Capitel 16.
Wie die kleine Maria Paasschin vom Teufel übel geplaget wird, und mir die ganze Gemein abfällt.

[107] Ehe ich weiters gehe, will ich zuvorab vermelden daß der durchläuchtigste König Gustavus Adolphus, wie wir alsbald die Zeitung bekommen auf der Swine an die 300 Krabaten niedergehauen, und darauf zu Schiff nacher Stettin gefahren ist. Gott wölle ihm ferner gnädig sein. Amen.

Nunmehro aber nahm meine Noth von Tage zu Tage zu, angesehen der Teufel bald so lustig wurde, wie er nie nicht gewesen. Gläubete schon, daß Gottes Ohren auf unser brünstig Gebet gemerket hätten, aber es gefiele ihm, uns noch härter heimbzusuchen. Denn etzliche Tage nach der Ankunft des durchläuchtigsten Königs G.A. kam das Geschreie, daß meiner Tochter ihre kleine Pate von dem leidigen Satan besessen sei und gar erbärmlich auf ihrem Lager haushalte, so daß sie niemand nit halten könne. Machte sich mein Töchterlein alsogleich auf nach ihrer kleinen Pate, kam aber alsobald weinend zurücke: daß der alte Paassch sie gar nit zu ihr gelassen, sondern sie fast hart angeschnauzet und gesaget, sie sölle ihm nie wieder in sein Haus kommen, immassen sein Kind es von dem Stuten1 gekriegt so sie ihm am Morgen verehret. Und es ist wahr, daß mein Töchterlein ihr einen Stuten geschenket, indeme die Magd den Tag vorher nacher Wolgast gewesen war, und ein Tüchlein voll Stutens mitgebracht. –

Solche Botschaft verdroß mich fast heftig und nachdeme ich meinen Priesterrock angezogen, machte ich mich auf den Wegk zum alten Paasschen umb den leidigen Satan zu beschweren, und solchen Schimpf von meinem Kinde abzuwenden. Fand also den alten Mann auf der Dielen2,[107] wie er an der Bodenleiter stand und weinete, und nachdem ich den Frieden Gottes gesprochen, fragete ihn allererst, ob er in Wahrheit gläube, daß seine kleine Marie es von dem Stuten gekriegt, so ihr mein Töchterlein verehret? Er sagete: ja« und als ich darauf zur Antwort gab: daß denn ich selbsten es auch hätte kriegen müssen item Pagels sein klein Mädchen, angesehen wir auch von dem Stuten gessen, schwieg er stille, und sprach mit einem Seufzer: ob ich nit wölle in die Stube gehen und sehen, wie es stünd. Als ich dannenhero mit »dem Frieden Gottes« hereintrat, stunden an die sechs Menschen umb der kleinen Marie ihr Bette, und hatte sie die Augen zu und war so steif wie ein Brett, weshalben Stoffer Wels (als er dann ein junger und wähliger Kerl ist) das Kindlein bei eim Bein ergriff und es von sich reckete, wie einen Zaunpfahl, damit ich sähe, wie der Teufel es plagete. Als ich nun ein Gebet anhob und Satanas merkete, daß ein Diener Christi angekommen, fing er an so schröcklich in den Kindlein zu rumoren, daß es ein Jammer anzusehen war. Denn sie schlug also mit Händen und Füßen umb sich, daß sie kaum vier Kerls halten kunnten, item ging ihr das Bäucheken so auf und nieder, als wenn ein lebendiges Geschöpf darinnen säße, so daß letztlich die alte Hexe Lise Kolken sich oben auf das Bäucheken setzete. Als es nun ein wenig besser wurd, und ich das Kindlein aufforderte den Glauben zu beten, umb zu sehen ob es wirklich der Teufel sei so sie besessen3 würd es noch ärger, denn zuvor, angesehen sie anhub mit den Zähnen zu knirschen, die Augen zu verkehren, und also gräulichen mit den Händen und Füßen zu schlagen, daß sie ihren Vater so auch einen Bein hielt, fast mitten in die Stuben wurf, und darauf sich den Fuß gegen das Bettholz zerquetschete,[108] daß das Blut ihr herfürsprang, auch die alte Lise Kolken mit ihrem Bäucheken auf niederflog, als ein Mensch, so in einem Schockreep4 sitzet. Und als ich hierauf nit müde wurdsondern den Satan beschwore, aus ihr zu fahren, finge sie allererst an zu heulen, und darauf wie ein Hund zu bellen, item zu lachen und sprach endlich mit grober Baßstimmen, als sie ein alter Kerl führet: »ik wieke nich5.« Aber er hätte schon weichen sollen, wenn nicht Vater und Mutter mich bei Gotts Sacrament beschworen, ihr arm Kind in Frieden zu lassen, dieweil es ja nichts hülfe, sondern immer ärger mit ihr würd. Stunde also nothgedrungen von meinem Fürhaben ab, und vermahnete nur die Aeltern, daß sie wie das cananäische Weib sollten Hülfe suchen in wahrer Bußfertigkeit und unablässigem Gebet, auch mit ihr im beständigem Glauben seufzen: ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein, meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget, Matth. am 15ten dem Heiland würde dann alsbald das Herze brechen, daß er sich ihres Töchterleins erbarmete und dem Satan zu weichen beföhle. Item versprach ich am Sonntag mit der ganzen Gemein für ihr armes Töchterlein zu beten, und möchten sie selbige, wo irgend möglich selbst zur Kirchen tragen, anerwogen ein brünstig Kirchengebet durch die Wolken drünge. Solliches versprachen sie auch zu thun, und ging ich nunmehro betrübt zu Hause, wo ich aber bald erfuhr, daß es etwas besser mit ihr worden wär, und war also wieder wahr, daß der Satan außer dem Herrn Jesu nichts mehr hasset, denn die Diener des Evangeliums. Aber harre, er bringet dich doch unter die Füße (Genes. am dritten) es wird dir Nichtes helfen!

