Capitel 11.
Wie ich die ganze Gemein gespeiset, item wie ich nach Gützkow zum Roßmarkt gereiset und was mir alldort gearriviret.

[65] Des andern morgens zutheilete mein Töchterlein die lieben Brod, und schickte einem Jeglichen im Dorf eine Schnede. Doch da wir sahen, daß unser Fürrath bald würde auf die Neige laufen, schickete abermals die Magd mit einer Karren, so ich von Adam Lempkem gekauft, nach Wolgast mehr Brod zu hohlen, welches sie auch thate. Item ließ ich im ganzen Kapsel herumbsagen, daß ich am Sonntag wölle das heilige Abendmahl halten, und kaufete unterdeß im Dorf alle großen Fische, so sie fingen. Als nun endlich der liebe Sonntag kam, hielt ich erstlich Beicht mit der ganzen Gemein, und darauf die Predigt über Matth. 15, 32. Mich jammert des Volks, denn sie haben nichts zu essen. Solliches deutete aber fürs erste nur auf die geistliche Speiß, und erhobe sich ein groß Seufzen unter Männern und Weibern, als ich zum Schluß auf das Altar wiese, worauf die liebe Seelenspeise stund, und die Worte wiederholte: mich jammert des Volks, denn sie haben nichts zu essen. (NB. den bleiernen Kelch hatte mir in Wolgast geliehen, und vor die Patene ein klein Tellerlein gekaufet, bis Meister Bloom den silbernen Kelch und die Patene, so ich bestellet würde fertig halten.) Als ich nun darauf das heilige Nachtmahl consacriret und ausgetheilet, item den Schlußvers angestimmet, und ein Jeglicher still sein Vater unser gebet, umb aus der Kirchen zu gehen, trat ich abermals aus dem Beichtstuhl herfür, und winkete dem Volk annoch zu verharren, da der liebe Heiland nit blos ihre Seelen sondern auch ihren Leib speisen wölle, angesehen er mit seinem Volk noch immer eben dasselbige Erbarmen hätte, wie weiland mit dem Volk am galiläischen[65] Meer. Solliches sollten sie sehen. Trat also in den Thurm und langete zween Körbe herfür so die Magd in Wolgast gekaufet, und ich zu guter Zeit hier hatte verhehlen lassen, satzete sie für das Altar und zog die Tüchlein womit sie bedecket waren, davon, worauf sich fast ein laut Geschrei erhob, massen sie den einen voller Bratfisch, den andern aber voller Brod funden, so wir heimlich hineingethan. Machte es darauf wie der Heiland, dankete und brach es und gab es meinem Fürsteher Hinrich Seden, daß er es den Männern und meinem Töchterlein, daß sie es den Weibern fürlegen mußte, worauf den Text: mich jammert des Volks denn sie haben nichts zu essenauch leiblich anwandte, undauf und nieder in der Kirchen schreitend, unter großem gemeinen Geschrei sie vermahnete, immer Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen, fleißig zu beten fleißig zu arbeiten und in keine Sünde zu willigen. Was übrig blieb mußten sie vor ihre Kinder und alten Greise aufheben, so zu Hause geblieben waren.

Nach der Kirchen, und als ich kaum meinen Chorrock abgethan, kam Hinrich Seden sein gluderäugigt Weib wieder und verlangete trotziglich noch ein Mehres vor die Reise ihres Mannes nach der Liepe; auch hätte sie vor sich selbsten noch Nichtes erhalten, angesehen sie heute nit in der Kirchen gewesen. Solliches verdroß mich fast, und sagete ich zu ihr: warum bistu nit in der Kirchen gewesen? Doch wärestu demüthig kommen, hättestu auch jetzt noch etwas erhalten, da du aber trotziglich kümmst, geb' ich dir Nichts. Gedenke doch wie du es mit mir und meinem Kinde gemacht. Aber sie blieb bei der Thüren stehen und gluderte trotzig in der Stuben rings umbher, bis sie mein Töchterlein beim Arm nahm, und heraus führete, indeme sie sprach: »hörstu? du sollst erst demüthig wieder kommen, ehe du etwas empfähest; kömmstu aber also, so solltu auch deinen Theil haben und wir wollen nit weiter mit dir Auge um Auge, Zahn um Zahn rechnen, das möge[66] der Herr thun so ihm beliebt, wir aber wöllen dir gerne vergeben!« Hierauf schritt sie endlich nach ihrer Weiß, heimlich mummelnd aus der Thüren, doch spiee sie verschiedentlich auf der Straßen aus, wie wir durch das Fensterlein sahen.

