Capitel 9.
Wie mich die alte Magd mit ihrem Glauben demüthigt und der Herr mich unwürdigen Knecht dennoch gesegnet.

[48] Lobe den Herrn meine Seele und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn und vergiß nicht, was er dir Guts gethan hat. Der dir alle deine Sünde vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Ps. 103.

Ach ich armer elender Mensch, wie soll ich alle Wohlthat und Barmherzigkeit fassen, so mir der Herre schon des andern Tages widerfahren ließe. Ich heulte für Freuden, wie sonst für Jammr, und mein Töchterlein tanzete in der Stuben wie eine junge Rehe, und wollte nit zu Bette gehen, wollte nur weinen und tanzen, wie sie sagete, und dazwischen den 103ten Psalm beten, und dann wieder weinen und tanzen, bis der Morgen anbrechen würd. Da sie aber noch merklich schwach war, untersagte ich ihr solchen Fürwitz angesehen dies auch hieße den Herrn versuchen, und nun merke man, was fürgefallen:

Nachdem wir beide mit großem Seufzen am Morgen erwacht waren und den Herrn angerufen, er wölle uns in unsern Herzen offenbaren, was wir thun söllten, konnten wir gleichwohl noch immer nicht an einen Beschluß kommen, dahero mein Kind vermahnete, so sie anders so viel Kräfte in sich verspüre, ihr Lager zu verlassen, und Feuer in den Ofen zu werfen, dieweilen unsere Magd weg sei. Wöllten nachhero die Sache ferner in Ueberlegung ziehen. Sie stand dahero auch auf, kehrete aber alsobald mit einem Freudengeschrei zurücke, daß die Magd sich wieder heimlich in das Haus geschlichen, und allbereits Feuer in den Ofen gestochen. Ließ sie mir also vors Lager kommen, und verwunderte mich über ihren Ungehorsam, was sie[48] hier ferner wölle, als mich und mein Töchterlein noch mehr quälen, und warumb sie nicht gestern mit den alten Paassch gezogen? Aber sie lamentirte und jünsete1, daß sie kaum sprechen konnte, und verstand ich nur so viel: sie hätte mit uns gessen darumb wölle sie auch mit uns hungern und möcht ich sie nur nit verstoßen, sie könne nun einmal nit von der lieben Jungfer lassen, so sie schon in der Wiegen gekennet. Solche Lieb' und Treue erbarmete mich so, daß ich fast mit Thränen sprach: aber hastu nit gehöret daß, mein Töchterlein und ich entschlossen seind, als Bettlersleute ins Land zu gehen, wo wiltu denn bleiben? Hierauf gab sie zur Antwort, daß sie nit wölle, angesehen es gebührlicher2 vor sie, als vor uns wäre, schnurren3 zu gehen. Daß sie aber noch nit einsäh, warumb ich schon wöllte in die weite Welt ziehen. Ob ich schon vergessen, daß ich in meiner Antrittspredigt gesaget: daß ich bei meiner Gemein in Noth und Tod wölle verharren. Möchte dannenhero noch ein wenig verziehen, und sie selbsten einmal nach der Liepen senden dieweilen sie hoffe, bei ihrer Freundschaft und anderswo was rechtes für uns aufzutreiben. Solche Rede, insonderheit von meiner Antrittspredigt fiel mir fast schwer aufs Gewissen, und ich schämete mich für meinen Unglauben, sintemalen nicht allein mein Töchterlein, besondern auch meine Magd einen stärkern Glauben hätten denn ich, der ich doch wöllte ein Diener beim Worte sein. Erachtete also, daß der Herr um mich armen, furchtsamen Miethling zurücke zu halten, und gleicher Weiß mich zu demüthigen diese arme Magd erwecket, so mich versuchen gewußt wie wailand die Magd im Pallast des Hohenpriesters den furchtsamen St. Petrum. Wandte dahero wie Hiskias mein Angesicht gen die Wand und demüthigte mich vor dem Herrn, was[49] kaum geschehen als mein Töchterlein abermals mit einem Freudengeschrei zur Thüren hereinfuhr. Siehe ein christliches Herze war zur Nacht heimlich ins Haus gestiegen und hatte uns zwo Brode, ein gut Stück Fleisch, einen Beutel mit Grütze item einen Beutel mit Salz, bei einer Metzen wohl, in die Kammer gesetzet. Da kann nun männiglich gießen, welch groß Freudengeschrei wir alle sammt erhoben. Auch schämete mich nit, für meiner Magd meine Sünden zu bekennen, und in unserm gemeinen Morgengebet, so wir auf den Knieen hielten, dem Herrn aufs Neu Gehorsam und Treu zu geloben. Hielten dannenhero diesen Morgen ein stattlich Frühstück und schickten noch Etwas an den alten Paassch aus; item ließ mein Töchterlein nun wieder alle Kinderlein kommen, und speisete sie, bevorab sie aufsagen mußten, erst mildiglich mit unserm Fürrath. Und als mein kleingläubig Herz darüber seufzete, wiewohl ich nichts sagete, lächelte sie, und sprach: darumb sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen.4