Bevorab aber noch der liebe Sonntag kam, merkete ich, daß mir männiglich aus dem Wege ging, sowohl im Dorfe als im Kapsel, wo ich etzliche Kranken heimsuchete. Insonderheit[109] als ich in Ueckeritze zu dem jungen Tittelwitz wollte, arrivirete es mir, wie folget: Clas Pieper, der Bauer, stund in seinem Hofe und klöbete Holz, wurf aber alsobald, als er mein ansichtig wurde, die Axt aus der Faust, daß sie in die Erde fuhr, und wollte in seinen Schweinestall laufen, indem er ein Kreuze schlug. Winkete ihm also, daß er bleiben sölle und warumb er für mir, als seinem Beichtvater liefe? Ob er vielleicht auch gläube, daß mein Töchterlein ihre kleine Pate behext? Ille6: ja so gläube er, dieweil es der ganze Kapsel gläube. Ego: warumb sie ihr denn vorhero so viel Guts gethan und in der schröcklichsten Hungersnoth sie wie ein Schwesterlein gehalten? Ille: sie hätte wohl schon mehr verwirket denn dieses. Ego: was sie denn verwirket hätte? Ille: das bliebe sich gleich. Ego: er sölle es mir sagen, oder ich müßte es dem Richter klagen. Ille: das sölle ich nur thun, worauf er trotziglich seiner Straßen ging. – Und kann man nunmehro leichtlich gießen, daß ich Nichtes versäumete überall Kundschaft einzuziehen, was man meinete, daß mein Töchterlein verwirket, aber es wollte mir Niemand Nichtes sagen, und hätte ich mich zu Tode grämen mügen über solchen bösen Leumund. Auch kam in dieser ganzen Wochen kein Kind zu meinem Töchterlein in die Schule, und als ich Ursachs halber die Magd ausschickete, brachte sie Botschaft, daß die Kinderken krank wären, oder auch die Aeltern sie zu ihrem Handwerk gebrauchten. Judicirete also und judicirete, doch half es mir Allens nicht, bis der liebe Sonntag in das Land kam, wo ich gläubte, ein groß Nachtmahl zu haben, angesehen sich schon viele zu Gottes Tisch im vorab gemeldet. Doch kam es mir gleich seltsam für, daß ich Niemand, wie sie doch sonsten zu thun pflegeten, auf dem Kirchhof stehen sahe: meinete aber, sie wären in die Häuser[110] getreten. Aber als ich endlich mit meim Töchterlein in die Kirche kam, waren nur bei sechs Menschen versammlet, unter welchen die alte Lise Kolken und sahe die vermaledeyete Hexe nit alsobald mein Töchterlein mir folgen, als sie ein Creuze schlug und wieder zur Thurmthüren hinaus rannte, worauf die übrigen fünf, benebst meinem einigen Fürsteher Claus Bulken (denn für den alten Seden hatte ich annoch keinen wieder angenommen) ihr folgeten. Ich entsatzte mich, daß mir das Blut geranne, und ich also zu zittern begunnte, daß ich mit der Achsel an den Beichtstuhl fiel. Fragete mein Töchterlein also, welcher ich noch Nichtes gesaget hatte, umb sie zu verschonen: »Vater was fehlet den Leuten, sind sie vielleicht auch besessen?« worauf ich wieder bei mir kam und auf den Kirchhof ging, umb nachzusehen. Aber sie waren alle wegk, bis auf meinem Fürsteher Claus Bulken, welcher an der Linden stand, und für sich ein Liedlein pfiff. Trat also hinzu und fragete, was den Leuten an gekommen, worauf er zur Antwort gab: das wisse er nicht. Und als ich abermals fragete, warumb er selbsten denn auch gelaufen wär, sagte er: was er hätte allein in der Kirchen thun sollen, dieweil der Bedelt7 doch nit hätte gehen können. Beschwure ihn also mir die Wahrheit zu sagen: welch gräulicher Verdacht gegen mich in die Gemein gekommen? aber er antwortete: ich würd es bald schon selbsten erfahren, und sprang über die Mauer, und ging in der alten Lisen ihr Haus, so dicht am Kirchehofe steht.