Bald darauf beschloß ich einen Jungen bei 20 Jahren und Claus Neels geheißen bei mir in Dienst zu nehmen, und vor einen Knecht zu gebrauchen, angesehen der alte Neels in Loddin sein Vater mich fast harte darumb anlag, auch der Bursche an Manieren und sonsten mir wohl gefiel. Denn da es heuer einen guten Herbst hatte, beschloß annoch mir vor's erste zwei Pferde zu kaufen und mein Ackerland abermals zu besäen; denn wiewohl es schon spät im Jahre war, meinete ich dennoch, daß der grundgütige Gott es wohl gesegnen könnte, wenn er wollte.

Auch war ich nit sonderlich umb das Futter für selbige besorgt, maßen es in der Gemein einen großen Ueberfluß an Heu hatte, da alles Vieh wie bemeldet geschlagen oder fortgetrieben war. Gedachte also im Namen Gottes mit meinem neuen Ackersknecht gen Gützkow zu ziehen, wo auf dem Jahrmarkt viel meklenburgische Pferde gezogen wurden, angesehen dort noch eine bessere Zeit war.1 Hierzwischen aber thät ich mit meinem Töchterlein noch mehr Gänge auf den Streckelberg zur Nachtzeit und im Mondschein, funden aber nichts rechtes, so daß wir schon gläubeten unser Segen sei zu Ende, als wir in der dritten Nacht große Stücke Birnstein brachen fast größer als die, so die beiden Holländer gekaufet. Solche beschloß nunmehro an meinen Schwager Martin Behring gen Hamburg zu schicken, massen Schiffer Wulff aus Wolgast, wie mir gesaget ward, noch in diesem Herbest hinaufseegeln wöllen, um Theer und Schiffesholz überzuführen. Packete also alles in eine wohlverwahrete Kiste, und nahm selbige[67] mit gen Wolgast, als ich mit meinem Ackersknecht gen Gützkow aufbrach. Von dieser Reise will nur soviel vermelden: daß es alldorten fast viele Pferde aber wenig Käufer hatte. Dannenhero kaufete zwo schöne Rappen das Stück zu 20 Fl. item einen Wagen umb 5 Fl. item 25 Scheffel Roggen, so auch vom Meklenburg dahin geführet warumb 1 Fl. den Scheffel, da er in Wolgast fast gar nit mehr aufzugabeln ist, und alsdann wohl an die drei Fl. und drüber gilt. Hätte darumb hier in Gützkow schöne Kaufmannschaft in Roggen halten können, so es meines Amts gewest, und ich auch nit befürchtet, daß die Schnapphanichen, woran es in dieser schweren Zeit fast überhand nimmt, mir mein Korn wieder abgenommen, und noch wohl dazu gemaltraitiret, und erwürget hätten, wie Etzlichen geschehen. Denn insonderheit wurde solche Räuberei zu Gützkow zu dieser Zeit in der Strelliner Heiden mit großem Spök2 getrieben, kam aber mit des gerechten Gottes Hülfe gerade an das liebe Tageslicht, als ich mit meinem Ackersknecht alldorten in den Jahrmarkt verreiset war, und will ich solliches hier noch bemelden. Vor etzlichen Monden war ein Kerl zu Gützkow aufs Rad gestoßen, weil er durch Verführung des leidigen Satans einen reisenden Handwerksmann erschlagen. Derselbige aber fing alsobald an so erschröcklich zu spöken, daß er zur Abend- und Nachtzeit mit seinem armen Sünderkittel von dem Rade herniedersprang, sobald ein Wagen vor dem Galgen vorbeifuhr, der an der Landstraßen nacher Wolgast zustehet, und hinter den Leuten hersetzte, wo sie denn mit vielen Abscheu und Grauen die Rosse anklappten, so daß es einen großen Rumor auf dem Knüppeldamm schlug welcher benebenst dem Galgen in ein klein Hölzlein führete, der Kraulin geheißen. Und war ein wunderlich Ding, daß in selbiger Nacht die Reisenden fast[68] immer in der Strelliner Heiden geplündert oder erwürget wurden. Dannenhero ließ die Obrigkeit den Kerl von dem Rade heben und begrube ihn unter dem Galgen in Hoffnung, daß der Spök sich legen