Solche Weissagung thät der heilige Geist aus ihr, wie ich nit anders gläuben kann, und Du auch nitmein Lieber, denn merke, was geschah: Zu Nachmittag war sie, verstehe mein Töchterlein, in den Streckelberg gegangen, um Brommelbeeren zu suchen, weilen der alte Paassch ihr hatte durch die Magd sagen lassen, daß es dorten noch einige Büsche hätte. Die Magd hackete Holz auf dem Hofe, wozu sie sich den alten Paassch sein Beil geliehen, denn meines hatten die kaiserlichen Schnapphähne verworfen, da es nirgend nit zu finden; ich selbsten aber wandelte in der Stuben auf und ab und sanne meine Predigt aus: als mein Töchterlein mit hoher Schürzen bald wieder in die Thüre fuhr, ganz roth und mit funkelnden Augen, konnte aber für Freuden nichts mehr sprechen denn: »Vater, Vater,[50] was hab ich?« »Nun«, geb ich zur Antwort, »was hastu denn mein Kind?« worauf sie die Schürze von einander thät, und trauete kaum meinen Augen, als ich vor die Brommelbeeren, so sie zu hohlen gangen war, darinnen zween Stücke Bernstein glitzern sah ein jegliches fast so groß, denn ein Mannskopf, die kleinen Stücklein nit gerechnt, so doch auch mit unter die Länge meiner Hand hatten, und habe ich weiß Gott keine kleine Hand. Schriee also: »Herzenskind, wie kömmstu zu diesen Gottesseegen?« Worauf sie, als sie gemach wieder zu Athem kame, verzählete wie folgt:

Daß sienach den Beeren suchende in einer Schlucht nahe dem Strande zu, etwas in der Sonnen hätte glizzern gesehen, und als sie hinzugetreten, hätte sie diesen wunderlichen Fund gethan, angesehen der Wind den Sand von einer schwarzen Birnsteinader fortgespielet.5 Hätte sofort mit einem Stöcklein diese Stücken herausgebrochen, und wäre noch ein großer Fürrath vorhanden, massen es unter dem Stocke rings umbher gebullert, als sie ihn in den Sand gestoßen, auch hätte selbiger nit tiefer, als zum höchsten einen Schuh sich in den Boden schieben lassen. Item verzählete sie: daß sie die Stätte wieder mit Sand überschüttet, und darnach mit ihrer Schürzen überwedelt, damit keine Spur nit übrig bliebe.