Mein Töchterlein hatte eine Kälbersuppen zum Mittag, vor die ich sonst Allens stehen lasse, aber ich kunnte keinen Löffel voll in den Hals bringen sondern saß und hatte mein Haupt gestützet und sanne, ob ich es ihr sagen wöllte oder nicht. Hierzwischen kam die alte Magd herein, ganz reisig und mit einem Tuch voll Zeug in der Hand und bat weinende, daß ich ihr den Abschied geben wölle. Mein[111] arm Kind wurde blaß, wie ein Leich und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber sie antwortete blos: »nicks!8« und wischete sich mit der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wieder gewunnen, so mir schier vergangen war, dieweil ich sahe, daß dies alte, treue Mensch mir auch abtrüunnig worden, hub ich an, sie zu examiniren, warumb sie fort wölle, da sie doch so lange bei mir verharret, auch in der großen Hungersnoth uns nicht verlassen wöllen, besondern getreulich ausgehalten, ja mich selbsten mit ihrem Glauben gedemüthiget und ritterlich auszuhalten vermahnet, was ich ihr nie vergessen würd, so lange ich lebte. Hierauf finge sie an nur noch heftiger zu weinen und zu schluchzen und brachte endlich herfür: daß sie annoch eine alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnende hätte, und wölle sie hin, selbige bis an ihr Ende zu pflegen. Worauf mein Töchterlein aufsprunge und weinend zur Antwort gab: »ach alte Ilse darumb willtu wegk, denn dein Mütterlein ist ja bei deinen Bruder; sage mir doch, warumb du mich verlassen wilt, und was ich gegen dich verwirket, damit ich es wieder gut machen kann?« Aber sie verbarg ihr Gesicht in der Schürzen und schluchzete nur ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein Töchterlein ihr die Schürzen wegkziehen, und ihr die Wangen streicheln wollte, umb sie zum Reden zu bringen. Aber als sie solliches merkete, schlug sie mein arm Kind auf die Finger und rief: pfui! spiee auch vor ihr aus und ging alsobald aus der Thüren. Solliches hatte sie nie nit gethan, da mein Töchterlein ein klein Mädken war, und entsatzten wir beide uns also, daß wir kein Wörtlein sprechen kunnten.

Währete aber nit lange; so erhob mein arm Kind ein groß Geschrei, und worf sich über die Bank und lamentirete immerdar rufend: »Was ist geschehn, was ist geschehn?« Gläubete also daß ich ihr sagen müßte, was ich in Kundschaft[112] gezogen, nämlich, daß man sie vor eine Hexe ansäh, worauf sie anfinge zu lächeln, anstatt noch mehr zu weinen, und aus der Thüren lief, umb die Magd einzuhohlen, so bereits aus dem Hause gangen war, wie wir gesehen hatten. Kehrete aber nach einer Glockenstunden mit großem Geschrei zurücke: daß alle Leute im Dorfe vor ihr gelaufen, als sie sich hätte von der Magd Kundschaft einziehen wöllen, wo sie geblieben. Item hätten die kleinen Kinder geschrieen, so sie in der Schulen gehabt, und sich vor ihr verkrochen, auch hätte ihr Niemand nit ein Wörtlein geantwortet, sondern wie die Magd vor ihr ausgespieen. Wäre jedoch auf dem Heimbwege gewahr worden, daß schon ein Boot auf dem Wasser sei, darauf eilends an das Ufer gelaufen, und der alten Ilsen aus vollen Kräften nachgeschrieen, so allbereits in dem Boot gesessen. Aber sie hätte sich an Nichtes gekehrt, sich auch gar nit einmal nach ihr umbgesehen, sondern sie mit der Hand fortgewinket. – Und nunmehro fuhr sie fort zu weinen und zu schluchzen den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch, daß ich elender war, denn zuvor in der großen Hungersnoth. Doch sollt es noch ärger kommen, wie man im folgenden Capite sehen wird.

1

plattdeutsch: für Semmel.

2

plattdeutsch: für Flur.

3

Man nahm nämlich in jener schrecklichen Zeit an, daß wenn der Kranke die drei Artikel, und außerdem einige auf das Erlösungswerk bezügliche Bibelsprüche nachsprechen konnte, er nicht besessen sei, weil Niemand Jesum einen Herrn heißen könne ohne durch den heiligen Geist! 1 Cor. 12, 3.

4

plattdeutsch: für Schaukel.

5

ich weine nicht.

6

jener.

7

Klingbeutel.

8

Nichts.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 107-114.
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