La Röse1

[79] Als der Bernina Felsentor

Durchdonnerte der Wagen

Und wir im Süden sahn empor[79]

Die Muschelberge ragen,

Blies schmetternd auf dem Rößlein vorn

Der in der Lederhose –

»Wen grüßest du mit deinem Horn?«

»Die Rose, Herr, die Rose!«


Mit flachem Dach ein Säulenhaus,

Das erste welsche Bildnis,

Schaut Röse, weinumwunden, aus

Erstarrter Felsenwildnis –

Es ist, als ob das Wasser da

In weichern Lauten tose,

Hinunter nach Italia

Blickt der Balkon der Rose.


Nun, Herz, beginnt die Wonnezeit

Auf Wegen und auf Stegen!

Mir strömt ein Hauch von Üppigkeit

Und ew'gem Lenz entgegen –

Es suchen sich um meine Stirn

Zwei Falter mit Gekose –

Den Wein bringt eine junge Dirn

Mit einer jungen Rose.


Noch einmal darf in südlich Land

Ich Nordgeborner wallen,

Vertauschen meine Felsenwand

Mit weißen Marmorhallen.

Gegrüßt, Italia, Licht und Lust!

Ich preise meine Lose!

Du bist an unsrer Erde Brust

Die Rose, ja die Rose!

1

Erste Station auf der Südseite des Berninapasses.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 79-80.
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