter erhob sich, trat an das Fenster und öffnete dasselbe.

»Holla, Mann, was giebts hier zu laufen?« frug er, indem er einen Vorübereilenden beim Arme erfaßte.

»Eine frohe Botschaft, Master: Die ›Swallow‹ läuft soeben in den Hafen, welche das famose Rencontre mit der ›Florida‹ gehabt hat. Alle Schiffe haben augenblicklich gewimpelt und geflaggt, um den tapfern Capitain zu ehren, und Jedermann eilt, die Landung zu betrachten.«

»Danke, Master!«

Er schlug das Fenster zu und bemerkte im Umdrehen, daß sämmtliche Gäste auf die erhaltene Auskunft hin sofort ihre Plätze verlassen hatten und sogar das Freibier vergaßen, um der Landung des berühmten Schooners beizuwohnen.

»Immer lauft,« lachte er; »werdet nicht gar viel zu sehen bekommen. Der Kapt'n ist schon am Lande, und die vom Bord gehen, das sind keine echten Seegasten, obgleich sie mitgemacht haben, daß es gewettert hat. Ich bleib bei meiner Mutter Thick, wo ich den Parker erwarten muß.«

Es verging doch eine geraume Zeit, ehe der Genannte kam, und noch hatte er die Thür nicht geschlossen, so nahte sich ein lärmendes Rufen und Jauchzen dem Hause. Eine Menge Volkes nahte vom Hafen her, voran diejenigen Männer, welche von der »Swallow« an das Land gegangen waren. Sie traten gleich hinter Parker in die Stube, und das Volk drängte hinter den Helden des verwegenen Seegefechtes her, daß der Raum die Gäste gar nicht zu fassen vermochte. Die resolute Wirthin, welche unterdessen mit ihren Vorbereitungen zu Ende gekommen war, wußte sich schnell zu helfen. Sie öffnete das Ehrenzimmer, schob sich mit den Erwarteten hinein und verschloß dann die Thür, die Bedienung der Andern ihrem Personale überlassend.

»Welkome, Sir!« lautete ihre freudige Anrede zu Parker, der ihr als alter Bekannter freundlich die Hand reichte.

Auch die Andern und vor allen Dingen Treskow und Wallerstein wurden mit einem herzlichen Handschlag begrüßt. Sie mußten Platz nehmen und brauchten blos zuzugreifen, so umsichtig war in der kurzen Zeit für alles Wünschenswerthe gesorgt worden.

»Mutter Thick, Du bist doch die trefflichste Brigantine, der ich jemals in die Arme gesegelt bin!« meinte der Steuermann. »In dieser armseligen Prairie gab's Nichts als Fleisch, Pulver und Rothhäute; auf der See ging es auch knapp her, da wir zu viel hungrige Magen geladen hatten, bei Dir aber ißt und trinkt sichs wie beim großen Mogul oder wie der Kerl heißen mag, und wenn ich nur eine Woche hier vor Anker liege, so lasse ich mich hängen, wenn ich nicht einen Schmeerbauch habe, wie da dieser fette Master Hammerdull.«

»Ob fett oder nicht, daß bleibt sich gleich,« meinte dieser, wacker zulangend, »wenn man nur einen guten Bissen zwischen die Zähne bekommt. Ich hab's nöthiger wie Ihr Andern alle, denn seit ich meine Mirjam in Franzisko lassen mußte, bin ich vor Sehnsucht nach dem lieben Viehzeug ganz vom Fleisch gefallen. Ists nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«[803]

»Wenn Du denkst, Dik, daß Dich die Stute dauert, so habe ich nichts dagegen. Es geht mir ja mit meinem Thier ganz ebenso. Wie ists bei Dir, Bill Potter?«

»Bei mir? Wo mein Pferd steckt, ist mir sehr gleichgültig, hihihihi; die Hauptsache ist, daß mirs bei Mutter Thick gefällt.«

