Capitel 7.
Wie die Kaiserlichen mir alles Uebrige geraubet, auch die Kirchen erbrochen und die vasa Sacra entwendet; item was sonsten fürgefallen.

[19] Nach etzlichen Tagen, als unsere Nothdurft fast verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, allbereits zurissen) nicht ohne sonderlichen Verdacht, daß die Lise ihr etwas angethan, angesehen sie den Tag vorhero noch wacker gefressen. Doch lasse ich das in seinen Würden, dieweil ich Niemand nit verleumbden mag; kann auch geschehen sein durch die Schikkung des gerechten Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab' – Summa:

ich war wiederumb in großen Nöthen und mein Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze durch ihr Seufzen, als das Geschreie anhub: daß abermals ein Trupp Kaiserlicher nach Uekeritze gekommen, und noch gräulicher denn die ersten gemarodiret, auch das halbe Dorf in Brand gestecket. Derohalben hielt ich mich nicht mehr sicher in meiner Hütten, sondern nachdem in einem brünstigen Gebet Alles dem Herrn empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Ilsen auf, in den Streckelberg1 wo ich allbereits ein Loch, einer Höhlen gleich, und trefflich von Brommelbeeren verrancket uns ausersehen, wenn die Noth uns verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greisen und das Weibsvolk mit den Kindern folgten, welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, um ein Stück Fleisch[19] und Brod verzehrete, kamen also die kleinen Würmer mit ausgereckten Händeleins angelaufen und schrieen: uck hebben, uck hebben2. Wannenhero da mich solch groß Leid billig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brod und Fleisch so vorräthig unter die hungrigen Kindlein vertheilete. Erst mußten sie aber dafür »Aller Augen«3 beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein gespeiset auch Rath wissen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.

Aber sollich Trost währete nicht lange. Denn nachdeme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen schier das Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut Schießen, item das Geschrei der Menschen und das Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich gießen kunnte, der Feind sei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero genug mit den Weibern zu tüschen4 daß sie nicht durch ihr unverständig Lamentiren dem grimmigen Feind unsern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es anfing schmockig zu riechen, und alsobald auch die helle Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohalben den alten Paassch oben auf den Berg daß er umbherlugen sollt, wie es stünde, hätte sich aber wohl zu wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erschaue, anerwogen, es erst zu schummern begunte. Solliches versprach er und kam alsbald auch mit der Bothschaft zurücke, daß gegen 20 Reuter aus dem Dorfe gen die Damerow gejagt wären aber das halbe Dorf in rothen Flammen[20] stünd. Item erzählete er, daß durch seltsame Schickung Gottes sich sehr viel Gevögel in den Knirkbüschen5 und anderswo sehen ließ, und meinete, wenn man sie nur fangen künnte, daß sie eine treffliche Speiß vor uns abgeben würden. Stieg also selbsten auf den Berg, und nachdem ich alles so befunden, auch gewahr worden daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe nachgelassen, item daß auch mein Hüttlein wider mein Verdienst und Würdigkeit annoch stünde, stieg ich alsbald herunter, tröstete das Volk und sprach: der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns speisen, wie einst das Volk Israel in der Wüsten, denn er hat uns eine treffliche Schaar von Krammetsvögeln über die wüste Sehe gesendet, welche aus jedem Büschlein burren, so man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf laufen und schneiden die Mähnhaare und den Schwanz von meiner gefallenen Kuh wegk, so hinten auf der Wörthe liegt. (Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf nicht, dieweil alle Roß vom Feinde längst genommen oder erstochen waren.) Aber es wollte sich Niemand nit finden angesehen die Angst noch größer war, denn der Hunger, als meine alte Ilse anhub: so will ich schon gehen, denn ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Gottes Wegen bin, gebet mir nur einen guten Stock. Als ihr nun der alte Paassch seinen Stecken hingereichet, begunte sie vor sich zu singen. »Gott der Vater wohn uns bei«, und verlief sich bald in das Gebüsche. Hierzwischen vermahnete ich nun das Volk, alsbald Hand anzulegen, kleine Rüthlein zu den Dohnen zu schneiteln und Beeren zu suchen, dieweil es Mondschein ware, und allwärts viel Gänseflieder auch Ebereschen auf dem Berge stunden. Die kleinen Kindlein aber hütete ich mit meiner Marien, dieweil die Gegend nicht sicher für Wülfen war. Hatten derohalben ein lustig Feuer angemacht, umb welches wir uns setzten und dem kleinen Volk die Gebot verhöreten,[21] als es hinter uns knisterte und knasterte, und mein Töchterlein mit den Worten: proh dolor, hostis!6 auf und im die Höhlen sprang. Aber es waren nur die rüstigen Kerls, so im Dorfe verblieben, und nun kamen, uns Bothschaft zu bringen, wie es alldorten stünde. Dahero rief ihr gleich zu: emergas, amici7 wo sie denn auch mit großen Freuden wieder herfürsprang und bei uns zum Feuer niedersaß. Allsobald verzählete nun mein Fürsteher Hinrich Seden was derweilen fürgefallen, und wie er nur durch sein Weib Lise Kolken sein Leben geborgen. Jürgen Flatow, Chim Burse, Clas Peer und Chim Seideritz aber wären erschlagen, und läge letzterer recht auf dem Kirchsteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen Mordbrenner in Asche geleget und wär es nit ihre Schuld, daß nicht das ganze Dorf draufgegangen angesehen der Wind ihnen nicht gepasset. Hätten zum Hohn und Gespötte die Glocken dazu geläutet, ob Niemand kommen wöllt und löschen, und als er und die andern jungen Kerle herfürgesprungen hätten sie die Musqueten auf sie abgedruckt, aber mit des großen Gotts Hülfe Niemand nit getroffen. Darauf wären seine Gesellen über die Zäune gesprungen, ihn aber hätten sie erwischet, und schon das Gewehr über ihm ausgerecket, als sein Weib Lise Kollken mit eim andern Trupp aus der Kirchen herfürgetreten, und ihnen gewinket daß er Ruhe gehabt. Lene Hebers aber hätten sie in ihrem Wochenbett erstochen, das Kindlein gespießet und über Claas Peers Zaum in den Nessel geworfen, wo es annoch gelegen, als sie abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf derohalben keine lebendige Seele mehr, und noch schwerer ein Bissel Brods, so daß, wenn den Herrn nit ihre Noth jammerte, sie alle des elendiglichen Hungertodes würden sterben müssen.[22]

