Capitel 17.
Wie mein arm Kind als Hexe eingezogen und gen Pudgla abgeführet wird.

[114] Tags darauf, Montag den 12ten July, morgens umb 8 Uhren, als wir in unserer Kümmerniß saßen und judicireten, wer uns wohl sollich Herzeleid bereitet, auch bald übereinkamen, daß Niemand anders nit, denn die vermaledeyete Hexe Lise Kolken es gewest, kame ein Wagen mit vier Pferden vor mein Haus gejaget, worauf sechs Kerls saßen, so alsogleich heruntersprungen. Und gingen zwo an der Vorder-, andere zwo an der Achterthüren stehen, und aber zwo worunter der Büttel Jacob Knake, kamen in die Stuben und geben mir ein offen Schreiben von dem Amtshaubtmann, daß mein Töchterlein, so als eine gottlose Hexe im gemeinen Geschrei stünde, vom peinlichen Rechts wegen sölle eingehohlet und inquiriret werden. Nun kann männiglich vor sich selbsten abnehmen, wie mir umb das Herze wurd, da ich solches lase. Stürzete zu Boden, wie ein umbgehauener Baum, umd kam erst wieder bei mir, als mein Töchterlein sich mit großem Geschrei auf mich wurf und ihre Thränen mir warm über das Angesicht liefen. Als sie aber sahe, daß ich wieder bei mir kam, finge sie an mit lauter Stimmen Gott davor zu preisen, suchte mich auch zu trösten, daß sie ja unschuldig wär und ein gut Gewissen vor ihren Richter trüge, item recitirete sie mir das schöne Sprüchlein Matth. am 5ten Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Uebels wider euch, so sie daran lügen.

Und möchte ich nur aufstehen und meinen Rock über das Wammes überziehen und mit ihr kommen, denn ohne mich ließe sie sich nicht vor den Amtshaubtmann führen.[114]

Hierzwischen nun aber war das ganze Dorf vor meiner Thüren zusammengestürzet, Weiber, Männer, Kinder; hielten sich aber geruhlich und sahen nur Alle nach den Fenstern, als wöllten sie uns durch das Haus schauen. Als wir uns beide fertig gemacht, und der Büttel, so mich anfänglich nicht mitnehmen gewollt, nunmehro aber ein Einsehen gebrauchte, vor ein gut Trinkgeld, so ihm mein Töchterlein verehrete, traten wir an den Wagen, aber ich ware so machtlos, daß ich nit hinaufkummen kunnte.

Kam also der alte Paassch, so es sahe, und half mir auf den Wagen, wobei er sagte: »Gott tröst Em, wat müt he an Sien Kind erlewen1 und mir die Hand zum Abschied küßete.

Auch kamen noch mehr an den Wagen, so ihm folgen wollten, aber ich bate: sie söllten mir das Herze nicht noch schwerer machen und nur ein christlich Aufsehen auf mein Haus und meine Wirthschaft haben, bis ich wiederkäm. Möchten auch fleißig vor mich und mein Töchterlein beten, daß der leidige Satan, so lange Zeit wie ein brüllender Löwe in unserm Dorf umbhergangen, und nun mich selbsten zu verschlingen drohe, seinen Willen nicht vollenführete, sondern mich und mein Kind verlassen müßte, wie den unschuldigen Heiland in der Wüsten. Aber hiezu sagete Niemand nichts, besondern als wir wegk fuhren, hörete ich gar wohl, daß Viele hinter uns ausspieen und Einer sagte: (mein Töchterlein meinete, es wäre Berowsche ihre Stimme gewest) »wi willen di lewer Föhr unter dem Rock böten, as vör di beden2. Seufzeten noch über solche Reden, als wir gen den Kirchhof kamen, wo die vermaledeyete Hexe Lise Kolken in ihrer Hausthüren saß, ihr Gesangbuch für Augen und laut das Lied: »Gott der Vater wohn' uns bei« quäckete, als wir fürüberfuhren, welches mein arm Töchterlein also verdroß, daß[115] sie unmächtig wurd, und mir wie todt auf den Leib fiel. Bat also den Gutscher zu halten, und schriee der alten Lisen zu, daß sie uns sölle einen Topf mit Wasser bringen; aber sie thät, als könne sie nit hören, und fuhr fort zu singen, daß es schallte. Dannenhero sprang der Büttel ab, und lief auf mein Begehr in mein Haus zurück, umb einen Topf mit Wasser zu hohlen, kam auch alsobald wieder mit dem Topf, und alles Volk hinter ihm, so nunmehro anhub, laut zu judiciren, daß es das böse Gewissen sei, so mein Kind geschlagen, und sie jetzunder sich schon selbsten verrathen. Dankete dahero Gott, als sie wieder ins Leben kam, und es aus dem Dorf ging. Aber in Ueckeritze war es nicht anders, inmassen dort auch alles Volk zusammengelaufen war, und vor Labahnen seinem Hof auf dem Brink stund, als wir ankamen.