»So ist's recht,« stimmte die Wirthin bei; »greift zu, so viel und lang es Euch beliebt. Aber vergiß dabei auch Dein Versprechen nicht, Peter!«

»Welches?«

»Das Du erzählen wolltest.«

»Ach so! Na, wenn Du tüchtig einschenkest, so soll es mir auf einige Worte mehr nicht ankommen, die ich zu reden habe.«

Während er kauend von den erlebten Abenteuern berichtete, saß Winnetou an seinem Platze und sprach den ihm ungewohnten Speisen der Bleichgesichter mit höchster Mäßigkeit zu. Bier und Wein rührte er gar nicht an. Er wußte, daß das »Feuerwasser« der schlimmste Feind seines Volkes gewesen war; darum haßte und verschmähte er es. Seine Aufmerksamkeit war auf die lebhafte Unterhaltung gerichtet, welche die Andern in jenem halblauten Tone führten, der stets ein Zeichen von der Wichtigkeit des Gegenstandes ist.

»Wie war es auf der Admiralität?« frug Sam Fire-gun den Lieutenant.

»Ganz nach Erwartung,« antwortete dieser, der den einen Arm in der Binde trug, wie auch die Andern verschiedene Zeichen der Verwundung aufzuweisen hatten. »Ernennung zum Capitain und Beurlaubung bis nach vollendeter Genesung.«

»So dürfen Sie mit hinüber?«

»Ja, in Anbetracht der vorliegenden Verhältnisse, von denen ich Mittheilung machte, soweit es mir nothwendig erschien.«

»Was wird mit der ›Swallow‹?«

»Sie hat gelitten und geht zur Reparatur in das Trockendock.«

»Und unsere Gefangenen?« frug Treskow gespannt.

»Auch wie ich dachte.«

»Das heißt?«

»Müssen heut noch an die Criminalabtheilung der Admiralität ausgeliefert werden.«

»War nicht anders zu erwarten! Aber ich bin über die See herüber, quer durch ganz Amerika und zu Schiffe um den Süden herum, um sie zu fangen und in die Heimath zu bringen; ich liefere sie nicht aus.«

»Geht nicht!«

»Geht nicht? Sollte es keinen Ausweg geben? Nach den Gesetzen müssen wir sie allerdings ausliefern, aber die Gesetze – pah! Wir haben manches Schwierige zu Stande gebracht, sollten wir hier wirklich auf eine Unmöglichkeit stoßen?«

Parker lächelte pfiffig.

»Ausliefern muß ich sie, aber – – he, Mutter Thick, komm einmal her neben mich; der Steuermann kann seine Rede schon einmal unterbrechen.«

Die Wirthin setzte sich an seine Seite.

»Ich sah das Lloydschiff ›Alba‹ draußen liegen. Kennst Du es?«

»Und ob! Lloyddampfer ›Alba‹, Capitain Seiffert. Die Offiziere sammt Mannschaft verkehren nur bei mir. Das Fahrzeug sticht am Abend mit der Ebbe in See.«

»Seiffert ist ein Deutscher?«

»Will es meinen; ich glaube gar, er haßt die Yankee's ein Wenig.«

»Ist mit ihm zu reden?«

»Hm, wenn es in der rechten Weise und von der richtigen Person geschieht, ja.«

Er neigte sich an ihr Ohr, sodaß nur die Nächstsitzenden seine Frage vernehmen konnten:

»Hast Du Dein Paßbureau noch?«

Sie nickte lächelnd.

»Pässe für jedes Individuum, von und nach allen Ländern, richtig gestempelt und unterschrieben in Zeit von einer Stunde.«

»Kann ich zwei bekommen?«

»Gern. Auf welche Signalements?«

»Werde sie notiren.«

Er zog das Notizbuch hervor, riß ein Blatt heraus und notirte auf den beiden Seiten desselben zwei Signalements, die genau auf Latour und Letrier paßten.