sölle. Aber es saß nach wie vorab bei Nachtzeiten schloweiß auf dem Rade, so daß Niemand nicht mehr die Straße gen Wolgast fahren wollte. Da begab es sich denn, daß in benanntem Jahrmarkt gegen die Nachtzeit der junge Rüdiger von Nienkerken von Mellenthin auf Usedom belegen, so in Wittenberge und anderswo studiret, und nun wieder heimkehren wollte mit seinem Fuhrwerk, dieser Straßen zog. Hatte ihm kurz vorhero noch selbsten im Wirthhause gepersuadiret, daß er von wegen den Spök zur Nachtzeit in Gützkow verbleiben, und des nächsten Morgens mit mir fahren wölle, was er aber verwegerte. Als selbiger Junker nun die Straße gefahren kömmt, sieht er auch wieder alsobald den Spök auf dem Rade sitzen, und ist er kaum an dem Galgen fürüber, als das Gespenste herniederspringt, und ihm nachsetzet. Der Fuhrmann entsetzet sich mächtiglich, und macht es wie alle anderen, klappet die Pferde an, so fast scheu geworden, und für Angst den Mist gelassen und beginnet mit großem Rumor über den Knüppeldamm zu jagen. Hierzwischen bemerket aber der Junker beim Mondenschein, daß der Spök einen Pferdeapfel über welchen er rennet, breit tritt, und nimmt sogleich bei sich ab, daß solches kein Gespenst sei. Rufet dannenhero den Fuhrmann, er sölle halten, und da dieser nit auf ihn höret, springet er von dem Wagen, zeucht seinen Stoßdegen, und eilt dem Spök auf den Leib. Als der Spök solches gewahr wird, will er umbkehren, aber der Junker schlägt ihne mit der Faust in das Genicke, daß er gleich zur Erden stürzet und ein laut Gejünse3 erhebt. Summa: nachdem der Junker seinen Fuhrknecht gerufen, bringt er den Spök[69] bald darauf wieder in die Stadt geschleppt und ergab es sich, daß selbiger ein Schuster war, Namens Schwelm. (Diesem Schelm hat der Teufel recht das W. eingeflicket! –) So bin ich auch bei dem großen Auflauf mit Mehren hinzugetreten, und habe den Kerl gesehen. Er zitterte, wie das Blatt einer Espen, und als man ihm hart zuredete: er sölle freiwillig bekennen, maßen er dann vielleicht sein Leben retten könne, so es sich anders fände, daß er Niemand nit erwürget, bekannte er auch: daß er sich habe durch sein Weib ein arm Sünderkleid nähen lassen, solches angethan und sich zur Nacht und insonderheit, wann er in Erfahrung gebracht, daß ein Wagen in der Stadt sei so nacher Wolgast wölle, vor dem Kerl auf das Rad gesetzet, wo es dann in der Tunkelheit und der Ferne nit zu sehen gewest, daß sie selbander dorten gesessen. Wäre nun ein Wagen angekommen, und er herabgesprungen und hinten nach geloffen, hätte sich alles sogleich entsetzet und sein Augenmerk nit mehr auf den Galgen sondern blos auf ihm gehabt, forts die Pferde angeschlagen und mit großem Rumor und Gepolter über den Knüppeldamm gekutschiret. Solches hätten aber seine Gesellen in Strellin und Dammbecke gehöret, (zwo Dörfer, so fast drei Viertel Wegs entfernt seind) und sich fertig erhalten den Reisenden wenn sie nachgehends bis dahin gelanget, die Pferde abzuspannen und selbige zu plündern. Als man nachgehends den Kerl begraben, hätte er seinen Spök noch leichter gehabt etc. Dieses Alles wäre die reine Wahrheit, und hätte er selbsten in seinem Leben Niemand etwas abgenommen, noch ihn erwürget, dahero man ihm verzeihen wölle, dieweil er ganz unschuldig sei, und alleswas an Raub und Mord fürgefallen, seine Gesellen allein verübet hätten: Ei du feiner Schelm, aber der Teufel hat dir das W nit umbsonst eingeflicket. Denn wie ich nachmals erfahren, ist er sammt seinen Gesellen, wie billig, wieder aufs Rad gestoßen.[70]