(Da sage nun Einer: das wöllen Christenmenschen sein!)

Fragte nunmehro, als er schwiege (mit wie viel Seufzen jedoch, kann man leichtlich gießen) nach meiner Hütten, wovon sie aber nichts wußten, als daß sie annoch stünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit einem stillen Seufzerlein und alsobald den alten Seden fragend was sein Weib in der Kirchen gemachet, hätte ich schier vergehen mügen für großem Schmerz, als ich hörete, daß die Lotterbuben, als sie heraußer getreten die beiden Kelche nebst den Patenen in Händen getragen. Fuhr dahero die alte Lise fast heftig an, welche nun auch angeschlichen kam durch das Buschwerk, worauf sie aber trotziglich zur Antwort gab: daß das fremde Volk sie gezwungen die Kirche aufzuschließen, da ihr Kerl ja sich in den Zaum verkrochen, und Niemand Anders nit da gewesen. Selbige wären sogleich für den Altar getreten, und da ein Stein nicht wohl gefuget (was aber eine Erzlüge war) hätten sie alsobald angefangen mit ihren Schwertern zu graben, bis sie auch die Kelche und Patenen gefunden. Könnte auch sein daß ein Anderer ihnen den Fleck verrathen. Möchte dahero ihr nicht immer die Schuld beilegen, und sie also heftig anschnautzen.

Hierzwischen kamen nun auch die alten Greisen und Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte Magd mit dem Kuhschwanz und den Mähnhaaren, welche verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die Fenster zuschlagen, die Bücher und Scripturen auf der Straßen in den Koth getreten und die Thüren aus den Hespen gehoben wären. Solliches aber war mir ein geringer Leid, denn die Kelche, dahero nur das Volk vermahnete Biegel und Schneere zu machen, umb am nächsten Morgen mit des barmherzigen Gotts Hilfe unser Jagdwerk zu vollenführen.[23]