»Hier, Mutter Thick.«

»Danke, Sir; wird gleich besorgt!«

Sie erhob sich und verließ das Zimmer. In fast allen großen Hafenstädten giebt es heimliche Bureau's, in denen man sich für gutes Geld mit guten, freilich allerdings gefälschten Pässen versehen kann.

»Welchen Plan haben Sie, Prinz?« frug Sam Fire-gun erwartungsvoll.

»Einen höchst einfachen. Wir nehmen uns Plätze auf dem ›Alba‹ und gehen nach Bremen. Kurz vor der Einschiffung liefre ich, meiner Schuldigkeit gemäß, die Gefangenen aus, sorge aber dafür, daß sie entkommen und ebenfalls den ›Alba‹ benutzen, um ihre Flucht zu bewerkstelligen.«

»Wird schwierig sein!«

»Nicht gar zu sehr, wenn es richtig angefangen wird und Capitain Seiffert seine Zustimmung giebt.«

Er gab eine ausführliche Erklärung seines Vorhabens, welches schließlich von den Anwesenden vollständig für gut und ausführbar erklärt wurde. Dann verließ er das Haus, um sich sofort nach dem »Alba« rudern zu lassen.

Auf demselben angekommen, gab er seine Karte ab und wurde in die Kajüte beschieden, wo er den Capitain allein vorfand. Dieser erhob sich mit ausgesuchter Höflichkeit.

»Lieutenant Parker?«

»Jetzt Capitain,« klang es unter einem leisen Lächeln.[804]

»Ah, eine Folge Ihres rühmlichst verbreiteten Abenteuers? Gratulire! Was führt Sie an Deck zu mir?«

»Ich beabsichtige, mit einiger Begleitung auf dem ›Alba‹ nach Bremen zu gehen.«

»Sie haben Urlaub? Gewiß in Folge Ihrer Verwundung. Freut mich herzlich, einen so wackern Kameraden bei mir sehen zu dürfen. Willkommen! Haben Sie persönliche Gründe, nach Deutschland zu gehen?«

»Ja. Ich will zum Vater.«

»Zum Vater? Ihr Name ist ein amerikanischer!«

»Der gegenwärtige, ja, doch derjenige, welchen ich für kurze Zeit abzulegen Ursache hatte, ist ein echt deutscher. Mein Vater ist der Kavallerieoberst a.D. Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen.«

»Ich erstaune, Capitain oder vielmehr Durchlaucht!«

»Bitte, lassen Sie sich erzählen!«

Es begann eine längere Unterhaltung, am Schlusse deren Seiffert aufsprang und Parker beide Hände entgegenstreckte.

»Herr Kamerad, ich stelle mich Ihnen vollständig zu Diensten. Zwar wäre die Sache eine heikle, aber ich ergreife nun einmal gern die Gelegenheit, diesen verhaßten Yankee's, welche sich stets als bestes Seevolk brüsten, obgleich ihre bravsten Offiziere Deutsche sind, ein Schnippchen zu schlagen, und – was die Hauptsache ist – Ihre außerordentlichen Schicksale erregen meine Theilnahme in der Weise, daß ich Ihnen unbedingt meine Hülfe leisten werde.«

»Sie gehen also auf meinen Plan ein?«

»Vollständig. Er ist gut, und ich werde auf Ihr Zeichen hin eins meiner Boote mit einigen zuverlässigen Leuten in der Nähe der ›Swallow‹ halten lassen. Nur sorgen Sie dafür, daß die beiden Schurken nicht einen andern Weg einschlagen!«

»Das soll ihnen vergehen. Der wackere Peter Polter wird sie in einem zweiten Boote bewachen und ihnen jede andre Tour verlegen.«

Nach einigen verabschiedenden Reden verließ er, von Seiffert bis an das Fallreep begleitet, das Schiff und kehrte zu Mutter Thick zurück, welche ihn mit den unterdessen ausgestellten Pässen erwartete.