Im Uebrigen würde dorthin auch kein Fremder so leichtlich kommen, angesehen keine Brommelbeeren in der Nähe ranketen, und sie mehr aus Fürwitz und um nach der Sehe überzuschauen, den Gang gethan, denn aus Nothdurft. Sie selbsten wolle aber schon die Stätte wiederfinden, alldieweilen sie sich dieselbige durch drei Steinlein[51] gemerket. Was nun unser Erstes gewesen, nachdeme der grundgütige Gott uns aus sollicher Noth gerissen, ja uns, wie es der Anschein war, mit großem Reichthumb begabet hatte, kann sich ein Jeglicher selbsten fürstellen. Als wir endlich wieder von unsern Knieen aufstunden, wollte mein Töchterlein zuerst zur Magd laufen und ihr unsere fröhliche Zeitung hinterbringen. Aber ich untersagete es ihr, massen wir nit wissen könnten, ob die Magd es ihren Freundinnen nicht wieder verzählete, obwohl sie sonsten ein treu und gottesfürchtig Mensch sei. Thät sie aber soliches, so würde es sonder Zweifel der Amtshaubtmann erfahren, und unsern Schatz vor Se. fürstliche Gnaden den Herzog, will sagen vor sich selbstenaufheben, und uns nichts nit, denn das Zusehen verbleiben, und darumb unsere Noth bald wieder von vornen beginnen. Wöllten dannenhero sagen, wenn man uns nach unserm Seegen fragen würde, daß mein seliger Bruder so ein Rathsherr in Rotterdamm gewesen uns ein gut Stück Geldes hinterlassen, wie es denn auch wahr ist, daß ich für einem Jahre bei 200 Fl. von ihme geerbet, welche mir aber das Kriegsvolk, wie oben bemeldet, jämmerlich entwendet. Item ich wölle morgen selbsten nach Wolgast gehen und die kleinen Stücklein verkaufen, so gut es müglich wäre, sagende, du hättest sie an der Sehe gefunden; solches kannstu auch meinethalben der Magd sagen, und sie ihr zeigen, aber die großen Stücke zeigestu Niemand nit, die will ich an deinen Ohm gen Hamburg senden, uns solche zu versilbern. Vielleicht, daß ich auch eins davon in Wolgast verkaufe, so ich Gelegenheit hab, umb Dir und mir die Winternothdurft auf den Leib zu schaffen, dahero du mitgehen kannst. Die Witten, so die Gemein zusammengebracht, nehmen wir vors Erste für Fährgeld, und kannstu die Magd uns auf den Abend nachbestellen, daß sie auf der Fähren auf uns harre, umb die Alimenten zu tragen. Dieses Allens versprach sie zu thun, meinete aber, wir[52] könnten erst mehr Birnstein brechen, damit wir was Rechtes in Hamburg kriegeten, was ich auch thate, und dannenhero des andern Tages noch zu Hause verblieb, maßen es uns noch nit an Kost gebrach, mein Töchterlein auch sowohl als ich, uns erst wieder gänzlich recreiren wollten, bevorab wir die Reis' anträten, item wir auch bedachten, daß der alte Meister Rothoog in Loddin, so ein Tischler ist, uns bald ein Kistlein zusammenschlagen würd, um den Birnstein hineinzuthun, dannenhero ich zu Nachmittag die Magd zu ihm schickete, unterdessen wir selbsten in den Strekelberg schritten, allwo ich mir mit meinem Taschenmesser, so ich für dem Feinde geborgen, ein Tännlein abschnitte, und es wie einen Spaten formirete, damit ich könnte besser damit zur Tiefen fahren. Sahen uns aber vorher auf dem Berge wohl umb, und da wir Niemand nit gewahreten, schritt mein Töchterlein voran, zu der Stätte, welche sie auch alsofort wiederfunde. Großer Gott, was hatts hier für Birnstein! – Die Ader ging bei 20 Fuß Länge, wie ich ungefährlich abfühlen mochte, die Tiefe aber kunnte ich nicht ergründen. Doch brachen wir heute außer vier ansehnlichen Stücken, doch fast nit so groß, als die von gestern seind, nur klein Gruuswerk, nicht viel größer als was die Apotheker zu Stänkerpulver6 zustoßen. Nachdeme wir nun den Ort wieder mit äußerstem Fleiß bedecket und bewedelt, wär uns bald ein großer Unfall zugestoßen. Denn uns begegnete Witthansch ihr Mädken, so Brummelbeeren suchte, und da sie fragete, was mein Töchterlein in der Schürzen trug und diese roth würde und stockete, wäre alsobald unser Geheimniß verrathen, hätte ich mich nicht begriffen und gesaget: was gehts dich an, sie träget Tannenzapfen umb damit einzuheitzen, was sie auch gläubte. Wir satzten uns dahero für,[53] in Zukunft nur des Nachts und bei Mondenschein auf den Berg zu steigen, und kamen noch vor der Magd zu Hause woselbst wir unsern Schatz in der Bettstätt verburgen, damit sie es nicht merken sollte.

1

stöhnte.

2

schicklicher.

3

betteln.

4

Matth. 6, 34.

5

Kommt auch jetzt noch öfter vor, und ist dem Herausgeber selbst begegnet. Doch enthielt die kleine schwarze Ader nur wenige Stücken Bernstein mit Holzkohle vermischt, letzteres ein sicheres Zeichen seines vegetabilischen Ursprungs, worüber beiläufig gesagt, jetzt auch kaum ein Zweifel obwaltet, seitdem man in Preußen sogar ganze Bernsteinbäume aufgefunden hat, und auf dem Museum zu Königsberg bewahrt.

6

Wahrscheinlich Räucherpulver.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 48-55.
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