Vorrede.

Indem ich dem Publicum hiemit diesen tiefrührenden und fast romanartigen Hexenproceß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderst über die Geschichte des Manuscriptes die folgende Auskunft:

In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre, und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als 200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in welcher ich zwar schon öfter einige Scripturen liegen gesehen, die ich jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der That auch deren eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich mit Unterricht in der Kirche beschäftigt ein Papierzeichen ... (in) den Katechismus eines Knaben suchte, und es nicht sogleich finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster (der auch Appelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unserer Lebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter, aber sehr braver Mann wär) unter jenes Chorgestühl, und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder gebundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect, sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben; er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuscript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschen Gedenken umhergelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte usw. Der greise, halb blinde[9] Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu gebrauchen seien1.

Kaum zu Hause angekommen machte ich mich über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein und durchgelesen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weise dieser Hexenprocesse, über das Verfahren ja über die ganze Periode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je mehr dieser bewundernswürdigen Geschichten ich las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der vorsichtigere Horst (Zauberbibliothek) und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten meine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch die meisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen Leser Grausen und Entsetzen anwandelt; sondern die ewigen und unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und Handlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weise unterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes stille steht; wie denn z.B. in einem der Originalprocesse, die ein juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folter überstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist, den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl bei Seite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, ein Mädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche Niemand einen Verdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt, gleichfalls als Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten. Das Gericht mit Recht erstaunt über diesen, vielleicht nie[10] wieder vorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigern und Aerzten untersuchen, deren Original-Zeugnisse den Akten noch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglückliche Tochter, welche merkwürdiger Weise Elisabeth Hegel hieß, wurde in Folge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklich hingerichtet2.

Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese Erscheinungen aus dem Wesen des thierischen Magnetismus zu begreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z.B. die tiefe, dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist, und es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit seiner Tochter gespielten, entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an das Hexenwesen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.

Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder nichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmal vorkam, wurde milde bestraft. So z.B. setzte das Concilium zu Ancyra (314) die ganze Strafe dieser Weiber in ein bloßes Verbannen aus der christlichen Gemeinschaft; die Westgothen bestraften sie mit Prügeln, und Carl der Große ließ sie auf den Rath seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtige Buße thaten3. Erst kurz vor der Reformation klagt Innocentius VIII., daß die Beschwerden der ganzen Christenheit über das Unwesen dieser Weiber, so allgemein und in einem solchen Grade laut würden, daß dagegen auf das Entschiedenste eingegriffen werden müsse, und ließ zu dem Ende 1489 den berüchtigsten Hexenhammer (malleus malleficarum) anfertigen, nach welchem nicht blos in der ganzen katholischen, sondern merkwürdiger Weise auch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst alles Katholische verabscheuete und zwar mit solchem fanatischen Eifer inquirirt wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken an Grausamkeit zuvor taten, bis katholischer[11] Seits der edle Jesuit J. Spee und protestantischer obgleich erst siebzig Jahre später, der treffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt thaten.

Nachdem ich mich auf das Eifrigste mit dem Hexenwesen beschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen, zum Theil so abenteuerlichen Geschichten, keine einzige an lebendigem Interesse meine »Bernsteinhexe« übertreffen würde, und ich nahm mir vor, ihr Schicksal in die Gestalt einer Novelle zu bringen. Doch glücklicher Weise sagte ich mir bald: aber wie? ist ihre Geschichte denn nicht schon an und für sich die interessanteste Novelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt; laß fort daraus, was für den gegenwärtigen Leser, von keinem Interesse mehr, oder sonst allgemein bekannt ist, und wenn du auch den fehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherstellen kannst, so siehe zu, ob der Zusammenhang es dir nicht möglich macht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahre dann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographen fort, so daß wenigstens der Unterschied der Darstellung und die gemachten Einschiebsel nicht gerade ins Auge fallen.

Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherlei vergeblichen Versuchen gethan, verschweige aber, an welchen Orten es geschehen ist, um das historische Interesse der größten Anzahl meiner Leser nicht zu trüben. Für die Kritik jedoch, welche nie eine bewundernswürdigere Höhe als in unserer Zeit erreicht hat, wäre ein solches Geständniß hier vollends überflüssig, da sie auch ohne dasselbe gar leichtlich unterscheiden wird, wo der Pastor Schweidler, oder wo der Pastor Meinhold spricht4.

Von dem jedoch, was ich fortgelassen, bin ich dem Publikum noch eine nähere Nachricht schuldig. Dahin gehören:


  • 1) lange Gebete, insofern sie nicht durch christliche Salbung ausgezeichnet waren.
  • 2) allgemein bekannte Geschichten aus dem dreißigjährigen Kriege.
  • [12] 3) Wunderzeichen in den Wolken, die hie und da sollten geschehen sein, und die auch anderepommersehe Schriftsteller dieser Schreckenszeit berichten, wie z.B. Micrälius (vom alten Pommernlande, Buch V.); Standen jedoch solche Angaben in Verbindung mit dem Ganzen, z.B. das Kreuz auf dem Streckelberge, so habe ich sie natürlich stehen lassen.
  • 4) die Specifikation der ganzen Einnahme der Coserower Kirche vor und während der Schreckenszeit des dreißigjährigen Krieges.
  • 5) die Aufzählung der Wohnungen, die nach den Verheerungen des Feindes in jedem Dorf der Parochie stehen geblieben.
  • 6) die Angabe der Oerter, wohin dieses oder jenes Mitglied der Gemeinde ausgewandert sei.
  • 7) Ein Grundriß und eine Beschreibung des alten Pfarrhauses usw.

Auch mit der Sprache habe ich mir hin und wieder einige Veränderungen erlaubt, wie denn auch mein Autor in Sprache und Orthographie nicht recht constant ist. Letztere habe ich mit geringen Ausnahmen beibehalten.

Und somit übergebe ich denn dies vom Feuer des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten Leser.

Meinhold.

1

Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem Irrthum verleiten konnten, und außerdem ist die Handschrift schwer zu lesen, und an einigen Stellen vergilbt und verrottet.

2

Auch diesen Prozeß gedenke ich noch herauszugeben, da er ein ungemeines psychologisches Interesse hat.

3

Horst, Zauberbibliothek, VI, 231.

4

Vorläufige Proben des Ganzen befanden sich bereits in der Christoterpe von 1841 und 42.

Quelle:
Wilhelm Meinhold: Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe. Frankfurt am Main 11978, S. 9-13.
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