Die brave Wirthin hatte keine geringe Prüfung zu bestehen, als sie vernahm, daß die ganze Gesellschaft und mit derselben auch der Steuermann vielleicht auf Nimmerwiedersehen nach Deutschland gehen werde. Aber es war noch gar Manches zu besorgen und es mußte geschieden sein. Mit thränendem Auge hing sie sich an den Hals des Freundes, der selbst alle seine Beherrschung zusammennehmen mußte, um nicht nasse Augen zu bekommen.

»Fare well, Mutter Thick!« rief er endlich und war mit einem langen Satze zur Thür hinaus.

»Fare well, Mutter Thick!« riefen auch die Andern, reichten ihr zum Lebewohle die Hände und folgten ihm.

Sie aber sah ihnen nach, so lange sie vermochte und schloß sich dann traurig in ihr Stübchen ein, aus welchem sie erst spät wieder zum Vorschein kam. – –

Latour und Letrier lagen gefesselt in einem vollständig dunkeln Verschlage des Schiffsraumes. Sie wußten, daß die »Swallow« vor New-York die Anker geworfen habe und daß es nun keine Rettung mehr für sie gebe. Bei jedem Schritte, der sich im untern Raume hören ließ, erwarteten sie, emporgeholt und an die Behörde ausgeliefert zu werden, und so auch jetzt, als sie das Geräusch eines nahenden Fußes vernahmen.

Aber die Schritte waren leise, vorsichtig und schleichend, als solle Niemand sie hören. Die Thür des Verschlages wurde bedachtsam geöffnet, und dann frug es flüsternd:

»Seid Ihr munter, Capitain?«

»Wer ist's?«

»Bst, nicht so laut! Kennt Ihr den langen Tom nicht mehr?«

»Den langen Tom? Teufel! ich denke Du bist todt?«

»Fällt mir gar nicht ein! Wißt Ihr, Capitain, in jener Nacht, als uns die Boote der ›Swallow‹ so hinterlistig überfielen und ich bemerkte, daß es aus mit uns sei, sprang ich über Bord und schwamm hier an Bord. Ich versteckte mich im Kielraum und fand glücklicher Weise in dem Koch, der oft herunterkam, einen alten Bekannten, der sich meiner erbarmte. Ich habe die ganze Fahrt hinter den Wasserfässern mitgemacht – verdammt langweilig und ängstlich, habe von ihm den nöthigen Proviant bekommen und werde heut oder morgen Nacht von Bord schwimmen.«

»Ah! Konntest Du nichts für uns thun?«

»Bisher nicht; es hätte Nichts geholfen; aber er hat sich erbitten lassen und dafür gesorgt, daß Ihr entkommen könnt, wenn Ihr Muth habt.«

»Muth? Pah! Wie will er es anfangen?«

»In einer Stunde legt ein Boot hier an, welches Euch abholen soll –«

»Sacré bleu, dann ists zu spät!«

»Noch nicht! Sobald Ihr auf Deck seid, zerreißt Ihr Eure Banden –«

»Das bringen wir nicht fertig; wir haben es schon Monate lang vergeblich versucht.«

»Ich habe hier ein Messer und schneide sie zur Hälfte durch. Gebt her!«

Als dies gethan war, fuhr er fort:

»Dann springt Ihr in die Kajüte, schließt die Thür hinter Euch zu, daß man Euch nicht sofort folgen kann, steigt durch das Außenfenster, unter welchem sie leichtsinniger Weise ein Boot angehängt haben, und rudert davon.«

»Wohin? Sie werden uns verfolgen.«

»Es wird für Alles gesorgt. Sobald Ihr geholt werdet, wirft der Koch zwei Anzüge in das Boot mit Allem, was Ihr braucht. Drei Viertheile der Mannschaft sind an das Land gegangen, auch die Jäger, und überdies liegen wir so zwischen den verschiedensten Fahrzeugen, und es giebt so viele Kähne und Boote, daß man Euch gar nicht herausfinden kann. Draußen auf der Rhede aber ankert das Lloydschiff ›Alba‹, welches in zwei Stunden nach Bremen geht. Der Steuermann ist ein Bruder unsers Kochs und[805] heißt Weber. Er weiß schon Alles und wird Euch erwarten. Hier habt Ihr Geld, um die Ueberfahrt zu bezahlen.«

