Das Geisterroß

[131] Durch den dreigeteilten Bogen,

Des Triumphes prangend Tor,

Durch die lauten Menschenwogen

Dort zum Kapitol empor

Lenkt den Tanz der weißen Pferde

Cäsars lässige Gebärde.


Hinter des Triumphes Wagen

Duldend oder grollend gehn

Überwundne. Ketten tragen

Cäsars lebende Trophän.

»Dieser!« höhnt es im Gedränge,

»Dieser Trotz'ge!« zischt die Menge.
[131]

Unberührt vom Hohn der Stunde,

Starren, traumgefüllten Blicks,

Geht, ein Singen auf dem Munde,

Ruhig Vercingetorix –

Fremde Weise, fremde Worte,

Mit dem Geist an fremdem Orte:


»Cäsar, blendend weiße Rosse

Hat Hispanien dir gebracht!

Ellid, edler Ahnen Sprosse,

Dunkel ist er wie die Nacht –

Deine Schimmel, deine viere,

Tauscht ich nicht mit meinem Tiere...


Ellid heißt der wackre Jager

Stark von Wuchs und fest im Bug

Welcher mich ins Römerlager

Mit gewalt'gen Sprüngen trug...

Der zum Opfer ich gegeben

Mich für meines Volkes Leben!


Dreimal flog ich um im Kreise,

In der Faust des Schwertes Blitz,

Noch im Lauf, nach Gallier Weise,

Sprang ich ab vor Cäsars Sitz...

Schwarzer Ellid, zu den Toten

Send ich dich als meinen Boten!


Wie er mir ins Antlitz schnaubte,

Stieß ich, Blick versenkt in Blick,

Hinter seinem mächt'gen Haupte

Stracks das Schwert ihm durchs Genick...

Daß mir eines Rosses Ehre

Mangle nicht im Geisterheere.


Ellid sprengt seit langen Jahren

Mitten in der bleichen Jagd,

Wann daheim die Toten fahren

Durch die Wälder, bis es tagt...

Sehn sie meinen led'gen Renner,

Wundern sich die stillen Männer...
[132]

Lange Jahre lag gebunden

Ich in feuchter Kerkergruft –

Kettenschwere, dumpfe Stunden –

Endlich wieder Tag und Luft –

Ellid, schwarzer Ellid, spute

Dich! Du witterst, wo ich blute!


Heute endlich! Endlich heute!

Wann der Kahle schwelgt am Mahl,

Würgt er seine Siegesbeute.

Mit dem letzten müden Strahl,

Wann die Sonne niedergleitet,

Wird mir Block und Beil bereitet.


Henker, nimm das Beil zu Händen!

Nicht das Beil?... So nimm den Strang!

Droßle mich! Nur enden, enden!

Letzte Schmach! Sie währt nicht lang...

Ellids kurzes Hufgestampfe

Dröhnt in meinem Todeskampfe!


Sterbend pack ich Ellids Haare,

Ein Befreiter spring ich auf,

Fahre, schwarzer Ellid, fahre!

Nach der Heimat nimm den Lauf!

Wogen tosen! Rhodans Stimme!

In den Strom, mein Tier, und schwimme!«


Cäsars Schimmel blähn die Nüstern.

»Ave Triumphator!« schallt.

Des Gebundnen Lippen flüstern:

»In der Heimat bin ich bald!

Ellid mit gestrecktem Jagen

Wird mich nach der Heimat tragen!«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 131-133.
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