Klöbete dahero selber die Rüthlein bis um Mitternacht und da wir eine ansehnliche Zahl gefertiget, ließ ich den alten Hinrich Seden den Abendseegen beten, den wir alle knieende anhöreten, worauf ich endiglichen noch ein Gebet that, und das Volk sodann vermahnete, die Männer apart und die Weiber auch apart sich für die Kälte (Dieweil es schon im Monat Septembri war und fast frisch von der Seekante herwehete) in dem Buschwerk zu verkriechen. Ich selbsten stieg aber mit meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen, hatte aber noch nicht lange geschlummert, als ich den alten Seden fast heftig wimmern hörete, weilen ihn die Kolik überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder auf und gab ihm mein Lager, und setzte mich wieder zum Feuer, und schneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stündchen entschlief und der Morgen anbrach, worauf es besser mit ihm worden war, und ich nun auch alsobald mich aufmachte und das Volk zum Morgenseegen weckte. Diesesmal thät ihn der alte Paassch kunnte aber nit recht hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt' er ihn vergessen oder thats die Angst, das lasse ich ungesagt. Summa. Nachdem wir All recht inniglichen gebetet, schritten wir alsofort zum Werk, keilten die Dohnen in die Bäume und umbhingen sie mit Beeren, unterdessen mein Töchterlein der Kinder hüthete, und Brummelbeeren vor sie zum Frühstück suchete. – Nun soll man aber wissen, daß wir quer durch den Busch gen den Weg nach Uekeritze hin keileten, und da merke nun männiglich wieder die sonderbare Gnadenschickung des barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der Hand (es war Seden sein Beil, so er in der Frühe aus dem Dorfe gehohlet) in bemeldeten Weg trate, nehm ich auf der Erden ein Brod wahr, bei eines Armes Länge,[24] worauf ein Rabe pickete, und welches sonder Zweifel ein kaiserlicher Reuter Tags vorhero aus seinem Schnappsack verloren, dieweil noch frische Roßtrappen im Sande dabei stunden. Knöpfe mir es also heimlich über den Wanst, so daß Niemand nichtes merkete, obschon bemeldeter Paassch dicht hinter mir schritt, item alle Andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun so die Dohnen bestellet in großer Frühe, hatte es schon gegen die liebe Mittagszeit eine so große Menge Vögel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten schritt, als ich sie abbande, dieselben in ihrem Schurzfleck fast nit zu lassen mußte, und auf dem andern Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus seinem Brustlatz und Rocktaschen herfürlangte. Mein Töchterlein satzte sich also mit den andern Frauensvolk hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach, (denn dessen hatten die Meisten von uns lange nicht mehr gekostet,) vermahnete sie ein Paar Männer, zur Sehe zu steigen, und in einem Grapen, so noch von Staffer Zuter geborgen war, ein wenig gesalzen Wasser zu hohlen, was sie auch thäten. In solchem Wasser tunketen wir nunmehro die Vöglein und brieten sie darauf bei einem großen Feuer, wobei uns allen schon vom dem süßen Geruch das Maul zu wässern begunnte, da wir so lange keiner Speisen nicht gekostet.

Sage dahero als alles fertig, und das Volk sich auf der Erden gelagert hat: nun schauet wie der Herr sein Volk Israel in der Wüsten noch immerdar mit frischen Wachteln speiset, sollt er nun ein Uebriges thun, und uns auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel senden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trübsal, Durst und Hunger williglich tragen, so er euch förder nach seinem gnädigen Willen auferlegen söllte? worauf sie alle antworteten und sprachen: ja sicherlich! Ego: Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen[25] versprechen, worauf sie wiederumb sageten: ja das wollen wir! Da zog ich mit Thränen das Brod von meinem Wanst herfür, hub es hoch in die Höhe und rufete: nun schau du armes, gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrod dein treuer Erlöser Dir durch mich gesendet, worauf alles schriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder abermals herbeisprangen, und die Händlein ausrecketen, indeme sie schrien: »kiekt Brod, kiekt Brod!« Da ich aber vor Wehemuth selbsten nit beten kunte, ließ ich Paassch sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit meine Maria das Brodt zuschnitt und einem Jeglichen sein Theil reichete. Und nun langeten wir allesammt freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüsten.

Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das liebe Mannabrod gefunden, wobei nit versäumete sie abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elisa, an ihnen auch gethan, angesehen wie ein Raab in der großen Hungersnoth demselbigen das Brod in der Wüsten zugefuhret, der Herr auch mir dieses Brod durch einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten, und es nimmer gesehen hätte.