»Tom, ich weiß –«

»Pah, von mir ists nicht, und Euer Dank –«

Er mußte sich zurückziehen, denn es ließen sich von obenher Schritte vernehmen. Er schloß den Raum wieder zu und entfernte sich. An der Deckstiege angekommen traf er auf Parker.

»Nun?« frug dieser.

»Gelungen! Sie kamen eben recht, um mich zu stören wie es ausgemacht war, sonst hätten mich die Kerls nach Dingen gefragt, die uns verrathen konnten.«

Es war Treskow, welcher den langen Tom gespielt hatte.

Unter den in der Nacht des Ueberfalls Verwundeten hatte sich auch der lange Tom befunden und war verhört worden. Er hatte vor seinem Tode Alles erzählt, so daß Treskow die gegenwärtige Rolle nicht schwer geworden war.

Die beiden Gefangenen legten nicht den mindesten Zweifel in das Gehörte und erwarteten mit Ungeduld den Augenblick, an welchem sie geholt werden sollten. Die Stunde wurde ihnen fast zu einer Ewigkeit, endlich aber war sie doch vergangen und der Maate Forster erschien mit zwei Leuten, um sie nach oben zu führen.

Parker stand an Deck bei einigen Polizisten, welche die Gefangenen erwarteten, sonst waren nur wenige Köpfe zu sehen. Es mußte wahr sein, daß sich drei Viertheile der Mannschaft am Lande befand. Auch das besprochene Boot bemerkte Latour, als er am Regeling hingeführt wurde.

»Mesch'schurs, ich übergebe Ihnen hiermit diese beiden Männer; die betreffenden Beweisstücke haben Sie schon. Wollen Sie nach den Fesseln sehen, der Verantwortung wegen!« meinte Parker.

»Fesseln? Pah!« antwortete der Eine der Constable. »Uns entgeht Niemand. Hier ist die Empfangsbescheinigung, Sir!«

Mit befriedigter Miene nahm Parker das Dokument in Empfang; er hatte nun für das zu Geschehende keine Verantwortung mehr zu leisten.

»Vorwärts, Männer,« meinte jetzt der Constabel; »hinunter in das Boot!«

In demselben Augenblicke rissen die beiden Gefangenen die Stricke auseinander, sprangen über das Deck hin nach der Lucke und in die Kajüte hinab, verriegelten die Thür und befanden sich in der nächsten Minute in dem Boote. Sofort zu den Rudern greifend und das Tau lößend, stießen sie ab und fuhren in kurzer Zeit in einem Gewühle von Kähnen, unter welchem sie nur schwer herauszufinden waren.

»Da draußen liegt der ›Alba‹, drauf los!« gebot Latour, vor Anstrengung athemlos.

Sie waren schon weit aus dem Hafen hinaus, als ein Schuß, ein zweiter und ein dritter fiel, die ihrer Flucht galten.

»Sie sind verdammt langsam auf der ›Swallow‹,« meinte Letrier. »Ich glaube, sie bekommen uns wohl nicht wieder!«

»Möglich, wenn Alles klappt. Holla, ein Boot hinter uns! Was will es?«

Ein schnellgehendes Schmalboot kam ihnen näher und näher.