Selbiges hielte sich aber ziemlich geruhsam, als wir fürüber fuhren, unangesehen Etzliche riefen: »wo ist 't möglich, wo ist 't möglich!« sonsten hörte ich nichtes. Aber in der Heiden an der Wassermühlen brach der Müller mit allen seinen Knappen herfür, und schriee lachend: »kiekt de Hex, kiekt de Hex!« worauf auch ein Knappe, mit dem Staubbeutel, so er in den Händen hatte, also nach meim arm Kind schlug, daß sie ganz weiß wurd, und das Mehl wie eine Wolke umb den Wagen zoge. Auf mein Schelten lachete der arge Schalk und vermeinete: wenn sie nie keinen andern Rauch, denn diesen, in der Nasen kriegte, künnte es ihr nicht schaden. Item wurd es in Pudgla noch fast ärger, denn in der Mühlen. Das Volk stand also dicke auf dem Berg, vor dem Schloß, daß wir kaum durch kunnten, und ließ der Amtshaubtmann, wie zu einem Aviso, annoch das arme Sünderglöcklein auf dem Schloßthurm läuten, worauf auch aus dem Kruge und den Häusern noch immer mehr Volks herbeirannte. Etzliche schrieen: »iß dat de Hex!« Etzliche: »kiekt de Presterhex, de Presterhex!« und sonsten mehr, was ich aus Schaam[116] nicht hieher setzen mag, rafften auch den Koth aus der Rönne, so aus der Schloßküchen läuft, und bewurfen uns damit, item mit einem großen Stein, der aber auf ein Pferd fiel, also, daß es scheu wurde, und vielleicht den Wagen umbgeworfen hätte, wenn nicht ein Kerl hinzugesprungen und es gehalten. Solches geschahe allens vor der Schloßpforten, in welcher der Amtshaubtmann lächelnd stund, eine Reiherfeder auf seim grauen Hut, und uns zusahe. Als das Pferd aber zur Ruhe gebracht, kam er an den Wagen, und sprach spöttisch zu meinem Töchterlein: »sieh! Jungfer, du wolltest nit zu mir kommen, und nun kommst du ja doch!« worauf sie zur Antwort gab: ja ich kommeund möchtet Ihr einst zu Eurem Richter kommen, als ich zu Euch, worauf ich Amen sprach und ihn fragete, wie Se. Gestrengen es für Gott und Menschen verantworten wölle, was er an mir armen Mann und meim Kind thäte? Aber er antwortete: warumb ich mitgekommen? und als ich ihm von dem unartigen Volk hieselbst, item von dem argen Mühlenknappen sagte, vermeinete er: dieses wäre nicht seine Schuld, bedräuete auch das Volk umbher mit der Faust, so einen großen Rumor machte. Darauf befahl er meim Töchterlein abzusteigen, und ihme zu folgen, trat voran in das Schloß, winkete dem Büttel, so mitlaufen wollte, unten an der Treppe zu verharren, und hob an mit meim Kind allein den Windelstein in die obern Gemächer aufzusteigen.

Aber sie bliese mir heimlich zu: »Vater verlaßt mich nicht!« und folgete ich bald darauf ihnen sachte nach, hörete auch an der Sprach in welchem Zimmer sie waren, und legete das Ohr daran umb zu horchen. Und stellte der Bösewicht ihr für, daß, wenn sie ihn liebhaben wolle, sollt es ihr Allens Nichtes schaden, und hätt' er schon Macht in Händen, sie für dem Volk zu erretten, wölle sie aber nit; so käme morgen das Gericht, und möchte sie vor sich selbsten[117] abnehmen, wie es ihr erginge, dieweilen sie, wie viel Zeugen gesehen, mit dem leidigen Satan selbsten Unzucht getrieben und sich von ihm küssen lassen. Hierauf schwieg sie stille, und schluchzete nur, was der Erzschalk vor ein gut Zeichen nahm und fortfuhr: hastu den Satan selbsten geliebt, kannstu mich auch schon lieben, und näher trat, umb sie zu umbhalsen, wie ich merkete. Denn sie stieß einen lauten Schrei aus, und wollte zur Thüren heraus, aber er hielt sie feste, und bate und dräuete, wie der Teufel es ihm eingab. Und wollte ich schon hineintreten, als ich hörete, daß sie ihm mit den Worten: »weiche von mir Satan!« also in das Gesichte schlug, daß er sie fahren ließ. Worauf sie unversehens aus der Thüren sprang, so daß sie mich zur Erden stieß, und mit einem lauten Schrei selbsten über mir hinfiel. Hievor erstarrete der Amthaubtmann, so ihr gefolget war, hub aber alsobald wieder an zu schreien: »wachte Pfaffe, ich werde dir horchen lehren!« und lief hinzu und winkete, dem Büttel, so unten an der Treppen stund. Selbigen hieß er, mich die Nacht in ein Loch stecken, weilen ich ihn behorchet, worauf er wiederkommen sölle, umb mein Töchterlein in ein ander Loch zu stecken. Aber er besunne sich wieder, als wir den Windelstein halb hernieder gestiegen waren, und sprach, er wölle es mir noch einmal schenken, der Büttel sölle mich nur laufen lassen und mein Töchterlein in ein fest Verwahrsam bringen, ihme nachhero auch die Schlüssel übergeben, angesehen sie eine verstockte Person seie, wie er aus dem ersten Verhör gemerket, so er mit ihr angestellet.

Hierauf wurde denn mein arm Kind von mir gerissen, und ward ich unmächtig auf der Treppen, weiß auch nit, wie ich herniederkommen, sondern, wie ich wieder bei mir kam war ich in des Büttels seiner Stuben, und sein Weib sprützete mir Wasser unter der Nasen. Alldorten blieb ich auch die Nacht auf eim Stuhl sitzen, und sorgete mehr,[118] denn ich betete, angesehen, mein Glaube fast schwach worden war, und der Herr kam nit, ihn mir zu stärken.

1

Gott tröst Ihn, was muß Er an Seinem Kinde erleben.

2

Wir wöllen dir lieber Feuer unter dem Rock anlegen, als für dich beten.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 114-119.
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