Als wir endiglichen unsern Bauch mit Nothdurft gefüllet, hielte die Danksagung über Lucas 12, v. 24, wo der Herre spricht: nehmet wahr den Raben, sie säen nicht, sie erndten auch nit, sie haben auch keine Keller noch Scheuen, und Gott nähret sie doch, Wieviel aber seid ihr besser denn die Vögel? – Aber unsere Sünden stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit verzehret, weilen sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in den Knirkbusch8 geworfen, ergrimmete[26] sein Zorn über uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der uns Brod wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu beten, in seine verlassenen Hütten zurückzuwallen, und zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe mehr bescheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen verblieben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast schwer fiele. Solliches gelobten sie auch zu thun, und schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein Häuflein! – fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch sonsten über 80 gewest; alle andern hatte der Hunger, das Schwert und die Pestilenz9 gewürget. Blieb dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen sollten, wie es in der Widemen10 stände, item die Schriften und Bücher wieder zusammenlesen, auch mir Kundschaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich alsobald in's Dorf zurückgesendet, die Särge vor die elenden Leichnahme zusammengehämmert, daß ich sie des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn Gottes noch nit vorüber.[27]

Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch, woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen thät, den der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen und zur Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als sie durch den Busch brachen und von dem Gräuel der Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst morgen fertig würd, wie auch alsbald unsem Bauch zur Nothdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechischen fürlesen, item den schönen locum parallelum Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendseegen betete, und wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg schauete, hörete, ich, daß mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen stand und das schöne Liedlein von den Freuden des Paradieses recitirte, so der heilige Augustinus gefertiget, und ich ihr gelernet.11 Sie schluchzete für Jammer als sie die Worte sprach:


uno pane vivunt dives utriusque patriae

avidi et semper pleni, quod habent, desiderant

non sacietas fastidit, neque fames cruciat

inhiantes semper edunt, et edentes inhiant

flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,

Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,[28]

virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt

pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,

pendent poma floridorum non lapsura nemorum

non alternat luna vices, sol vel cursus syderum

agnus est foelicis urbis lumen inocciduum12


Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie schwiege, fragte ich: »was machst du da mein Töchterlein?« worauf sie mir zur Antwort gabe: »ich esse Vater.« was mir erst recht die Thränen herfürtrieb, so daß ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speißen wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber noch nit viel gesprochen, als sie aufschriee, daß ich das große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz geformiret, kam über uns und ließ dicke schwere Tropfen bei einer guten Erbsen groß und drüber auf uns niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank. Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe, und rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser13, wo sie sich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen großen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken anzuschauen war, wie[29] mein Töchterlein sagte, auf welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr sogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß unser Kreuz für über gezogen, aber ach unser Kreuz sollte erst anheben, wie man weiter lesen wird.

1

Ein ansehnlicher Berg am Meere nahe bei Coserow.

2

auch haben, auch haben.

3

Ps. 145, 15, 16.

4

beschwichtigen.

5

Wachholderbüsche.

6

o Jammer der Feind ist da! – Ueber die wunderbare Bildungsweise des Mädchens erklärt sich unser Verfasser später.

7

komm nur wieder hervor, es sind Freunde!

8

Wachholdergebüsch.

9

fand im Jahre 1628 statt und häufte das Elend des 30jährigen Krieges auf der hiesigen Insel auf das Unerträglichste. Schade, daß die Schilderung des alten Pfarrers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden gegeben, verloren ist.

10

Pfarrhaus.

11

Dies ist ein Irrthum. Das nachfolgende Lied ist von dem Cardinal-Bischof von Ostia Peter Damianus († 23sten Febr. 1072) nach Augustins Prosa überdichtet.

12

Wir versuchen hier eine Uebersetzung dieser schönen Stelle:

Alle Bürger dieses Landes leben nur von einem Brod. –

Hungrig stets und stets gesättigt, trübt ihr Sehnen keine Noth,

Fühlen nie der Sattheit Ekel, auch die Qual des Hungers nie,

Athmend essen sie beständig, ha und essend athmen sie!

Ewig blüht die Rosenknospe hier im ew'gen Frühling auch

Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der Balsamstrauch,

Grün die Wiesen, grün die Saaten, und von Honig rinnt der Bach.

Das Aroma süßer Blumen haucht und duftet tausendfach.

Blühnde Wälder tragen Aepfel, deren Stengel nimmer bricht.

Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechseln dorten mehr ihr Licht.

Denn ihr Licht, das nimmer schwindet, ist des Lammes Angesicht.

13

Ein Busen, den der Peenefluß in der Nähe bildet.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 19-31.
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