Umb nun wieder auf meine Reise zu kommen, so ist der Junker nunmehro zur Nacht mit mir in der Herbergen verblieben, und am andern Morgen frühe seind wir beide aufgebrochen, und da wir gute Kundschaft4 mit einander gemacht bin ich auf seinen Wagen gestiegen, wie er geboten, um mit einander unterweges zu conversiren, und mein Claas hat hintennach gefahren. Habe auch bald gemerket, daß er ein feiner, ehrbarer, und wohlgelahrter Herre sei, angesehen er nit nur das wüste Studentenleben verlobete5, und sich freuete, daß er nunmehro, den argen Sauftonnen entronnen, sondern auch sein lateinisch ohne Anstoß redete. Hatte dannenhero viel Kürzweil mit ihm auf dem Wagen. Doch zuriß uns in Wolgast auf dem Fährboot das Seil, sodaß uns der Strom bis nach Zeuzin6 niederführete, und wir endlichnit ohne große Mühsal ans Land gelangeten. Hierzwischen war es fast spät worden, und kamen wir erst umb 9 Uhren in Coserow an, wo ich dann den Junker bate, bei mir die Nachtherberge zu nehmen, was er sich auch gefallen ließ. Mein Töchterlein saß am Kamin und nähete vor ihre kleine Pate ein Röcklein aus ihren alten Kleiden zusammen. Erschrak dahero heftig und verfärbete sich, als sie den Junker mit mir eintreten sahe und hörete er wölle hier zur Nachtherberge verbleiben, angesehen wir bishero nit mehr Betten als zur höchsten Nothdurft von der alten Zabel Neringsche, der Heidereuter – Wittwen zu Ueckeritze gekaufet hatten. Dannenhero nahm sie mich gleich absonderlich: wie es werden sölle? Mein Bette hätte heute ihre kleine Pate, so sie darauf geleget, nit wohl zugerichtet, und in ihrs könne sie doch den Junker unmöglich legen, wenn sie selbsten auch gerne bei der Magd niederkrühe. Und als ich sie fragete: warumb denn nit? verfärbete sie sich abermals wie[71] ein roth Laken und hub an zu weinen, ließ sich auch den ganzen Abend nit wieder sehen, so daß die Magd alles besorgen, und ihr, verstehe meiner Töchterlein Bette endlich nur mit weißen Leylachen vor den Junker überziehen mußte, da sie selbsten es nit thun wollte. Führe hier solches an, damit man sehen möge, wie die Jungfern seind. Denn am andern Morgen trat sie in die Stuben mit ihrem roth seidin Leibichen, mit der Haarhauben und dem Schurzfleck, summa mit Allem angethan, so ich ihr in Wolgast gekaufet, so daß der Junker sich verwunderte und viel mit ihr unter der Morgensuppen conversirete, worauf er alsdann seinen Abschied nahm, und mich bate, wieder einmal in seine Burg vorzusprechen.

1

Wallenstein wär nämlich vom Kaiser mit Meklenburg belehnt und schonete daher des Landes so viel er konnte.

2

Spukerei.

3

Gewimmer.

4

Bekanntschaft.

5

verachtete.

6

jetzt Sauzin.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 65-73.
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