»Boot ahoi!« rief der Mann am Steuer. »Wir sind vom ›Alba‹ ausgeschickt. Seid Ihr die beiden Gentlemen, welche zu dem Steuermann Weber wollen?«

»Ja.«

»So laßt Euer Fahrzeug schwimmen; es könnte Euch verrathen. Kommt zu uns herüber!«

Die beiden Flüchtlinge waren froh überrascht; der Koch hatte noch besser für sie gesorgt, als sie es erwartet hatten. Sie stiegen über und befanden sich bald an Bord des »Alba«, wo der Steuermann sie empfing, ohne mit einer Miene seine Mitwissenschaft zu verrathen, und ihnen einen Platz im Zwischendeck anwieß, den sie erst am andern Morgen verließen, als das Schiff sich längst auf hoher See befand.

Sie hatten ihre Anzüge gewechselt und stiegen nach dem Frühstücke hinauf, um an Deck einen Spaziergang zu machen.

Unter einem Zelte des für die Passagiere der ersten Cajüte eingerichteten Hinterdeckes saß eine Dame. Latour blieb erschrocken stehen.

»Jean,« rief er mit bebenden Lippen, »kennst Du sie?«

»Alle tausend Teufel, die Miß Admiral!«

»Sie ist's, und – und – Himmel, lehnt dort nicht der verdammte Apache und neben ihm der Colonel?«

»Ja, und da drüben die drei Trapper, Hammerdull, Holbers und Polter. Ich glaube –«

»Ah,« tönte es da hinter ihnen, »was für ein unerwartetes Wiedersehen! Willkommen auf dem ›Alba‹, Herr de Latour!«

Sie drehten sich um und erblickten Parker, Peter Polter, Wallerstein und Treskow, in deren Nähe ein halbes Dutzend Matrosen mit bereitgehaltenen Handschellen standen.

»Was ist – was – was soll – –« stammelte Latour erbleichend.

»Was es ist?« frug Treskow. »Ich verhafte Sie auf deutschem Boden im Namen des Gesetzes als Raubmörder!«

Er gab den Matrosen einen Wink. Sie ergriffen die Beiden und legten sie trotz ihres wüthenden Sträubens in Fesseln. Dem schwarzen Capitain stand vor Anstrengung und Wuth der Schaum vor dem Munde.

»Wenn ich verloren bin, so soll sie auch mit verloren sein!« rief er. »Verhaftet dort das Weib unter dem Zelte; sie ist die Miß Admiral vom Piratenschiff ›l'Horrible‹, hat es in Franzisko als Frau de Voulette entführt und einst als Chevalier de Poulettre den Juwelier Wallerstein ermorden helfen!«

»Ah!« klang es in höchster Ueberraschung aus Aller Munde.

»Hinab mit ihnen in die Zellenkoje!« befahl Treskow.[806] Dann schritt er nach dem Hinterdecke und trat zu der Dame.

»Madame, ich nenne mich von Treskow, Polizeilieutenant. Ihr Name?«

Da trat Pitt Holbers hinzu.

»Wenn das nicht das Weibsbild ist die mir in der Prairie den Zettel an den Colonel übergab, so will ich gelyncht werden!«

Die Dame erbleichte.

»Ich bin –« stammelte sie.

»Der Chevalier de Poulettre, Frau de Voulettre, Miß Admiral und wer weiß was noch Alles. Die Worte dieses Mannes sind mir Grund genug. Ich verhafte Sie!«

Er streckte die Hand nach ihr aus. Mit einem unarticulirten Schrei sprang sie zurück, schnellte bis zum Regeling und wollte sich von da hinab in die Wogen stürzen; da aber faßten sie zwei gewaltige Hände. Winnetou hatte sie ergriffen und hielt sie fest, bis sie gebunden war.

»Hinab auch mit ihr« gebot Treskow. »Ein Verhör wird das Dunkel aufklären und ich vermuthe, daß wir hier einen Fang gemacht haben der ebenso wichtig ist, wie die Ergreifung der andern Beiden. Sie sollen uns nicht mehr entgehen!« – –[807]

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 51, S. 801-808.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Auf der See gefangen
Auf der See gefangen
Auf der See gefangen. Gesammelte Werke Bd. 80

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon